Ein elektrisches Feld ohne Spannung

Kerri Sakamotos Roman "Das Echo eines langen Tages"

Von Fabienne QuennetRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabienne Quennet

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Erst seit der Veröffentlichung von Joy Kogawas bemerkenswertem Roman "Obasan" im Jahr 1981 ist die Geschichte und politische Situation der Kriegsjahre der japanischstämmigen Kanadier ins (literarische) Bewusstsein gerückt. Die Aufarbeitung der leidvollen Erfahrungen der issei und nisei, der ersten und zweiten Generation von Einwanderern aus Japan während des zweiten Weltkrieges in den USA und Kanada ist ein langsamer Prozess, der bis heute nicht abgeschlossen ist. Im Gegenteil, die Beschäftigung mit diesem Teil der amerikanischen und kanadischen Geschichte hat im Moment zu Recht Konjunktur. Selbst in populärer Literatur, wie zum Beispiel in David Gutersons Bestseller "Schnee, der auf Zedern fällt", werden die Diskriminierung und Internierung japanischstämmiger Immigranten zum viel diskutierten Thema.

Jetzt hat sich Kerri Sakamoto dieses Themas angenommen, ebenfalls in Form eines Romans, mit weitaus weniger Erfolg als David Guterson. Sakamotos weibliche Hauptfigur Saito lebt in einem Provinznest an der Ostküste, wo sie ihren invaliden Vater pflegt und ihren unverheirateten Bruder bemuttert. Wie viele Bewohner dieser kleinen japanischen Gemeinschaft will auch sie die Erfahrungen im Internierungslager an der Westküste Kanadas vergessen. Doch der neuzugezogene Nachbar Yano hält die Erinnerung wach, indem er Wiedergutmachungstreffen für ehemalige Lagerinsassen veranstaltet. Saitos Leben, das bis dahin von Passivität, Lieblosigkeit, Frustration und Gleichgültigkeit geprägt war, wird durch Yanos Familie und Sachi, die Nachbarstochter durcheinander gebracht. Yanos Familie verschwindet, seine Frau Chisako wird tot aufgefunden, neben ihr die Leiche eines Weißen. Sachi ist davon besessen, das Verbrechen aufzuklären und bezieht Saito in ihre Suche mit ein. Ihr kümmerliches Leben wird ihr erst in der Konfrontation mit dem Verschwinden der Familie und ihrer eigenen Rolle darin bewusst.

Die kanadische Autorin Kerri Sakamoto wurde 1961 als Tochter japanischstämmiger Eltern in Toronto geboren. Nach ihrem Studium an der New York University, u. a. bei E. L. Doctorow und Peter Carey, arbeitete sie als Drehbuchautorin für Film und Fernsehen, bevor sie 1998 mit dem Roman "Das Echo eines langen Tages" ("The Electric Field") debütierte.

Das elektrische Feld wird zu einem ambivalenten Symbol dessen, was diese Familien trennt und in die Selbstisolation treibt. Es wird zugleich zu einem Ort der Begegnungen und der zaghaften Kommunikation zwischen den Menschen, die in das Verbrechen involviert sind. Leider vermag es Kerri Sakamoto nicht, die Aufklärung des Verschwindens plausibel und noch dazu spannungsvoll mit den Bewusstseins- und Erinnerungsprozessen Saitos zu verbinden. Lange schleppen sich die Gedanken der Ich-Erzählerin dahin, ohne dass eigentlich erkennbar wird, wohin die Handlung führt oder was Saitos Rolle ist - ihre eventuelle Schuld am Verschwinden von Yano und seiner Familie. Wenn dann am Ende deutlich wird, was sie mit dem Verbrechen zu tun hat, erscheint es wie ein Antiklimax, weil die Autorin nur eine banale Lösung anbietet, die schon von Anfang an zu erwarten war. Saitos verschiedene zwischenmenschlichen Beziehungen werden so stark problematisiert und dramatisiert, dass die Frage auftaucht, wie zum Beispiel der an ihr begangene Missbrauch durch ihren Vater mit Yanos Familie oder mit ihrer Freundschaft zu Sachi zusammenhängt.

Die Autorin will zuviel mit ihrem ersten Roman und vermag es nicht, die verschiedenen Themen, Konflikte und Handlungsstränge miteinander zu verbinden. Zudem gelingt es Kerri Sakamoto nicht, die Hauptfigur fesselnd und überzeugend darzustellen. Im Gegenteil, Saito ist eine unsympathische Erzählerin, die Reaktionen von Mitleid bis völligem Unverständnis hervorruft, aber ihre eigene Geschichte und ihre eigenen Gedanken nie interessant und spannend präsentiert. Die geschichtlichen und politischen Hintergründe der schmerzlichen Erfahrungen von japanischstämmigen Kanadiern während des Zweiten Weltkriegs dienen leider nur als blasser Hintergrund einer persönlichen Auseinandersetzung mit der eigenen Einsamkeit. Auch wenn Kerri Sakamotos Erstlingsroman nicht ganz überzeugen kann, ist es doch der Verdienst der Autorin, dass sie die Problematik dieser Kanadier aufgegriffen hat und sich mit ihnen auseinander setzt. Im Schatten von anderen sicht- und hörbareren Minderheitengruppen haben die asiatischstämmigen Kanadiern ein bisher wenig bekanntes literarisches Leben gefristet. Zu Unrecht, wie wir seit Joy Kogawas "Obasan" wissen; es bleibt auf alle Fälle eine lohnenswerte Aufgabe, diese kanadische Literatur weiterzuverfolgen.

Titelbild

Kerri Sakamoto: Das Echo eines langen Tages.
Claassen Verlag, München 1999.
395 Seiten,
ISBN-10: 3546001621

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