Idiot des Tages

Rachel Cohn erzählt von den Problemen der sechzehnjährigen Cyd Charisse

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Cyd Charisse wieder nach Hause fliegt, gibt es noch ein Abschiedsessen, "und wir konnten mal testen, wie wir als richtige Familie so sein würden. Langweilig ist das erste Wort, das mir in den Sinn kommt." Die üblichen Floskeln folgen: was sie als Erstes machen wird, wenn sie wieder in San Francisco ist, ob sie sich auf die Schule freut. "Ihr wisst schon, das Übliche, wenn sich Leute eigentlich nichts zu sagen haben, aber auch nicht so richtig was gegeneinander haben, was ja schon mal nicht schlecht ist, zumindest für diese Familie." Man bemüht sich, man ist nett zueinander, aber das richtige, das wahre Leben ist es nicht.

Cyd Charisse hat es nicht ganz leicht. Nicht mit ihrer Familie, aber auch nicht mit sich selbst. Sie ist sechzehn, und eigentlich liebt sie Shrimp, aber der weiß nicht, ob er sie noch liebt. Vielleicht hat er auch eine neue Freundin. Um einmal etwas anderes zu tun, um etwas Abstand zu gewinnen und nachdenken zu können, fliegt sie diesen Sommer nach New York, zu ihrem "Echt-Dad", den sie kaum kennt und der wieder geheiratet hat. Dort lernt sie ihre Halbschwester lisBETH und ihren Bruder Danny kennen. Es wird ein spannender Sommer, ein Sommer der Selbstsuche und ein wenig auch der Selbstfindung.

Rachel Cohn erzählt spannend und authentisch aus der Ich-Perspektive von einem etwas gebeutelten Mädchen, das nach und nach selbstbewusster wird. Nach diesem Sommer weiß sie ein wenig besser, was sie will. Zum Beispiel neben der Schule in einem Café zu arbeiten, als Barista, als Barfrau, die vor allem guten Kaffee macht. Denn nicht nur Shrimp hat am Strand von San Francisco das Java-Hutt-Café, auch ihr Bruder Danny aus New York, der restlos von ihr begeistert ist, hat mit seinem Freund ein Café, in dem sie aushelfen darf. Im "Village des Idiots" geht es so familiär zu, dass sie den Gästen von ihren Problemen erzählt, wo nach einer "Mittagsumfrage" beschlossen wurde, dass sie der "Village Idiot du jour" sein sollte: "Laut Umfrageergebnis hätte ich meinem Freund mehr vertrauen und mir selbst etwas sicherer sein sollen, bevor ich ihn der Untreue beschuldigte."

Unkompliziert berichtet Cyd Charisse von ihren Problemen, von ihren Glücksmomenten, von ihren Verwirrungen und Verirrungen. Schnodderig, aber unter dieser etwas abweisenden Schicht sehr gefühlvoll lässt sich Cyd nach und nach auf ihre Gefühle ein. Sie gewinnt nicht nur eine neue Familie, sondern auch ihren Freund wieder. Und ein Leben, über das sie selbst bestimmen kann, weil sie bewiesen hat, dass sie eben kein Kind mehr ist.

Wie eine modernere, lebenslustigere und leichtere "Fänger-im-Roggen"-Geschichte kommt "Coffee, Love & Sugar" daher, fröhlich und sentimental, desillusionierend und aufmunternd, leicht und ernst gleichzeitig. Denn Cyd ist nicht nur das leichtlebige Mädchen, sondern auch eine junge Frau mit Sehnsüchten und Verletzlichkeiten.


Titelbild

Rachel Cohn: Coffee, Love & Sugar.
Beltz Verlagsgruppe, Weinheim 2007.
208 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783407810168

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch