Griff in die Werkzeugkiste

Ein Band thematisiert "Pierre Bourdieus Soziologie der Praxis als Herausforderung für die Frauen- und Geschlechterforschung"

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht selten sprechen WissenschaftlerInnen ganz allgemein von Frauen- und Geschlechterforschung, haben dabei jedoch primär diejenige ihrer jeweils eigenen Disziplin und vielleicht noch die der angrenzenden Fachrichtungen im Kopf, ohne dass sich diese wohl meist allenfalls halbbewusste Haltung allerdings gleich zum bloßen Tunnelblick verengen würde. So verhält es sich auch bei den Herausgeberinnen und Beiträgerinnen des jüngsten Bandes des schon lange als eines der wichtigsten Periodika zu Fragen der Gender Studies etablierten Jahrbuchs für Frauen- und Geschlechterforschung "Querelles". Thema des unter dem Titel "Prekäre Transformationen" stehenden Bandes für das Jahr 2007 ist "Pierre Bourdieus Soziologie der Praxis und ihre Herausforderungen für die Frauen- und Geschlechterforschung". Seine sieben in die drei Rubriken "Selbstreflektivität", "Symbolische Gewalt" und "Soziale Ungleichheit" unterteilten Aufsätze bewegen sich ganz wesentlich auf soziologischem sowie politologischem und auch philosophischem Terrain. Als vierter und fünfter im Bunde treten zu den drei Rubriken ein von der Empfängerin kommentierter Brief Bourdieus an Beate Krais sowie eine Diskussionsrunde, an der sich Ulla Bock, Irene Dölling, Martina Dören, Petra Gehring, Karin Hausen, Gudrun-Axeli Knapp sowie Beate Krais beteiligten.

Wie Bock, Dölling und Krais in ihrer Eigenschaft als Herausgeberinnen betonen, ist mit dem Band die Hoffnung auf eine intensivere Auseinandersetzung der Frauen- und Geschlechterforschung mit Bourdieus "gesamte[m] Werk" verbunden - mithin also nicht nur mit seiner 2005 in deutscher Übersetzung erschienenen Studie "Die männliche Herrschaft", die den konkreten Anlass für den vorliegenden Band bot. Denn, so schließen sich die Herausgeberinnen einem Befund Gudrun-Axeli Knapps und Angelika Wetterers an, außerhalb der Frauen- und Geschlechterforschung gebe es abgesehen von Bourdieus Arbeiten "keine vergleichbar konzentrierte Auseinandersetzung mit Fragen der Ungleichheit und Differenz und dem Zusammenhang von Erkenntniskritik und Gesellschaftskritik". Gleichwohl sei die "Perspektive", die seine Soziologie für die Gender Studies "eröffnet", bisher nicht angemessen gewürdigt worden. Dem soll der vorliegende Band nun den Weg ebnen.

Zwei der Herausgeberinnen, Dölling und Krais, eröffnen ihn mit Überlegungen, wie "Bourdieus Soziologie der Praxis" als "Werkzeugkasten" für die Frauen- und Geschlechterforschung geöffnet und sein "innovative[s] analytische[s] Instrumentarium" genutzt werden kann. Gezeigt werden soll, "dass die 'Erkenntniswerkzeuge', die Bourdieu entwickelt hat, neue Wege weisen, um einige jener 'liegengebliebenen Baustellen' der Frauen- und Geschlechterforschung anzugehen". Allerdings legen die Herausgeberinnen auch Wert auf die Feststellung, dass sie die "Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung bzw. einer dezidierten Kritik" an Bourdieus Soziologie keinesfalls herunterspielen wollen.

In der nach einem Theoriekonzept Bourdieus benannten Rubrik "Symbolische Gewalt" befasst sich mit Angela McRobbie eine namhafte Vertreterin der englischen Cultural Studies mit "Stilberatung und postfeministischer symbolischer Gewalt", Aline Oloff geht "'Geschlecht' im Spiel Doing Diplomacy" nach, Claudia Rademacher untersucht "Geschlechterverhältnisse und symbolische Gewalt im Postfordismus" und Maja Suderland beleuchtet "Männlichkeitskonstruktionen in der sozialen Welt der nationalsozialistischen Konzentrationslager".

Im Abschnitt zu "soziale[n] Ungleichheiten" lässt Bridget Fowler die Lesenden an ihrer Lektüre von Bourdieus "männlicher Herrschaft" teilhaben und Susanne Völker geht der Frage, nach, welche "Strukturierungseffekte" sich durch den postfordistischen "Wandel der Erwerbsarbeit" für die "Herstellung, Re- und Neukonfigurierung von sozialen Ungleichheiten" ergeben.

Hervorzuheben ist Sabine Harks Beitrag über den "Gebrauch der Reflexivität", mit dem die Autorin die Rubrik "Selbstreflexivität" alleine bestreitet. Ihr Plädoyer "[f]ür eine 'klinische' Soziologie der Frauen- und Geschlechterforschung" leitet die Soziologin mit einem Verweis auf die "Parallelen" zwischen Bourdieus "Vorstellung einer Sozialanalyse" und Donna Haraways Theorie des "situierten Wissens" ein. Zwar habe keine andere "Wissensformation" sich so intensiv wie der feministische Wissenschaftsdiskurs der Frage gewidmet, "aus welchen Positionen heraus Menschen Wissen produzieren und distribuieren und welcher Status diesem Wissen zukommt". Merkwürdigerweise sei dabei aber gerade die Frage, wie die "(feministischen) Forschenden" selbst situiert sind, "erstaunlich wenig in den Blick genommen" worden. Dies, so Harks nicht unbegründete Überzeugung, müsse sich ändern. Damit es gelingen kann, schlägt sie ein Reflexionsverfahren vor, das an Bourdieus Verständnis des Begriffs "Reflexivität [...] im Sinne einer methodologischen Grundhaltung" gebunden ist. Diese "Reflexivität", referiert Hark, bezeichne eine "reflexiv verfahrende wissenschaftliche Praxis, die im Kern jene Verschränkungen zwischen den spezifischen sozialen Positionen der Akteurinnen und Akteure in der sozialen wie in der wissenschaftlichen Welt, den durch diese Position geprägten Sichtweisen und den kulturellen Produktionen fokussiert". Nicht die forschenden Subjekte, die nichts weiter als "Platzhalter" für "soziale Relationen" darstellten, seien für die "Auslotung der Möglichkeitsbedingungen des Akts der Objektivierung" von Interesse, sondern vielmehr eben diese Relationen, oder genauer gesagt, die "gesellschaftlichen Möglichkeitsbedingungen und Grenzen des Subjekts der Erkenntnis".


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Ulla Bock / Irene Dölling / Beate Krais (Hg.): Prekäre Transformationen. Pierre Bourdieus Soziologie der Praxis und ihre Herausforderungen für die Frauen- und Geschlechterforschung.
Wallstein Verlag, Göttingen 2007.
248 Seiten,
ISBN-13: 9783835301283

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