Allgegenwärtiger Sadismus

Arnošt Lustig erzählt in seinem Roman "Deine grünen Augen" vom tabuisierten Thema nationalsozialistischer Feldbordelle

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hanka Kaudersová ist erst fünfzehn, als sie zur Prostituierten wird. Sie putzt gerade die Krankenstation, als Frauen gesucht werden. Sie meldet sich, behauptet, sie wäre schon achtzehn, und kommt ins Feldbordell Nr. 232 Ost, am Ufer des San. Nach dem Krieg begegnet ihr der Ich-Erzähler, er verliebt sich in sie und erzählt: "Dies ist die Geschichte meiner Liebe. Sie handelt von der Liebe fast genauso wie vom Töten; sie erzählt davon, was ein fünfzehnjähriges Mädchen durchmachte, davon, was es bedeutet, die Wahl zwischen Weiterleben und Umgebrachtwerden zu haben, die Wahl zwischen der Gaskammer oder - als Arierin - dem freiwilligen Eintritt in ein Feldbordell. Sie handelt davon, was Erinnerung und Vergessen leisten können und was nicht."

Denn Hanka ist Jüdin, eine Jüdin mit grünen Augen, und die Krankenstation, die sie putzt, ist in Auschwitz. Durch ihre Meldung im September 1944 entgeht sie der nächsten Selektion und überlebt den Holocaust. Der tschechische Schriftsteller Arnošt Lustig, selbst Auschwitz-Überlebender, versucht, diese Geschichte mit dem so lange Zeit tabuisierten Thema möglichst realistisch zu beschreiben, er erwähnt viele historische Details, beschreibt minutiös die Ausrüstung der Soldaten, das Essen der Häftlinge, die Massenmorde und die Hinrichtungen, den allgegenwärtigen Sadismus.

Seine zentrale Frage lautet: Nach welcher Moral kann man in einem völlig unmoralischen Land noch leben? Wie konnte eine so kulturbesessene Nation wie die deutsche ein so kulturloses Unglück produzieren? Aber Lustig verliert zu oft den Faden in all den Erzählperspektiven, historischen Fakten und Handlungssträngen, und manchmal gleitet er sogar in üppigsten Kitsch ab. So als Hanka am Ende Zyklon B in den Flachmann eines SS-Oberführers und bekennenden Masochisten und Bondage-Fans gibt.

Außerdem überfrachtet der Autor seine Geschichte mit den vielen Details, mit denen er eine größtmögliche Authentizität erreichen will. Und, am schlimmsten: Er entwickelt seine Personen überhaupt nicht, sie sind und bleiben blass, Abziehbilder, hilflose Zeugen einer entfernten Geschichte. Niemand wird lebendig: nicht die Soldaten, die sich Hankas im Bordell bedienen, nicht der Rabbi, nicht die anderen Zwangsprostituierten und erst recht nicht die Vorzeigenazis, die sich häufig plattesten Fantasien über die künftige Weltherrschaft hingeben. Lustigs Sprache ist sehr distanziert und oft flach, es kommt kein Erzählfluss auf. Aber es scheint doch auch kein Trick zu sein, um den Leser vom Geschehen zu distanzieren, denn man spürt das Bemühen um Lebendigkeit durchaus. Leider ist es nur selten von Erfolg gekrönt.


Titelbild

Arnost Lustig: Deine grünen Augen. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Silvia Morawetz und Werner Schmitz.
Berlin Verlag, Berlin 2007.
286 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783827005762

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch