Der mit den Identitäten tanzt

William Boyds erster Erzählband erzeugt zwiespältige Gefühle

Von Laslo ScholtzeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Laslo Scholtze

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Spätestens seit seinem Roman „Ruhelos“ steht William Boyd auch in Deutschland im Ruf, zu den herausragenden europäischen Autoren der Gegenwart zu zählen. 1981 begann der in Ghana geborene Schotte seine schriftstellerische Laufbahn als Romancier, 1995 legte er seinen ersten Erzählband vor, der jetzt im Berlin Verlag in der Übersetzung von Chris Hirte erschienen ist.

Die Lektüre der insgesamt elf Texte fällt allerdings zwiespältig aus. Man ist hin- und hergerissen zwischen Bewunderung für eine erzählerisch-sprachliche Souveränität, die ihresgleichen sucht, und Verwunderung über einige skizzenhafte Texte, die man eher als Schreibübung denn als Kurzgeschichte qualifizieren möchte.

Die Zusammenstellung der Texte ist dabei keineswegs beliebig, im Gegenteil, das Konzept des Bandes ist sogar äußerst elaboriert. Boyd lässt seinen Erzähler für jede Geschichte in eine andere Haut schlüpfen. So heißt es zwar stets „Ich“, doch dahinter verbergen sich so unterschiedliche Figuren wie eine Geliebte Pessoas, ein junger Brite in Nizza, ein franco-afrikanischer Avantgarde-Filmer oder Ludwig Wittgenstein, dem Georg Trakl begegnet.

Boyd beherrscht mit seinem lakonischen, ungeheuer präzisen Stil mühelos ein entsprechend breites Spektrum von Gefühlslagen: von Wittgensteins entrückter, gleichsam nüchterner Tiefe, bis zu adoleszenten Gefühlswirren von Studenten auf Sprachstudienreise.

Das Erstaunliche an Boyds Kunst ist, wie selbstverständlich und gebannt man die verschiedenen Erzählerfiguren und ihre Innenwelten akzeptiert und wie nah man ihnen zu sein scheint. Und das trotz der provozierend hohen Frequenz an Identitätswechseln, mit denen Boyd sein „Betrügerhandwerk“ bewusst und virtuos zur Schau stellt.

Es handelt sich hier um Boyds Spezialdisziplin, schließlich ist ihm mit „Nat Tate – an american artist 1928-1960“ eine der aufsehenerregendsten „gefälschten“ Biografien der letzten zwanzig Jahre gelungen. Und auch an seinen anderen Romanen wird von der Kritik immer wieder das Spiel mit Masken und Identitäten als Boyd’sches Spezifikum hervorgehoben.

Der hartnäckigen Annahme des Lesers, dass sich hinter dem, was unter einem Namen zwischen zwei Buchdeckeln veröffentlicht ist, ein einheitliches, psychologisches Zentrum namens Autor verberge, wird dabei einiges zugemutet.

Dass dieser sich spaltet und multipliziert und dabei vorführt, wie täuschend echt er Effekte der Authentizität und Intimität erzeugen kann, ist bisweilen zwar unheimlich oder zumindest geeignet, Misstrauen zu schüren, aber auch erhellend und mitreißend. Jedenfalls entsteht hier, wo sich Einfühlung und desillusionierende Lust am Spiel aneinander reiben, ein Gutteil der Spannung des Erzählbandes.

Davon unberührt bleibt das Problem der narrativen Verknappung und Aussparung, die Boyd mitunter zu weit treibt. Stilistisch wie perspektivisch mag das zwar ambitioniert und auf hohem Niveau vorgetragen sein. Es ändert aber nichts daran, dass einige Erzählungen entschwinden, bevor sie wirklich zu erkennen waren. Hunger auf Geschichten stillen diese Etüden, respektive Präludien nicht. Schon kurz nach der Lektüre beschleicht einen das seltsame Gefühl, nur noch über vage Erinnerungen zu verfügen.

Am wenigsten gilt dies für die titelgebende Hollywood-Satire „Das Schicksal der Nathalie X“, für den mit autobiografischem Material versetzten Tagebuchauszug Wittgensteins, sowie für die beiden Studenten-Geschichten aus Nizza, die allesamt sehr lesenswert sind.

„Kork“, eine bizarre Liebesaffäre Fernando Pessoas, die aus der Perspektive der Geliebten geschildert wird, und „Lunch“, ein kurzer Bericht anhand von kommentierten Speisezetteln über Betrug und den Katzenjammer des enttarnten Betrügers, können sich durch ihre Originalität noch behaupten.

Mindestens für die restlichen Texte aber möchte man sich des charakteristischen Tonfalls unseres „Literaturpapstes“ bedienen und ausrufen: „Wo sind die Geschichten? Dieser Autor schreibt wunderbar, aber er hat uns keine Geschichten zu erzählen! Dabei schreibt er so gut, dass man wünscht, er täte es!“

Titelbild

William Boyd: Das Schicksal der Nathalie X.
Berlin Verlag, Berlin 2007.
188 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783827007179

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