Zu dieser Ausgabe

Manchmal stößt man im eigenen Bücherregal auf die komischsten Titel: "Deutschlands Denker seit Kant. Die Lehren und Thaten der bedeutendsten deutschen Denker in neuerer Zeit. In gemeinfaßlicher Darstellung für Lehrer, Lernende und gebildete Leser überhaupt. Dessau 1851."

Auf einer wahllos aufgeschlagenen Seite geht es um die Philosophie Friedrich Schlegels: "Das Recht des Müssiggang [sic] ist es, was Vornehme und Gemeine unterscheidet, das eigentliche Prinzip des Adels; das höchste volle Leben ist das reine Vegetiren, und je göttlicher der Mensch und das Werk des Menschen, desto ähnlicher der Pflanze. [...]. Selig, wer sich nicht in das Gewühl zu mischen braucht und in der Stille auf den Gesang des Herzens lauschen darf".

Leider leben wir in einer Zeit, in der solche Verweigerungshaltungen keine Chance mehr haben. Oder doch? Da die Menschen wie alle anderen Organismen neben ihnen durch die "natürliche Selektion" geformt worden seien, entkämen "sie auch nicht dem biologischen Imperativ, gleichsam dem strategischen Zugriff des 'egoistischen Gens'", schreibt Eckart Voland vom Gießener "Zentrum für Philosophie und Grundlagen der Wissenschaft" in einem soeben erschienenen Sammelband. Die Kontinuität evolutionären Geschehens ließe sich daher mit der Formel einer "Anpassung durch Nischenkonstruktion" fassen.

Wie also könnte man heute Schlegels "Gesang des Herzens" übersetzen? Genauer: Wie geht die (post-)moderne Literaturwissenschaft nach dem "cultural turn" mit solchen poetischen Begrifflichkeiten um? Und: Gibt es für die Philosophie überhaupt noch so etwas wie "Geist"?

"Natur - Kultur" lautet das Motto des kommenden Deutschen Germanistentages in Marburg, der Ende September 2007 Gelegenheit bieten wird, solche Fragen ausführlicher zu diskutieren. Zur Einstimmung versammelt literaturkritik.de im August bereits zum zweiten mal in diesem Jahr schwerpunktmäßig Beiträge, ein Interview und Rezensionen zum Thema - gewissermaßen als ideale 'Nischenkonstruktion' für diejenigen unter Ihnen, die sich trainingshalber erst einmal in Ruhe durch unsere Seiten klicken wollen, bevor sie sich mutig in das Tagungsgewühl stürzen.

Darüber hinaus bieten wir Ihnen diesmal illustrierte Reportagen von der Kasseler documenta 12, eine besonders große Rubrik zur Frühen Neuzeit, diesmal mit einem Schwerpunkt zur Historischen Geschlechterforschung - und vieles mehr.

Gute Lektüre wünscht Ihnen
Ihr
Jan Süselbeck