Der Vorläufer der Depräsentations-Bewegung

Zum 100. Geburtstag des französischen Autors und Literaturtheoretikers Maurice Blanchot

Von Bernd BlaschkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bernd Blaschke

Geburtstage waren für den Literaturtheoretiker und Erzähler Maurice Blanchot keine bedeutsamenen Daten der Literatur. Sein Werk kreist um den Tod. In immer neuen literarischen wie theoretischen Anläufen erörterte er das Verhältnis von Sprache und Tod. Es ging ihm um die schreibende Annäherungen an das Ende und die Abwesenheit als Herausforderung jeder Repräsentation. Biografisches hat dieser Autor, der zweifellos einer der radikalsten Vertreter einer Eigengesetzlichkeit des Literarischen, eines eigensinnigen 'Literarischen Raums' (wie eine wichtige Aufsatzsammlung von 1955 heißt) und einer Eigenzeit der Literatur war, so konsequent verschwiegen, wie kaum ein anderer. Es exisitieren öffentlich nur drei Fotografien von ihm - zwei aus den Straßburger Studienjahren, eine erbeutet von einem Paparazzo in den 1980ern. Ähnlich wie bei Thomas Pynchon trug dieser Rückzug bei Blanchot gerade im publicitysüchtigen literarischen Leben des 20. Jahrhunderts nicht unwesentlich zu seinem Ruhm bei.

In seinen literarischen Texten wird immer wieder die Grenze des Todes erreicht, überschritten und so manches Mal dann doch weiter gelebt. So ist es nicht ohne Ironie, dass über das Datum seiner Geburt immer noch ein wenig Unklarheit besteht. Die Bibliothèque Nationale nennt weiterhin den 12.12.1907 als Geburtstag, während die meisten Publikationen den 22.9.1907 angeben. Zu diesem Datum gab es in Frankreich nun auch einige Feierlichkeiten zum 100. Jubiläum. Die Zeitschrift "Revue Europe" widmete diesem Anlass eine ganze Nummer. Die "Temps Modernes" (April-Juli 2007) boten ein Dossier zum (Nicht-)Verhältnis von Jean-Paul Sartre und Blanchot. Diese beiden können als die wichtigsten französischen Literaturprogrammatiker nach 1945 gelten. Während Sartres Einfluss auf heutiges Denken und Schreiben - trotz eines kurzen Revivals von Hommagen zu seinem Jubiläum 2005 - vielleicht doch eher im Schwinden ist, könnte das bei Blanchot, der am 20. Februar 2003 starb, anders sein. Seit ihm die Zeitschrift "Critique" unter der Regie von Roger Laporte und Michel Foucault 1966 ein Themenheft widmete, kann man seinen Einfluss auf Theoretiker wie Foucault, Jacques Derrida und Jean-Luc Nancy kaum überschätzen. Während Blanchot in amerikanischen Literaturtheorie-Kreisen Kultstatus genießt und dort zahlreiche Sammelbände und Einführungen zu seinem Werk vorliegen, blieb seine Rezeption in Deutschland auf einen kleinen Kreis von Eingeweihten beschränkt.

Um so mehr ist es zu begrüßen, dass zum 100. Geburtstag einige Texte Blanchots auf deutsch neu- oder wiederaufgelegt werden. Auch die literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit Blanchot darf eine bedeutsame Neuerscheinung verzeichnen. Nach einer wichtigen Doktorarbeit von Gerhard Poppenberg Anfang der 1990er-Jahre (die Blanchots Denken und Schreiben in den Kontext der literaturtheoretischen Diskurse des Nachkriegsfrankreichs stellte) und einer neuen Studie von Andreas Gelhard ("Das Denken des Unmöglichen. Sprache, Tod und Inspiration in den Schriften Maurice Blanchots", Fink Verlag 2005), ist es nun dem umtriebigen kleinen Baseler Verlag von Urs Engeler zu danken, dass er die anschmiegsam und geduldig vorgehenden Blanchot-Lektüren des Zürcher Komparatisten Hans-Jost Frey publizierte. In immer neuen Anläufen kann man hier lernen, was es heißt, schwierige und (vorsätzlich) dunkle Texte zu lesen. Frey geht meist von einzelnen Sätzen aus theoretischen Essays oder literarischen Fabeln des Franzosen aus und erläutert von deren oft paradoxen Formulierungen her, welche text- und repräsentationstheoretischen Herausforderungen von Blanchots Schreiben durchgespielt werden. Die Untersuchung, die wie Frey einräumt, Fragmente einer größer geplanten Blanchot-Monografie versammelt, bietet neben einer Rekonstruktion der Grundgedanken von Blanchots zentralen Essays über "Die Literatur und das Recht auf den Tod" aufschlussreiche Beobachtungen zur Faktur dreier Erzählungen: "Der letzte Mensch"; "Jener, der mich nicht begleitete" und "Das Todesurteil".

Die Grundlagen und Möglichkeiten des Schreibens sowie die Darstellung des Undarstellbaren, vornehmlich des eigenen Todes, beschäftigten Blanchot seit den frühen literarischen Texten. Nach 1945 wurde der Holocaust und das Gedenken der oft spurlos ausgelöschten Opfer des Nazismus zum Horizont von Blanchots Reflexionen. Den durch ihre paradoxen performativen Selbstwidersprüche phantastisch anmutenden Erzählungen der 1930er- und 40er-Jahren folgten in den 50ern wichtige Essays zu Hölderlin, Mallarmé, Musil, Broch, Sade, Woolf und immer wieder zu Kafka. Die Genregrenzen zwischen theoretischem und fiktional erzählerischem Werk wurden seit den späten 1960er-Jahren von Blanchots großen Mischwerken wie "L'Entretien infini" und "L'Écriture du désastre" (das 2005 im Fink Verlag endlich auf deutsch erschien) konsequent aufgehoben. Diese Entgrenzung der Gattungen wie der vorsätzlich fragmentarische Schreibgestus stellen diese Werke des großen Kenners der deutschen Literatur in die Nachfolge der deutschen Frühromantiker und ihrer transgressiven Spekulationen.

Blanchot war dabei immer auch ein radikaler politischer Denker. Vor seiner Tätigkeit als Literaturkritiker seit der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre schrieb er politische Artikel in Zeitungen der französischen, nationalistischen radikalen Rechten. Für einen Einblick in die Debatten um Blanchots politischen Radikalismus erst auf der extremen Rechten, dann auf der Linken ist neben Jeffrey Mehlmans gründlich recherchierten und kenntnisreich kontextualisierenden Publikationen, Gerhard Poppenbergs Rezension zu einer diesbezüglichen Studie von Steven Ungar zu empfehlen. Mit Georges Bataille sowie mit Robert und Monique Antelme war der Schriftsteller seit 1941 befreundet, was seine politische Wende nach links erklären könnte. Enge Bindungen hatte er auch zu Marguerites Duras' (damaligem) Ehemann Dionys Mascolo, mit dem er zu Beginn der 1960er-Jahre das - leider nie verwirklichte - Projekt einer "Revue Internationale" verfolgte, welches man sich wohl als Vorläufer von "Lettre Internationale" als Diskussionsplattform europäischer Intellektueller vorstellen darf. Persönliche und literarische Affinitäten verbanden ihn auch mit René Char und Jean Paulhan.

Im Krieg schloss sich Blanchot der Résistance an und entging seiner schon angeordneten Erschießung nur durch die generöse Tat eines einzelnen Soldaten. Diese Situation hat er viel später in seiner Erzählung "L'Instant de ma mort" (1994) verarbeitet. Nach dem Krieg war er ein leidenschaftlicher Kritiker de Gaulles und des Kolonialismus. So wurde er einer der Initiatoren des 'Manifests der 121', das sich scharf gegen den Algerienkrieg und gegen ein Massaker in Paris richtete. Während der Revolte der 68er beteiligte er sich federführend als (meist anonymer) Redakteur an zahlreichen revolutionären Aufrufen. Direkt engagierte politische Publikationen unterließ Blanchot dann seit den 70er-Jahren weitgehend (eine Ausnahme bildet eine Warnung vor neuem Rasssismus von 1994). In seinen Überlegungen zu einer nicht homogenen Gemeinschaft ("La Communauté inauvouable"), die im Dialog mit Jean Luc Nancys politischer Philosophie fortgeschrieben wurden, befand sich der Vordenker der Differenz, der Unterbrechung und des Aufschubs freilich weiterhin auf der Suche nach neuen, freundschaftlich generösen Modi des Zusammenlebens.

Wie bei Derrida - der Blanchots Schriften unverhohlen unendlich viel verdankt, und der in seinem Buch "Parages" einige der Texte Blanchots seinen bekannt gründlichen Lektüren unterzog - besteht in Blanchots Schreiben ein sehr tiefgründiger Zusammenhang zwischen einer Sprachphilosophie der Differenz, des Aufschubs sowie der Absenz transzendentaler Signifikate und einer Sozialphilosophie der zu respektierenden Differenz des Anderen. Mit Emmanuel Levinas, dem jüdischen Ethiker eines unhintergehbaren Vorrangs des Anderen, verband Blanchot eine enge Freundschaft seit den Tagen des gemeinsamen Studiums von Philosophie und Germanistik im Straßburg der 1920er-Jahre. Zentrale Konzepte im Denken der beiden (etwa ein urprüngliches 'es gibt' / 'il y a', das aller Sprache und Erkenntnis vorausgeht) resultieren wohl aus gemeinsamer Heidegger- und Hegel-Rezeption. Hans Jost Freys Studie, die sich ansonsten zugunsten immanenter Lektüren ausgewählter Blanchot'scher Texte jeglicher biografischen oder auch intertextuellen Bezüge enthält, skizziert hier aufschlussreiche Parallelen zu Schriften Levinas'.

Urs Engeler Editor hat, neben der erwähnten Untersuchung von Hans-Jost Frey zwei weitere der recits von Maurice Blanchot in der feinen, nochmals überarbeiteten Übersetzung von Jürg Laederach als schmucke blaue Bändchen herausgebracht. Damit liegen bei Engeler nun wieder vier dieser als philosophische Bewusstseins-Fabeln wie als radikale avantgardistische Schreib-Exerzitien lesbaren recits in schönen Ausgaben auf deutsch vor. Die von allen stringenten Weltbeschreibungen gereinigten Erzählungen loten immanente Abläufe des Denkens und vor allem Prozesse, Grundlagen und Abgründe des Schreibens aus. Räumliche und zeitliche Koordinaten werden dabei ebenso im Prozess des Schreibens destabilisiert, wie die Erzählperspektivik, die zwischen Ich und Er-Erzähler wechselt - immer auf der Suche nach einem 'neutralen' Modus des Schreibens. Negative Phänomene wie das Warten, die Stille, die Abwesenheit, die Unterbrechung und das Vergessen umkreist dieses Schreiben und macht dadurch das Lesen zu einer provokant reizvollen Herausforderung. Obwohl die Erzählungen Blanchots gut zwanzig Jahre vor den Nouveaux Romans der 60er-Jahre entstanden, erscheinen sie wie radikalisierte, mit Heidegger und Hegel gewürzte Kondensate dieser oft als Anti-Romane bezeichneten Werke, die alle herkömmlichen Kategorien des Erzählens (wie Raum, Zeit, Person, Psychologie, Handlung, Beschreibung, Erzählstimme) im Vollzug des Textes in Frage stellen.

Ursprünglich erschienen die Texte Blanchots auf deutsch übrigens bei Suhrkamp - die ersten schon in den 1960er-Jahren. Auch die Übersetzungen der recits von Jürg Laederach wurden zuerst um 1990 in diesem Verlag veröffentlicht, der ja einst als eine Art Gralshüter modernistischen Denkens und Schreibens fungierte. Suhrkamp durfte für Blanchot, den langjährigen Autor und Berater der Editions Gallimard, duchaus als 'richtiger' deutscher Verlagsort gelten. Ist dies doch auch der deutsche Verlag Samuel Becketts, über den Blanchot kluge Aufsätze publizierte, und der Verlag von Marguerite Duras, mit der er befreundet war. Nun werden wichtige Übersetzungen seiner Werke verstreut von verschiedenen, überwiegend kleineren Verlagen publiziert, deren Engagement für französische Philosophie und für Avantgarde-Literatur gar nicht hoch genug zu rühmen ist. Der Diaphanes Verlag hat soeben eine Auswahl der kleinen politischen Publizistik Blanchots versammelt. Bei Matthes und Seitz wurde nun "Die uneingestehbare Gemeinschaft" erstmals auf deutsch verlegt. Und der Hanser Verlag hat zum Jubiläum eine Neuauflage des Bandes "Das Unzerstörbare. Ein unendliches Gespräch über Sprache, Literatur und Existenz" neu aufgelegt.