Wie im Himmel, so auf Erden

Giorgio Agamben gibt Einblicke in eine Geschichte der Angelologie und Thomas von Aquin dient als Lückenbüßer

Von Klaus BonnRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Bonn

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schon vor der Lektüre, beim Aufschlagen des Büchleins, mag der Eindruck entstehen, dass es sich hier um eine Mogelpackung handle. Lediglich ein knappes Drittel des Gesamtumfangs ist wirklich Giorgio Agamben vorbehalten, nicht einmal fünfzig Seiten. Der weitaus größte Teil besteht aus Textstellen, die der "Summa Theologica" des Thomas von Aquin entstammen. Ein insgesamt nützliches Vorwort des Herausgebers Andreas Hiepko versucht diesen Umstand nicht zu rechtfertigen, ist sich aber im Klaren darüber, dass es "in gewisser Hinsicht problematisch" sein könnte, den Text Agambens, der sich mit den Engeln befasst, aus seinem Buch "Die Macht und die Herrlichkeit", selbst wiederum der zweite Teilband des zweiten Bandes von "Homo sacer", ausgegliedert zu haben.

Der Auszug "Die Beamten des Himmels. Über Engel" liest sich dann auch nicht wie ein eigenständiger Essay, sondern eben wie ein aus einem größeren Umfeld herausgetrenntes Einzelstück. Die Passagen aus Thomas' Reflexionen über Engel nehmen sich gegenüber den Ausführungen Agambens wie ein Haupttext zum Kommentar aus, und nicht wie ein bloßer Zusatz oder Anhang. Man hätte durchaus anstelle des Scholastikers auch Exzerpte aus Erik Petersons "Theologischen Traktaten", aus der "Homelia in Evangelium" von Gregor dem Großen oder der "Hierarchie" des Pseudo-Dionysius bringen können, auf die sich Agamben ebenso bezieht.

Das so zusammengefügte Buch bietet gleichwohl eine lohnende Lektüre für all jene, die jenseits von verzuckertem Weihnachtsbrimborium und melodramatischem Hollywood etwas über Wesen und Funktion des Engels in der Religionsgeschichte erfahren möchten. Die Einleitung von Hiepko streicht bereits heraus, worum es Agamben vor allem geht, eine "Wesensgleichheit von Engeln und Bürokraten" nämlich. Die Angelologie meint demzufolge eine in fast allen Religionen verwurzelte Reflexion über die Form von Macht, die in unserer Kultur ,Regierung' heißt. Zur Bildung einer Regierung bedarf es, nach Hiepkos stark an Michel Foucaults Diskurs der Machtausübung angelehnten Worten, "einer bipolaren Maschine, die die immanente Engelsmacht, die sich als Exekutive jedes Details annimmt, und die transzendente göttliche Macht, die als allgemeiner Gesetzgeber fungiert, gliedert und koordiniert."

Im Folgenden spürt Agamben zehn kleine Einzelkapitel lang der Doppelfunktion der Engel als Assistenten (also der vor Gottes Angesicht Stehenden) und Ministern nach und stellt Vergleiche an zwischen dem Ordnungsprinzip im Himmel und einer Hierarchie auf Erden. Die Ununterscheidbarkeit letztlich von engelsgleichem und bürokratischem Wesen sieht Agamben vorrangig im Werk Franz Kafkas verwirklicht. "Nicht nur die himmlischen Boten", schreibt er, "sind nach Aufgaben und Ämtern angeordnet, sondern auch die irdischen Beamten nehmen ihrerseits englische Züge an und werden befähigt, wie die Engel zu läutern, zu erleuchten und zu vervollkommnen."

Auch im letzten Abschnitt, in dem es um das Ende der göttlichen Weltregierung geht, nachdem der Messias angekommen ist, stellt Agamben einen Bezug zu Kafka her. Die Gesetze werden dann nicht mehr angewandt, sondern nur noch studiert. "Das letzte, glorreiche telos des Gesetzes und der englischen wie der profanen Macht ist es, außer Kraft gesetzt, unwirksam gemacht zu werden." Ein solches Telos scheint, will man den Faden weiter spinnen, auch die aktuelle, postmessianische Tagespolitik zu unterwandern, wenn es darum geht, Gesetzesentwürfe zu kippen und der jeweils gegnerischen Partei eine Blockadehaltung zum Vorwurf zu machen. Man könnte den Diskurs fortführen und über die Ordnung der göttlichen Gerechtigkeit räsonnieren, von der bei Thomas öfter die Rede ist, um diese dann zu dem parteipolitischen Geschwafel über soziale Gerechtigkeit in Relation zu setzen. Und mit verschmitztem Grinsen würde einem als eine Art Treppenwitz der Geschichte, oder doch eher als Symptom, gewahr, dass eine Regierungschefin mitunter auf den Namen ,Angela' hört. Alles Weitere steht dann auf einem anderen Blatt.


Titelbild

Giorgio Agamben: Die Beamten des Himmels. Über Engel.
Verlag der Weltreligionen, Frankfurt a. M. 2007.
153 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783458710073

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