Ein Leben für die Frauenbewegung

Der radikalen Feministin Anita Augspurg zum 150. Geburtstag

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Zwei Paare prominenter Frauen prägten die Erste Frauenbewegung in Deutschland: Da waren einmal Helene Lange und Gertrud Bäumer auf Seiten der Gemäßigten, und da waren die beiden Radikalen Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg. Sie alle waren nicht nur frauenpolitische Aktivistinnen, sondern traten auch mit zahlreichen Publikationen an die Öffentlichkeit. Das hatten sie mit etlichen anderen prominenten und weniger prominenten Feministinnen ihrer Zeit gemein.

Eine von ihnen, Anita Augspurg, startete ihre publizistische Laufbahn allerdings mit Titeln, die kaum auf ein feministisches Engagement hin- oder vorausdeuteten. Darunter etwa eine "Praktische Anleitung zur gesundheitsmäßigen und geschmackvollen Kleidung für jedermann" oder ein Bändchen mit Tipps zur erfolgreichen "Zimmergärtnerei". Immerhin dürfte sich letzteres ebenso wie die unter dem Titel "Gesegnete Mahlzeit" erschienene "Praktische und billige Kochanleitung" wohl eher an ein weibliches Publikum gerichtet haben. Und ihre allererste Veröffentlichung - ein im Oktober 1889 erschienener Beitrag für die Monatsschrift "Frauenberuf" - zeigte nicht nur durch den Publikationsort an, dass sie sich an ihre Geschlechtsgenossinnen richtete, sondern sagte es auch ganz explizit im Titel: "Die Photographie als Lebensberuf für Frauen". Schon vier Jahre später tauchte denn auch die wie keine andere ihre Zeit umtreibende Frage im Titel einer ihrer Veröffentlichungen auf: die Frauenfrage, deren "ethische Seite" Augspurg in einer ihrer ersten selbständigen Publikationen behandelte.

Bald entwickelte sich Augspurg zu einer der eifrigsten Autorinnen, die für das feministische Anliegen fochten. Über die Jahrzehnte hinweg entstand so eine kaum überschaubare Zahl von Zeitschriftenbeiträgen, deren letzter im August 1932 in "Die Frau im Staat" erschien, dem in den 1920er- und frühen 1930er-Jahren von Augspurg bevorzugten Publikationsorgan.

Um die Jahrhundertwende waren ihre Artikel überwiegend in der von Minna Cauer und Lily von Gizycki 1895 gegründeten Zeitschrift mit dem sprechenden Namen "Die Frauenbewegung" erschienen. Doch publizierte Augspurg durchaus nicht nur in feministischen Organen des radikalen wie gelegentlich auch des gemäßigten Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung, sondern kaum minder in liberalen Periodika wie dem "Berliner Tageblatt", der "Frankfurter Zeitung" oder in der Berliner Tageszeitung "Der Tag", deren Frauenseite "Der Kampf für die Frau" sie von 1902 bis 1907 betreute.

Die Themen, mit denen sie sich befasste und zu denen sie publizierte oder auf Vortragsreisen sprach, spiegeln die Anliegen und Forderungen der Radikalen Frauenbewegung in der ganzen Breite ihres Spektrums wieder. Insbesondere jedoch wandte sich die 1897 mit der Benotung "rite" promovierte Juristin gegen das sexistische Eherecht, die Geschlechterjustiz und das im 1900 verabschiedeten Bürgerlichen Gesetzbuch festgeschriebene Geschlechterunrecht. Außerdem forderte sie das Frauenstimmrecht. Und selbstverständlich beteiligte sie sich schon früh an der gegen die Prostitution gerichteten Kampagne ihrer späteren Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann.

Während des Ersten Weltkrieges zählte sie zu den prononciertesten VerfechterInnen radikalpazifistischer und antiannektionistischer Forderungen - ganz im Unterschied zu führenden Feministinnen des gemäßigten Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung, die 1914 gleich reihenweise der Kriegseuphorie anheim fielen. In den 1930er-Jahren begann Augspurg angesichts der Hitler-Diktatur erste Zweifel an ihrer radikalpazifistischen Position zu hegen. Während des Zweiten Weltkrieges nahm sie dann endgültig von ihr Abstand und stimmte dem militärischen Vorgehen der Alliierten gegen Nazi-Deutschland zu.

Zu dem Krieg wäre es allerdings gar nicht erst gekommen, hätte man einer von ihr und Heymann bereits 1923 erhobenen Forderung Folge geleistet und Hitler aus Deutschland ausgewiesen.

Bei alldem war Augspurg auch eine umtriebige Organisatorin der (radikalen) Frauenbewegung. So stellte sie etwa die Gründungspräsidentin des 1894 in München ins Leben gerufenen "Vereins für Fraueninteressen". Im darauffolgenden Jahr zählte die damalige Studentin der Jurisprudenz zu den Mitbegründerinnen der Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine. Wiederum ein Jahr später war sie Gründungspräsidentin des "Vereins Frauenstudium". Eine Reihe, die sich ohne weiteres fortsetzen ließe.

Ob Augspurgs eingangs erwähnte Schrift, in der sie die Fotografie als "Lebensberuf für Frauen" propagierte, bereits auf ein erwachendes Interesse an der 'Frauenfrage' vorweist, mag fraglich sein. Nicht fraglich ist aber, dass sie wusste, worüber sie schrieb, betrieb sie doch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits seit zwei Jahren gemeinsam mit Sophia Gouldstikker, der sie bis 1899 auch in Liebe verbunden war, in München das weithin bekannte Fotoatelier Elvira.

Augspurgs eigentliche Lebensgefährtin aber ist zweifellos Heymann. Sie hatten einander zwar schon 1896 kennen gelernt, eine Partnerschaft gingen sie jedoch erst Jahre später ein. 1903 bezogen sie in München eine gemeinsame Wohnung. Und gemeinsam gingen sie fortan auch durchs Leben bis zu Heymanns Tod im Juli 1943. Augspurg folgte ihr noch im gleichen Jahr. Es waren vier kämpferische Jahrzehnte, welche die beiden Feministinnen gemeinsam durchlebten, geprägt von Siegen und Niederlagen im Kampf um die Frauenrechte. Ihrem pazifistischen Kampf waren allerdings nur Niederlagen beschieden. Zuletzt die ganz große: der Zweite Weltkrieg.

Auch war ihr Leben nicht eben arm an persönlichen Anfeindungen. So wurde etwa der Siegelhof, ein Anwesen, in dem die beiden Frauen in der Nähe von München Landwirtschaft betrieben, zwei Mal in Brand gesteckt (1908 und 1912), so dass sie ihn schließlich aufgeben mussten.

Ende Januar 1933, zum Zeitpunkt der Machtergreifung, befand sich Augspurg gemeinsam mit Heymann auf einer Auslandsreise. Sie waren klug genug, nicht zurückzukehren. Noch im gleichen Jahr wurde Augspurgs Vermögen beschlagnahmt, ebenso das umfangreiche "Frauenarchiv", das sie gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin geschaffen hatte. Es gilt seither als verschollen.

Etliche Feministinnen und Frauenbewegungsforscherinnen habe sich seither daran gesetzt, Leben und Werk Augspurgs zu rekonstruieren. Zuletzt Susanne Kinnebrock in einer rundum empfehlenswerten Biografie. Wenn man es nicht gar so wissenschaftlich mag, kann man allerdings auch zu der von Anna Dünnebier und Ursula Scheu vor einigen Jahren verfassten Doppelbiografie greifen.

Zwei Bücher, die man einander durchaus zum Geburtstag schenken kann. Und am 22. 9. 2007 haben die Feministinnen dieser Welt einen Grund zum Feiern. Zwar vielleicht nicht den eigenen Geburtstag oder den einer Freundin, wohl aber den einer der kämpferischsten und hellsichtigsten Feministinnen der Ersten Frauenbewegung. Denn an diesem Tag vor 150 Jahren wurde Anita Augspurg geboren.