Literatur ohne Risiko?

Anmerkungen zu dem Roman "Risiko" von Alexa Hennig von Lange

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Hennig von Langes Roman "Riskio" passiert nicht viel. Zwei Häuser, einander gegenüberliegend, darin zwei Familien. Das eine Paar, Erik der Bildhauer, nach einer existenziellen Bedrohung besessen vom Überlebenstraining, und seine Frau Lilly, vollständig irritiert durch ihre Zuneigung zu ihrem Nachbarn Helge, der zusammen mit seiner Frau Irene als Antipode zu Erik und Lilly auftritt. Erik und Lilly haben zwei Kinder, Matti, 3 Jahre alt, und Greta, 9 Jahre alt; Irene und Helge haben 3 Kinder. Beide Familien entsprechen dem Klischee eines glücklichen Zusammenlebens. Die Idylle wird jedoch gestört. Lilly nimmt die Beziehung zu Helge aus der Studentenzeit wieder auf. Und alles endet in einer vermeintlichen Katastrophe.

Die überschaubare Figurenkonstellation, die durch den Ehebruch dramatisiert wird, bleibt anfangs etwas blass. Von Lange lässt ihr Personal zwischen den beiden Häusern der Nachbarn herumlaufen und sich ein wenig verirrt durch den Roman bewegen. Die Dynamik entsteht erst mit den sexuellen Avancen und emotionalen Ansprüchen von Irene, der Frau Helges, ihrer Nachbarin Lilly gegenüber. Durch eine subtile Mischung von Begehren und Erpressung fordert Irene "Zuneigung" von Lilly ein, die sie aus Angst vor Entdeckung ihres Seitensprungs Irene anfangs nicht verwehrt. Ihre spätere Verweigerung und die daraus folgende Frustration Irenes führen dann zur Katastrophe: Irene entführt die Kinder, um Lilly spüren zu lassen, wie es ist, das "Liebste" zu verlieren. Während sich die Kinder befreien und flüchten können, beschäftigen sich die Erwachsenen mit der Suche nach den Kindern. Das Schlussbild überrascht: die aufgeregten, verzweifelten Eltern stehen auf den Dünen am Wasser und suchen nach ihren vermeintlich schon toten Kindern, als sie sie auf sich zukommen sehen. Ein versöhnlicher Schluss.

Innerhalb des Romans finden sich Passagen, die den Leser verwirren, ihn aufhorchen lassen, da diese Textteile den Erzählfluss aus den Niederungen eines austauschbaren Unterhaltungsromans herausheben: "Es wäre schön gewesen, wenn Erik sie und die Kinder zum Ponyhof begleitet hätte. Ohne ihn waren sie keine Familie, sondern nur ein hinkendes, dreibeiniges Geschöpf, das nicht weit kommen würde und vor Entkräftung irgendwann zusammenbrach." Könnte man das als kritisch interpretieren? Wird hier auf etwas angespielt, soll der Leser an dieser Stelle weiterdenken? In einer anderen Szene heißt es: "Ohne Irene wäre er nie Vater seiner drei Kinder geworden, die aufgrund emotionaler Verwahrlosung versuchten, sich gegenseitig umzubringen. Er musste ihnen wieder Halt, einen positiven Ausblick aufs Leben geben." Der Leser registriert hier Störungen der Idylle, Irritationen.

Aber mit diesen Feststellungen wird er letztendlich allein gelassen. Die Anhaltspunkte verdichten sich zu keinem Muster, ergeben kein tiefer liegendes, komplexes Bild. Vielleicht ist dies so gewollt und ist ein Verweis auf die letztendlich desolaten persönlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen die Handlung des Romans sich abspielen muss. Aber es entsteht kein emphatisches Verhältnis zu den Figuren, sie bleiben verloren in der Handlung - und nur in einzelnen Szenen kommen die Protagonisten dem Leser ein wenig näher. Der Eindruck, dieser Roman traue sich nicht so recht, aus seiner eigentlich dramatischen Geschichte etwas zu machen, verspielt dabei sogar einen auf den ersten Blick oberflächlichen Unterhaltungseffekt. Letztendlich wurde hier offensichtlich kein Risiko eingegangen. Schade eigentlich.


Titelbild

Alexa Henning von Lange: Risiko. Roman.
DuMont Buchverlag, Köln 2007.
251 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783832179991

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