Foto-Backlist

Edgar Wolfrum präsentiert eine Leistungsschau der Deutschen Presse-Agentur als Bildgeschichte der Bundesrepublik

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Namen werden mit Bildern verbunden, besondere Ereignisse tauchen in der Erinnerung als Bilder auf, und je einprägsamer eine Nachricht oder eine Geschichte sein soll, desto nachdrücklicher und klarer muss sie illustriert werden. Dass mittelalterliche Kirchen ein umfassendes und wirksames Bildprogramm haben, erklärt sich nicht nur damit, dass ihr Publikum in der Regel nicht lesen konnte, sondern eben auch damit, dass Bilder schneller, direkter und klarer sind, zumindest dann wenn sie klare Bedeutungen aufrufen können. Denn auch das wird an den mittelalterlichen Bildprogrammen deutlich: Mit dem Schwinden des tradierten, vor allem religiösen kulturellen Wissensbestands verschwindet auch das Wissen um Bedeutungen von Symbolen, Gesten und Ausstattungen. In einer Zeit, in der nicht die einzelne Person, sondern das, was sie ist und sein soll, im Vordergrund steht, sind solche Elemente aber entscheidend, um Namen respektive Geschichten Bildern zuordnen zu können.

Das ist in der Gegenwart zwar anders gelöst, aber das Grundproblem besteht auch hier. Die entscheidenden Ereignisse der Bundesrepublik zwischen 1949 und 1980 - und nur über diese gut drei Jahrzehnte berichten die drei Bände Edgar Wolfrums, die den Anlass für diese Überlegungen geben - sind nur dem Zeitgenossen in ihrer damaligen Wirkung präsent, nicht den Nachgeborenen. Der Sprung vom individuellen zum kollektiven Gedächtnis, das auch Ereignisse in die nächste Generation rettet, ist wohl einer der schwierigsten Akte in der Bild- und Kulturgeschichte. Bilder haben dabei eine zentrale Funktion, da sie einprägsam machen, was ansonsten möglicherweise mit der Generation verschwindet, die mit ihnen gelebt haben.

Abgelöst von der eigenen Erinnerung und ohne direkte Verbindung mit dem Bedeutungsreservoir der Zeitgenossen erhalten Ereignisse und ihre Bilder ein merkwürdiges Eigenleben. Die Weltmeisterschaft 1954, das Wunder von Lengede, der Tod Benno Ohnesorgs, Willy Brandts DDR-Reise, der Tod Hanns Martin Schleyers, die Ausbürgerung Wolf Biermanns, der Mauerfall 1989 - es sind immer Bilder, die davon erzählen, die das Ereignis in eine Form bringen und es weiter transportieren. Aber diese Bilder werden mit den Jahren mehr und mehr von anderen Bedeutungen überlagert, als sie zu Beginn hatten. Auch sie haben ihre Karriere, wie eben auch die Ereignisse Karrieren haben.

Das Foto von Ilse Aichinger, Heinrich Böll und Günter Eich, das 1952 auf der Sitzung der Gruppe 47 in Niendorf gemacht wurde und die drei Preisträger der Gruppe der letzten drei Jahre festhielt, ist so etwas wie das Gründungsmanifest des westdeutschen literarischen Neubeginns (auch wenn Ilse Aichinger Österreicherin ist wie die spätere Preisträgerin Ingeborg Bachmann). Diese Bedeutung hat es allerdings erst mit der Karriere der Gruppe 47 und mit der intensiven Beschäftigung mit ihr seit den 1980er-Jahren erhalten. Das Pressefoto aus dem Jahr 1952 ist zweifelsohne der Ausgangspunkt. Was aber wäre, wenn die Gruppe 47 in der Versenkung verschwunden und nicht zur dominanten literarischen Institution der 1960er-Jahre geworden wäre?

Die Bedeutung von VW Käfer, Nierentisch, Pille und Minirock ist heute eine andere als in den Jahren, in denen dies alles Ereignisse waren, die in Bild und Text festgehalten werden mussten. Die Provokationen eines Joseph Beuys sind heute nicht mehr nachvollziehbar. Ebenso wenig, dass es Demonstrationen gegen die Maxi-Mode gegeben hat.

Solche Wahrnehmungs- und Bewertungsverschiebungen haben aber eben nicht nur damit zu tun, dass die Zeit seitdem vergangen ist und wir heutzutage vielleicht klüger, erfahrener, zurückhaltender und weniger aufgeregt wären. Der Grund dafür liegt in der zunehmenden Distanz und der schwindenden Relevanz. Die Ostverträge der sozialliberalen Koalition haben in den frühen 1970er-Jahren die Republik erschüttert. Was aber könnte heute eine ähnliche Tragweite und Wirkung haben? Ein Treffen George Bushs mit Usama Bin Laden? Wer weiß.

Allerdings wird an den drei Bänden zu den ersten drei Jahrzehnten der Bundesrepublik, denen noch zwei weitere Jahrzehntbände folgen sollen, auch noch einiges mehr klar: Sie zeichnen die Bildgeschichte der Bundesrepublik und eben nicht des deutschsprachigen Raums. Zwar finden sich einige Fotos aus der Bildgeschichte der DDR, die ähnlich ikonografisch prägende Bild-Ereigniskombinationen kennt. Aber sie sind selten und haben meist mehr West- als Ostbezug. Im Klartext gesprochen: Wolfrum hat die DDR (und Österreich) draußen gelassen, ohne dies ausdrücklich mitzuteilen: Die deutsche Geschichte wird damit um mindestens einen wichtigen Bereich beschnitten, der konträr zu der Geschichte der Bundesrepublik steht. Das aber ist aus der Perspektive einer Bundesrepublik nach 1990 ein Mangel, gehört doch die DDR-Geschichte damit zur Vorgeschichte der Bundesrepublik und erst recht zur gesamtdeutschen Geschichte der Jahre nach 1949, oder?

Diese perspektivische Verengung kann sich nicht daraus erklären lassen, dass Wolfrum für diese Bildergeschichte das Archiv der Deutschen Presse-Agentur dpa plündert. Denn auch die dpa hatte ihre DDR-Fotoberichterstattung, ist zumindest anzunehmen. Das aber bedeutet, dass der Standpunkt des Herausgebers - vielleicht bewusst, vielleicht aus Nachlässigkeit - definitiv von Westdeutschland geprägt ist.

Aber noch weiter: Wolfrum hat seine bevorzugte Quelle, das dpa-Archiv, vor allem daraufhin abgesucht, welches bedeutsame Ereignis sich hier wie illustrieren lässt. Damit geht Wolfrum eigentlich gegen das Grundmuster vor, das er in seinen Vorreden präsentiert. Er konstruiert eine Ereignisgeschichte, und das dpa-Archiv liefert die Bilder dazu. Nähme man seine Vorreden ernst, dann müsste er eigentlich anders vorgegangen sein, nämlich aus den Bildern heraus eine Geschichte der Bundesrepublik rekonstruiert haben.

Wolfrums Vorgehen lässt sich möglicherweise damit erklären, dass die dpa zwar zu allem Bilder hat, aber nicht unbedingt immer auch jene, die für die betreffenden Ereignisse zu Ikonen wurden. Es fehlen also Bilder, andere Bilder vertreten sie, und das tun sie nicht schlecht, auch wenn sich dadurch der Fokus von der Bildgeschichte zur illustrierten Geschichte verschiebt.

Mit diesem Verfahren wird zudem ein weiteres offensichtlich, nämlich dass unsere Wahrnehmung und Erinnerung von den Medien geprägt sind. Nichts von gesellschaftlicher Relevanz, das nicht zum Foto werden würde. So wie Wolfrum "seine" Geschichte der Bundesrepublik in Bildern präsentiert, so werden Ereignisse durch Bilder überhaupt erst gemacht. Die ikonografische Geschichte der Bundesrepublik ist damit eben vor allem eine Mediengeschichte. Ohne die Medien Zeitschrift, Magazin oder Zeitung (und später Fernsehen) gibt es keine "visuelle Zeitgeschichte". So gesehen sind sie heute an die Stelle der mittelalterlichen Kathedralen getreten, bei denen es allerdings vor allem um das exemplarische Leben der Martyrer ging, nicht um die neueste Sensationsnachricht. Aber niemand kann im Ernst glauben, dass ein Medium durch die Jahrhunderte käme, ohne sich gründlich zu ändern. Interessant wird es zu sehen, was in den beiden noch folgenden Bänden zu sehen sein wird. Immerhin sind wir ja beinahe alle dabei gewesen.


Titelbild

Edgar Wolfrum: Die 50er Jahre. Kalter Krieg und Wirtschaftswunder.
Primus Verlag, Darmstadt 2007.
144 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783896785589

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Edgar Wolfrum: Die 60er Jahre. Eine dynamische Gesellschaft.
Primus Verlag, Darmstadt 2007.
144 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783896785671

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Titelbild

Edgar Wolfrum: Die 70er Jahre. Republik im Aufbruch.
Primus Verlag, Darmstadt 2007.
144 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783896785688

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