"Ich bin Rentner geworden, nicht klüger"

Peter O. Chotjewitz' "Fast letzte Erzählungen"

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Das Schreiben ist meine Seinsweise geworden", lautet ein Satz unter dem Titel "Sieben bis elf Zeilen". Ein Notat, das eine Sammlung von 21, meist in Zeitungen und Zeitschriften erschienenen Prosatexten unter dem Titel "Fast letzte Erzählungen" des mittlerweile 73-jährigen Schriftstellers, Übersetzers und Juristen Peter Otto Chotjewitz im Berliner Verbrecher Verlag einleitet. Und in der Tat ist Chotjewitz' Schreiben - ob als Romancier, als Novellist oder als Autor von Sachbüchern und für Theaterbühnen - seit mehr als vierzig Jahren eine "Kreisbewegung", die ästhetisch einen weiten Bogen spannt. So stellte Volker Hage angesichts des schillernden Werks des ehemaligen Wahlverteidigers von Andreas Baader einst die Frage: "Was ist er: ein Nacherzähler, Fabulierer, Arrangeur, Sprachspieler, ein Provokateur, ein ernsthafter Schriftsteller? Von allem etwas? Alles in einem?"

Wer unter dem Titel "Fast letzte Erzählungen" tatsächlich Erzählungen vermutet, sieht seine Erwartungshaltung gleich nach den eingehenden Bemerkungen über das Schreiben als Lebensform enttäuscht. Vielmehr sind die zwischen 1985 und 2006 entstandenen Texte eher Notizen, Skizzen, Essays, Reflexionen, Erinnerungen und Anekdoten. Sie alle schlagen thematisch jedoch einen weiten Bogen: immer wieder umkreisen die Texte Gedanken zum Tod, etwa unter der Überschrift "Was tun, wenn der Tod ...?" und "Tod durchs Nichtstun", sie beschreiben Erinnerungen an Städte und Ortschaften wie Köln, München und Hofacker. Sie beleuchten Fragen der Politik, der jüngeren Zeitgeschichte, etwa die Studentenbewegung und die RAF ("Noch immer kein Frieden", "Nicht versöhnt" und "Besuch bei Klaus") und sie thematisieren künstlerische Strömungen, Beziehungen zu Autorenkollegen und vieles mehr.

So erinnert Chotjewitz beispielsweise in seinem "Club der toten Dichter" an die erste Begegnung 1962 mit Günter Bruno Fuchs, erwähnt Helmut Mader, Manfred Esser, Wolfgang Maier, Reinhard Prießnitz, Gisela Elsner, Ernst Meister oder Hans Jürgen Fröhlich: "Ich erwähne sie, um anzudeuten, dass man in einem Rückblick auf die letzten fünfzig Jahre Literatur zwei Sorten Dichter nicht vergessen sollte: Die Vergessenen und die Toten, die schon zu Lebzeiten kaum beachtet wurden." Flapsig fügt Chotjewitz - wohl durchaus auch selbstkritisch zu lesen - hinzu: "Wer schon zu Lebzeiten im Verschiss ist, kriegt posthum erst recht keinen Lorbeer auf die Rübe. Ihr Werk entsprach einfach nicht den Maßgaben der Leser und Literaturkritiker. Man geht nicht gerne in einen Eierladen, wo es nur einmal im Monat echte Eier gibt, dafür zwei Mal fein geschliffene Kieselsteine, einmal bizarr geformte Frühkartoffeln, einmal getrocknete Hodensäcke führender Literaturkritiker und jeden Tag was anderes: Ostereier, Fahrradklingeln, Grützbeutel usw."

Ähnlich sarkastisch wie ironisch, zeit- wie selbstkritisch hinterfragt Chotjewitz auf wenigen Seiten unter dem Titel "Nicht versöhnt" auch sein Verhältnis zu Andreas Baader. Der 2002 bei "Stern online" erstmals publizierte Text skizziert einen Andreas Baader "voller Widersprüche", um über das ironische Zwischenfazit "Ich bin Rentner geworden, nicht klüger" am Ende zur Feststellung zu gelangen: "Eigentlich weiß ich fast nichts über ihn."

Und im allerletzten Text "Ein Gedicht für niemand", im April 2000 erstmals in der Stuttgarter Zeitung erschienen, notiert Chotjewitz augenzwinkernd: "Mein Traum ist ein hoher Schrank voller Manuskripte für niemand. Und wenn ich dann gestorben bin und sie den Schrank öffnen und meine Manuskripte auf sie herabstürzen, schreibt Oscar Wilde vielleicht einen Essay über mich, in dem es heißen wird: 'Diese seltsame, bezaubernde Gestalt ist ohne Frage ein höchst interessantes Problem."


Titelbild

Peter O. Chotjewitz: Fast letzte Erzählungen.
Verbrecher Verlag, Berlin 2007.
215 Seiten, 13,00 EUR.
ISBN-13: 9783935843843

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