Brechungen

Zu Rüdiger Görners kulturkritischem Versuch "Das Zeitalter des Fraktalen"

Von Martin A. HainzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin A. Hainz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ähnlich wie einst Jean-François Lyotards "Das postmoderne Wissen" ist auch "Das Zeitalter des Fraktalen" von Rüdiger Görner eine Bilanz, ein Bericht, der aufzeigt, was das Denken heute über sich zu sagen wisse. Und ähnlich wie mancher Befund ist auch Görners glänzender Essay zugleich in seiner Diskursivität und sogar Form vom Resultat geprägt, zu dem der Leser also im Lesen kommt.

Es ist ein Befund, der die Aktualität des Romantischen zeigt - es gibt nichts Ganzes, nichts Authentisches mehr, doch die Spannung solcher Begrifflichkeit gewährleistet, der Fiktion, die so benannt ist, nicht zu erliegen, zu wissen, manches "sollte Bruchstück einer großen Intention bleiben": um der Intention willen.

So greift dieser Text denn auch insbesondere die Form auf, die diese Rettung denkbar macht, des Ganzen im Irrealis zu gedenken, sie - oder der Stil - kann das Ganze als Halbes und das Fragment als Referenz auf ein Ganzes evident werden lassen. Implizit wird so fortgesetzt, was Paul de Man formulierte: "Gebrauch und Missbrauch der Sprache lassen sich voneinander nicht streng scheiden. "Missbrauch" der Sprache ist selbstverständlich selbst der Name einer Trope: Katachrese." Görner schreibt, es sei "(d)ie Hauptstilrichtung in der Gegenwartskunst [...] der Stilbruch."

Durch diese Pointiertheit, die das Ganze immer wieder aufspießt, ist dieser Essay mit Gewinn und Lust gleichermaßen zu lesen, durch "Verschleifungen" wird das Singuläre in seiner Relevanz für das Ganze gerettet, das dabei immer wieder suspendiert wird - "to agree to differ" ist dabei eine zentrale Formel. Die Kultur als Enteigentlichung, der Mensch, der sich ohne sie "bestialisiert", alles ist hier in Konstellation gedacht, worin das Projekt adornianisch erscheint, Theodor W. Adorno (und selbstredend Walter Benjamins Passagenwerk) konsultierend, dabei aber fast irritierend schlank. Denn vom Raum des Materials - darin "interagieren die Materialien" - bis hin zu jenem des "Schicksal(s)" ist die Rede.

Er und alles, was sonst die Moderne störte - etwa "Wiederholungszwänge" (Gottfried Benn) - wird hier nobilitiert, und zwar als genuin modern. Ist doch gerade die Postmoderne keine Nachmoderne, sondern die Perpetuierung von deren Intention in der Ahnung, dass die Einlösung derselben vormodern sein müsse. Dieses Post- also streicht sich selbst durch, führt in einen Diskurs, der stringent zur "Pluralektik" verläuft, ist nicht jenes Nach, gegen das Görner eine Suada formuliert, die das Buch eröffnet.

Alles in allem also ist dieser Band glänzend - und allenfalls Fraktales kann in seinem Ganzen missbehagen, fast schon: nach der intentio operis. So, wenn Görner mit Verve das Nach wie erwähnt verdammt, während doch "nichts mehr" derart an uns vorübergehe: nicht mehr wonach..? Doch wenn ein Buch den Kritiker einmal zu solcher Hellhörigkeit nötigt, muss es ein glänzendes sein, glänzend gerade in den Schattierungen und Aufrauungen. Ein Buch, das man der Aufklärung ans gebrochene Herz legen will.


Titelbild

Rüdiger Görner: Das Zeitalter des Fraktalen. Ein kulturkritischer Versuch.
Passagen Verlag, Wien 2007.
102 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-13: 9783851657869

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