Das verwirrende Spiel mit dem schönen Schein und dem tatsächlichen Sein

Doris Dörries neuer Roman "Und was wird aus mir?" kommt leicht daher, einen bleibenden Eindruck hinterlässt er aber nicht

Von Giovanna MarascoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Giovanna Marasco

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Leben der Stars in Hollywood ist Doris Dörries großes Thema in ihrem neuen Roman "Und was wird aus mir?". Es sind aber nicht die schillernden Geschichten aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, die sie hier in den Mittelpunkt stellt, sondern drei zerstörte Existenzen. Johanna, Rainer und Heidi sind die Helden ihres Buches. Vor vielen Jahren wurden sie mit einem Film, bei dem Rainer Regie führte und die beiden anderen die Hauptrollen spielten, berühmt. Doch dann kam der Absturz.

Johanna verdient nach einer gescheiterten Schauspielkarriere in den USA in Deutschland als Requisiteurin an der Oper ihre Brötchen. Schlimm genug, dass nichts aus der erhofften Berühmtheit geworden ist. Noch viel schlimmer, geradezu peinlich ist ihr weiterer Abstieg. Sie vermasselt die Premiere von "Rigoletto", weil sie die wichtigste Requisite vergessen hat: den Leichensack. Wie konnte das passieren? Johanna kann sich ihren Fauxpas, den wahrscheinlich größten ihres Lebens, einfach nicht erklären: "Bei den Proben sind alle hochzufrieden mit ihr. Nie muß man auf sie warten, sie ist blitzschnell und wundert sich über die Langsamkeit des Theaterbetriebs. Wochenlang schleppt sie Rigoletto seinen Buckel hinterher, obwohl das strenggenommen der Job der Kostümassistentin ist, unermüdlich hält sie dem Duca pünktlich zu jedem Auftritt seinen Degen hin, weil er ihn sonst vergißt. Ein Tenor, lernt sie vom Regieassistenten Ferdinand, hat wegen der hohen Töne, die ihm bis ins Gehirn steigen, dort für sonst nicht mehr viel Platz. Aber auch Sopranistinnen sind sehr vergeßlich. Kein einziges Mal schafft die korpulente Gilda es, sich den blauen Müllsack so hinzulegen, daß sie leicht hineinsteigen kann. Jedesmal wieder muß Johanna ihn säuberlich aufgerollt wie ein Kondom bereithalten, so daß Gilda ihn sich nur noch überziehen braucht. Das hat immer geklappt, bei der Generalprobe lief alles noch wie am Schnürchen." Am Schnürchen lief in Johannas Leben aber schon lange nichts mehr. Die verpatzte Opernaufführung endet damit, dass ihr ein Kollege ins Gesicht spuckt: "You are dead." Frustriert und gedemütigt wird Johanna nach dieser Episode auch noch beim Ladendiebstahl erwischt und flüchtet schließlich zurück in die Vereinigten Staaten.

Rainers Leben begann vielversprechend, aber auch er steht nun vor den Trümmern seines Lebens. Einst ein gefragter Regisseur, nun ein drittklassiger Darsteller, der sich nicht scheut, auch mal einen Nazi zu spielen. Man muss eben nehmen, was kommt. Übrigens hatten Rainer und Johanna mal ein Verhältnis. Aber auch das ist schon längst Geschichte. Alles in seinem Leben ist mehr Schein als Sein: Er wohnt zwar in einer prächtigen Hollywood-Villa, aber auch das hat einen Haken, denn er ist lediglich der housesitter in der Zeit, in der sein Produzent gerade mal nicht an Ort und Stelle weilt. Seine Tochter Allegra kommt ihn in den Ferien besuchen und alles scheint wie früher zu sein. Das zumindest gibt Rainer vor. Dass sein Mobiltelefon abgeschaltet wurde, weil er die Rechnung nicht mehr zahlen konnte - ein eher unwichtiges Detail.

Heidi, die dritte im Bunde, ist damals in Amerika geblieben. Mittlerweile ist sie stark übergewichtig und verdient ihren Lebensunterhalt als Medium. Zufällig channelt sie eine junge Japanerin, Misako, die in genau dem Film eine Statistenrolle besetzte, mit dem Rainer, Johanna und Heidi berühmt wurden. Diese nahm sich das Leben, nachdem ihr Vater pornografische Fotos von ihr entdeckt hatte. Misako ist zum einzigen Halt im Leben von Marko geworden, Rainers heutigem Chef und Stammkunden bei Heidi.

Dies ist der Punkt, an dem Dörries Roman beginnt, ein wenig ins Surreale abzurutschen. Indem sie einen weiteren Erzählstrang einführt, verdichtet sich die Handlung nicht etwa, sondern gerät durcheinander und wird unglaubwürdig. Sie hält zwar ihren Stil konsequent durch, doch die Figur der Misako ist ihr in keinster Weise geglückt. Anfänglich zu undurchsichtig, später dann zu ermüdend zeichnet sie das Bild einer zarten kleinen Frau, die ihr eigenes Unglück nicht erträgt. Brocken für Brocken an Informationen wirft sie dem Leser hin, der sich mühsam die Geschehnisse zusammenklauben muss. Wie ein Fremdkörper wirken die Abschweifungen in das vergangene Leben der Japanerin, die auf den ersten wie auf den letzten Blick nichts zum Geschehen beitragen.

Trotz dieser zwischenzeitlichen Schwäche schafft es Dörrie, ihren Blick auf Menschen und deren Schwächen präzise in Worte zu fassen, so dass das Kopfkino auf Hochtouren läuft. Ein vielleicht nicht ungewollter Effekt für einen Roman, in dem die Oberflächlichkeit des Filmgeschäfts eine Hauptrolle spielt. "Du packst es doch gar nicht, sagte sie kühl. Vor jedem Drehtag bekommst du Durchfall vor Angst. Während des Schnitts leidest du an Depressionen. Vor jeder Premiere kotzt du deine Innereien aus. Bei jeder schlechten Kritik drohst du regelmäßig erst mit Mord und dann mit Selbstmord. Und jetzt stirbst du fast vor Angst, wenn dein Produzent dich anruft."

Wie in einem typischen Hollywood-Blockbuster kommt es auch in Dörries Roman zum großen, und leider etwas vorhersehbaren Showdown. Am Ende kommt alles so wie in der Oper "Rigoletto", nur vor einer moderneren und vermeintlich glamouröseren Kulisse: Die Wege der Protagonisten kreuzen sich, Rainers Chef verführt Tochter Allegra, Rainer will Marko umbringen. Eine Verfolgungsjagd. Ein Stein wird mit diesem Ende ins Rollen gebracht, denn plötzlich wollen alle ihre Vergangenheit bewältigen. Johanna reist zurück nach Deutschland und Rainer schöpft Hoffnung, in Hollywood wieder Fuß zu fassen, mit der Verfilmung der Geschichte seiner Tochter. Ein Schluss, der die Frage offen lässt, warum dies alles derart plötzlich geschieht. Ein Roman also mit einigen Ecken und Kanten, mit Schwachstellen, aber auch starken und amüsanten Momenten.


Titelbild

Doris Dörrie: Und was wird aus mir? Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2007.
384 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-13: 9783257065640

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