Bösartig kultverdächtig

In "Nach Hause" erzählt Eugen Egner neun abgrundtief absurde Geschichten

Von Kathrin UnterbergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kathrin Unterberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass stille Wasser oftmals enorme Untiefen unter ihrer Oberfläche verstecken, ist hinlänglich bekannt und immer schon ein plausibler Grund gewesen, sich diese Fälle genauer anzuschauen. Das vorliegende Buch scheint einer davon zu sein.

Das Cover in unschuldiges Weiß gehüllt, darauf ein harmloses "Nach Hause". Ein Titel, der nicht viel verheißt, wäre da nicht der Untertitel: "Neun makabre Geschichten". Der Blick wandert weiter auf die darunter montierte Zeichnung und stutzt beim Anblick grob gezeichneter menschlicher Körper mit Hundeköpfen, die brav für ein Familienfoto posieren. Spätestens jetzt sollten einige Fragen auftauchen und die erste wird wohl die nach dem Autor sein.

Eugen Egner ist langjährigen Lesern diverser Satirezeitschriften wie dem "Eulenspiegel" oder der "Titanic" schon seit den 1980er-Jahren ein Begriff, aber auch den Jüngeren ist wenn auch nicht sein Name, doch sein Werk sehr vertraut. Egner zeichnete jahrelang für die "Sendung mit der Maus" und begann erst später, auf literarisches Terrain und auf absurderen Boden auszuweichen. Der gebürtige Wuppertaler erhielt im Jahr 2003 den Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor.

"In der Welt habt ihr Angst." Mehr steht nicht auf den ersten Seiten des neuen Werkes, wie eine Warnung, die fälschlicherweise irgendwie an die Stelle der Widmung gelangt ist. Der aus der Bibel entlehnte Satz wirkt kurz, prägnant und nachhallend, ähnlich wie die Geschichten, die folgen.

Die angekündigte Angst ist tatsächlich das Hauptmotiv der Geschichte. Aber es ist nicht der banale Horrorfilmschauer oder die schleichende Panik in düsteren Waldstücken, von denen der Autor hier erzählt. Es ist die dunkle Seite der menschlichen Psyche.

Die Geschichten beginnen alle unauffällig. Es ereignet sich lediglich die ein oder andere Veränderung im Leben der Figuren. Ein Besuch bei den Eltern, eine kleine Erbschaft, ein Spaziergang im Park oder eine Straßenbahnfahrt - und plötzlich geraten diese Durchschnittsmenschen in Situationen, die für sie keinen Sinn ergeben. Nicht dass man als Leser gleich jeden bereits mitgelieferten Hinweis verstehen würde. Auf den ersten Blick erscheint es nur ungewöhnlich, wenn ein Hund "praktisch nie aufhörte zu bellen", aber niemand dagegen einschreitet und das Tier auch nirgendwo zu sehen ist. Ebenso wenig merkwürdig ist ein sonniger Tag, an dem in der Stadt Karneval gefeiert wird, eine junge Frau aber an der falschen Haltestelle aussteigt, weil sie jemand Bekanntes zu sehen glaubte. Gewiss: Fast jeder ist schon mal das Opfer einer Verwechslung geworden oder begegnet Fremden, die anfangen Geschichten zu erzählen, die man nicht hören will. Doch im Verlaufe der Erzählungen verdichten sich die Hinweise, dass das alles irgendwie nicht zu stimmen scheint. Egners "Helden" erleben die weiteren Geschehnisse wie einen Traum, den sie nicht begreifen können. Wie sollte man auch, wenn plötzlich die Gesichter um einen herum hundeartige Züge annehmen, wenn Blutflecken vor der eigenen Haustür auf den Realitätsgehalt des nächtlichen Traumes hindeuten oder alte Fotos Verdrängtes und Grausames zutage fördern. Nur langsam kommt Licht ins Dunkel. Die Sicht und die Gedankengänge der Protagonisten sind der Leitfaden, an den sich der Leser klammern muss, um herauszufinden, wie das gruselig Erahnte Wirklichkeit wird.

Das Ende jeder Geschichte ist dann schließlich erschreckend logisch und gleichzeitig auf surreale Weise anders als gedacht.

Die Texte leben von dieser Unsicherheit, aber auch von Egners prägnantem Sinn für Detailbeschreibungen und Satzkonstruktionen, die auf eine besondere Beobachtungsgabe schließen lassen.


Titelbild

Eugen Egner: Nach Hause. Neun Erzählungen.
Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2007.
185 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-13: 9783861507826

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