Eine Utopie von Wahrheit, Liebe, Freude - doch das Leiden dauert ewig

Rolf Wiggershaus über einen späten Bürger

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bereits 1986 trat Rolf Wiggershaus mit einer voluminösen Untersuchung über "Die Frankfurter Schule" hervor. Nachdem er zwischenzeitlich eine Monographie über Adorno vorgelegt hat, erschien 1998 ein schmales Bändchen zu dem anderen Gründer der Frankfurter Schule, Max Horkheimer, einem "späten Bürger". Einer also der Menschen, über die Horkheimer selbst sagte, sie seien "gerade darum revolutionär, weil sie wissen, was Glück heißt".

Wiggershaus folgt der Biographie Horkheimers und beginnt mit den 1914-17 verfaßten juvenilen Novellen. Schnell wird deutlich, daß sie, aus denen ein scheinbar durch nichts zu erschütternder Glaube an eine Utopie von "Wahrheit, Liebe, Freude", spricht zu unrecht weitgehend unbekannt sind. Von den Novellen des Jünglings springt Wiggershaus unvermittelt zum habilitierten Privatdozenten Ende der 20er Jahre. Die so entstandene Lücke in der Chronologie läßt Horkheimers intensive Auseinandersetzung mit der kantischen Philosophie schmerzlich vermissen. Ebenso unerwähnt wie Horkheimers Dissertation "Zur Antinomie der teleologischen Urteilskraft" (1922) bleibt seine Habilitationsschrift "Über Kants Kritik der Urteilskraft" (1925).

Blendet Wiggershaus die schwierige Auseinandersetzung mit Kants Philosophie aus, so widmet er sich um so intensiver den vergleichsweise leichtfüßig daherkommenden Aphorismen der "Dämmerung", geschrieben 1926-1932. Sie, nicht so sehr philosophisch, sondern eher kultur- und gesellschaftskritisch, werden ausführlich zitiert und gewürdigt. Horkheimers zu dieser Zeit noch recht unbestimmte antikapitalistische Haltung - ein Ökonom allerdings war er nie - entwickelte sich in den 30er Jahren zunehmend zu einer originellen Variante des Westlichen Marxismus, immer aber durchwoben vom Bewußtsein Schopenhauerscher Erkenntnisse, wie Wiggershaus schön herausstellt. Die in dieser Zeit ausgearbeitete "Kritische Theorie der Gesellschaft als aktuelle Form materialistischer Theorie" ist zurecht einer der Schwerpunkte der Einführung.

Leider wird die mit Adorno gegen Ende des Zweiten Weltkrieges gemeinsam verfaßte "Dialektik der Aufklärung", ein philosophiegeschichtlich haltloses geschichtsphilosophisches Konstrukt, auch von Wiggershaus sehr überschätzt. Noch bedauerlicher jedoch ist der Umstand, daß Horkheimers anderes aufklärungskritisches Buch, die wesentlich fundiertere "Kritik der instrumentellen Vernunft", auch bei Wiggershaus im Schatten der gemeinsamen Schrift steht. Was sich darin niederschlägt, daß die "Dialektik der Aufklärung" auf mehr als sieben Seiten gewürdigt, die "Kritik der instrumentellen Vernunft" hingegen auf kaum mehr als einer Seite abgehandelt wird.

Die Erfahrung des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs machten es dem späten Horkheimer "nicht mehr möglich, einen egalitären Materialismus des Glücks zu vertreten." Es ging nun nur noch um "die Hemmung der Durchsetzung der verwalteten Welt", eine eher defensive Haltung. Wie pessimistisch er gegen Ende seines Lebens tatsächlich wurde, wird in Wiggershausens kurzer Einführung allerdings nicht deutlich. So verschweigt Wiggershaus, daß Horkheimer in einem Aphorismus zu Beginn der 60er Jahre selbst "Schopenhauer als Optimist" kritisierte, denn "das Leiden ist ewig."

Trotz einiger kleinerer Schwächen und einer gelegentlich etwas unausgewogenen Gewichtung der Schaffensperioden und theoretischen Schwerpunkte Horkheimers genügt das Bändchen der Aufgabe einer Einführung durchaus. Es ist ein appetizer.

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Rolf Wiggershaus: Max Horkheimer zur Einführung.
Junius Verlag, Hamburg 1998.
129 Seiten, 10,10 EUR.
ISBN-10: 3885069776

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