Vom Elfenbeinturm in die Niemandsbucht

Zum 65. Geburtstag des Schriftstellers Peter Handke

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Peter Handke liebt das Extreme. Mit seinem umfangreichen literarischen Werk und seinen spektakulären öffentlichen Auftritten hat er stets - und dies bewusst - polarisiert. Als junger Mann brüskierte er im Frühjahr 1966 die arrivierte deutschsprachige Literatengilde der "Gruppe 47" auf ihrer Jahrestagung in Princeton und attestierte der Nachkriegsliteratur eine "Beschreibungsimpotenz".

Ein Mann von 23 Jahren, der gerade seinen ersten Roman "Die Hornissen" durch Alfred Kolleritschs Fürsprache im Suhrkamp Verlag veröffentlicht hatte, verwies Heinrich Böll, Günter Grass, Alfred Andersch, Peter Weiss und all die anderen renommierten Autoren in den Orkus. "Die Sprache bleibt tot, ohne Bewegung, dient nur als Namensschild für die Dinge", lautete sein Vorwurf - nachzulesen im 1972 erschienenen Essayband "Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms". Nur wenige Monate nach seinem Schmäh-Auftritt in Princeton war Peter Handkes Status als Rebell des Literaturbetriebs endgültig manifestiert - nach der von Claus Peymann inszenierten Uraufführung des Theaterstücks "Publikumsbeschimpfung" in Frankfurt am Main.

Peter Handke, der am 6. Dezember 1942 in Griffen (40 km östlich von Klagenfurt) als uneheliches Kind in kleinbürgerlichen Verhältnissen (er selbst bezeichnete sich als "Kleinhäuslersohn") geboren wurde, besuchte zunächst das katholische Internat in Tanzenberg, dann ein Gymnasium in Klagenfurt. Erst kurz vor Beginn seines Jurastudiums in Graz, das er 1966 nach seinen ersten literarischen Erfolgen abbrach, erfuhr Handke, dass der Ehemann seiner Mutter nicht sein leiblicher Vater ist.

Die Finanzierung seines Studiums erfolgte über ein Stipendium, über erteilte Griechisch-Nachhilfestunden und einen Nebenjob in einem Versandhaus. Von dieser Arbeit bei grellem Neonlicht stammt Handkes Augenleiden, gegen das ihm ein Arzt eine Brille mit dunklen Gläsern verschrieb - das Markenzeichen des jungen Handke, der 1973 durch die Verleihung des Georg-Büchner-Preises endgültig literarisch geadelt wurde.

Eine ganze Generation Gymnasiasten und Studenten wurde mit den Handke-Büchern "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter" (1970, später verfilmt von Wim Wenders), "Wunschloses Unglück" (1972), "Der kurze Brief zum langen Anschied" (1972) und "Die linkshändige Frau" (1976, Handke schrieb später auch das Drehbuch zur Verfilmung) literarisch sozialisiert. In den 1970er-Jahren war aus dem enfant terrible eine Art Pop-Star der Literaturszene geworden, der stets prominente Frauen an seiner Seite hatte: die Schauspielerinnen Libgart Schwarz und Sophie Semin (mit denen er jeweils eine Tochter hat), Jeanne Moreau und Katja Flint.

"Der größte Erfolg war ganz einfach der, dass ich schreiben konnte und publiziert wurde. Sich die Zeit zu nehmen, sie fruchten zu lassen, das ist schon ein Erfolg", erklärte Handke in einem Interview auf seine Anfangsjahre rückblickend.

Die Handke-Lesegemeinde wurde stetig kleiner, als sich der seit Anfang der 1990er-Jahre im Pariser Vorort Chaville lebende Autor literarisch immer stärker von der Außenwelt verabschiedete ("Ich habe immer die Einbildung, dass ich Literatur verkörpere") und sich in seinen Werken als selbstbespiegelnder Narziss präsentierte ("Nachmittag eines Schriftstellers", 1987, "Versuch über die Müdigkeit", 1989, "Versuch über die Jukebox", 1990, "Versuch über den geglückten Tag", 1991, "Mein Jahr in der Niemandsbucht", 1994).

Der (auch literarisch) zur Egozentrik neigende Handke pflegte sein Image des enfant terrible über Jahrzehnte nach Kräften. Er gefiel sich in der Rolle des "Schwimmers gegen den Strom", als eine Art ewig-jugendlicher Rebell. Zuletzt erregte er reichlich Aufsehen durch seine Nähe zum serbischen Diktator Slobodan Milosevic, die 1996 mit seinem Buch "Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina" begann, im Juli 2005 mit einem opulenten Aufsatz in der Zeitschrift "Literaturen" untermauert wurde und im März des letzten Jahres mit seiner Rolle als Redner auf der Beerdigung des Diktators ihren Höhepunkt fand. Wenige Monate später verzichtete er wegen der öffentlichen Kritik an seiner Person auf den ihm zugesprochenen Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf.

Peter Handke hat auch in den meisten seiner Bücher die Rolle des Außenseiters wortgewaltig kultiviert; er war nie ein Erzähler im konventionellen Sinn, sondern ein reflektierender Suchender und Beobachter, der das Medium Sprache als Heiligtum pflegt und auf diese Weise (trotz aller Vorbehalte) die deutschsprachige Literatur und auch die Bühnenwelt um eine singuläre Stimme bereichert hat.

Ein "ganz traditionelles Stück, über die Kärntner Partisanen, aber mit weltweiter Gültigkeit" will Handke 2008 in Angriff nehmen. Im Januar erscheint im Suhrkamp Verlag seine neue Erzählung "Samara".