Homo polemicus

Georg Schramm deutet die Zeichen der Zeit auf zügellos-zynische Art

Von Jörg von BilavskyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg von Bilavsky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"... auch in Afghanistan können wir uns nicht durchmogeln und zu Hause erzählen: 'Der Tornado-Pilot richtet nur das Visier aufs Ziel, drückt aber nicht selber ab.' Zumal auch ein Tornado nicht immer weiß, wie eine Hochzeitsfeier von oben aussieht. Wobei das ja nur noch selten vorkommt. Wer heiratet heute noch unter freiem Himmel, wenn der Amerikaner in der Nähe ist, frage ich Sie - doch nur Leute, die provozieren wollen." Das knallt, das trifft, das verletzt. Georg Schramm alias Oberstleutnant Sanftleben ist in solchen Momenten ganz in seinem Element, dass da heißt: zügelloser Zynismus. Seine kabarettistischen Kanonaden schlagen denn auch genau dort ein, wo sie am schmerzhaftesten sind - im schlechten Gewissen von Politikern und Bürgern. Von Berufs wegen weiß er, wo dieses sensible Organ sitzt und wie empfindlich es auf Irritationen und Herausforderungen dieses Kalibers reagiert.

Denn bevor der im hessischen Bad Homburg Geborene mit 36 Jahren die Kabarett-Bühne betrat, praktizierte er lange Zeit als Diplom-Psychologe in einer Reha-Klinik am Bodensee. Von der Empathie für seine Patienten ist beim Polit-Provokateur Schramm nichts mehr zu spüren. Die ausgeprägte Kombinations- und Beobachtungsgabe hat sich der Seelenklempner a.D. allerdings bewahrt. Seine Patienten heißen nun aber nicht mehr Meier oder Müller, sondern finden sich in allen Teilen der Gesellschaft. Vornehmlich natürlich in Politik und Wirtschaft, wo allenthalben politisch-moralische Defekte zu diagnostizieren sind und wo sich Widersprüche wie Abgründe auftun.

An diesen Zuständen arbeiten sich natürlich auch andere Kabarettisten in diesem Lande ab. Doch der studierte Psychologe Schramm hat seinen Kollegen vor allem zwei Dinge voraus. Er versteht es meisterlich, andere Persönlichkeiten zu adaptieren und ihnen zugleich seine eigene satirische Botschaft in den Mund zu legen. Diese Gabe hat weder Bruno Jonas noch Mathias Richling, der zwar Edmund Stoiber und Angela Merkel kongenial parodieren, aber keine Alltagstypen mit ihren sonderbaren Macken und Marotten auf die Bühne bringen kann.

Doch Schramm beherrscht diesen Rollentausch perfekt. Das Vexierspiel erlaubt ihm, gewagte Positionen einzunehmen, die Welt aus ihren extremsten Perspektiven zu betrachten und zu beurteilen. Wenn er den ultrakonservativen Rentner Dombrowski gegen die Jugend, Oberstleutnant Sanftleben gegen die Pazifisten oder August, dem Sozialdemokraten, gegen die Abkassierer wettern lässt, dann nimmt der ganz normale Wahnsinn Gestalt an. Dann scheint hinter all den Übertreibungen und Überzeichungen aber auch Schramms eigene politische Haltung durch. Dennoch sorgen seine Auftritte bei vielen Zuschauern immer noch für gewaltige Irritationen. Viele vermögen ihn gerade wegen seiner brutalen Verbalattacken politisch nicht genau einzuschätzen. Was vermutlich daran liegt, das er zwar sozialdemokratisch gefärbt ist, aber als kritischer Geist immer auch seine parteipolitische Unabhängigkeit bewahrt. Er gönnt sich den Luxus einer eigenen Meinung und geht dafür zwar nicht auf die Barrikaden, aber immerhin auf die Bühne.

Das scheint ihm allerdings nicht genug gewesen zu sein, weshalb er nun sein angeblich erstes und einziges Buch geschrieben hat. Zum Glück reiht sich darin nicht ein bekannter oder weniger bekannter Kabaretttext an den anderen. Jedem seiner satirischen Vorträge stellt er immer auch einen ironischen, aber dennoch persönlichen Kommentar voran. Insofern kommen wir hier Georg Schramms eigenen Ansichten - und nicht nur denen seiner Figuren näher. Schramm outet sich darin nämlich mit einer gehörigen Portion Selbstironie als aufgeklärter Preuße mit Prinzipien. Kein Wunder also, dass er dort bohrt, wo klammheimlich oder aber auch ganz offen Menschen- und Bürgerrechte verletzt werden. Wenn es der Aufklärung dient, bricht Schramm gerne auch mal Tabus.

Vielleicht ist das der Grund, dass er guten und wahren Gewissens behaupten kann, dass nicht seine Vergleiche zynisch seien, sondern die Welt. Und wenn man die Texte seiner über 20-jährigen Kabarettlaufbahn jetzt liest, wird man die Wirklichkeit mit anderen Augen zu sehen lernen. Ob man der Welt nur mit Zynismus begegnen kann, bleibt fraglich, aber dennoch ein legitimes Mittel in der Demokratie. Deshalb ist dieser politische Kabarettist für die deutsche Republik auch unverzichtbar. Und vielleicht ist er auch der Einzige, der irgendwann in Dieter Hildebrandts Fußspuren treten kann. Allerdings ficht er rhetorisch nicht mit dem flexiblen Florett, sondern mit dem eisernen Schwert. Mit allen anderen Waffen würde er nur seine Radikalität verlieren. Und das wollen wir doch nicht. Oder?


Titelbild

Georg Schramm: Lassen Sie es mich so sagen. Dombrowski deutet die Zeichen der Zeit.
Blessing Verlag, München 2007.
268 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783896673480

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