Romantische Liebe in Zeiten des kalten Kapitalismus

Hinweise auf zwei Taschenbücher der Soziologin Eva Illouz

Von Thomas AnzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Anz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwei mit Recht viel beachtete und gelobte Bücher der israelischen Soziologin Eva Illouz sind jetzt auch als Taschenbücher zu haben: die 2006 erschienenen Adorno-Vorlesungen „Gefühle in Zeiten des Kapitalismus“ und „Der Konsum der Romantik“ (2003 in deutscher Übersetzung). Über die gedruckte Fassung der 2004 in Frankfurt gehaltenen Vorlesungen schrieb unser Rezensent (literaturkritik.de 8/2006), Illouz schaffe auf der Basis auch empirischer Untersuchungen Voraussetzungen einer fundamentalen philosophischen Globalisierungskritik und betreibe darüber hinaus „eine wissenschaftstheoretische Grundlegung des Phänomens der Emotion. Diese scheint, will man Illouz folgen, eng mit unserem analytischen Denken verknüpft, ja ohne Emotionen, so scheint es weiter, gäbe es gar keine Möglichkeit, kritisch oder analytisch zu denken. Es ist, als hätten wir es immer schon gefühlt.“

Das grundlegendere Buch von Illouz ist ein paar Jahre älter. Es stellt die Frage nach dem historischen und gegenwärtigen Zusammenhang von zwei zeitversetzt entstandenen, doch dann bis heute koexistierenden Phänomenen, die weithin als vollkommen gegensätzlich erscheinen: die emotionalen Wärme „romantischer Liebe“ und die zweckrationale Kälte des Kapitalismus. Das Konzept der romantischen Liebe bekennt sich zum „Vorrang der Gefühle vor sozialen und ökonomischen Intereressen, der Zuneigung vor dem Profit“. Es steht einer Vorstellung von Ehe entgegen, in der die Hochzeit, wie der Historiker Theodor Zeldin formulierte, „als die wichtigste Finanzoperation des gesamten Lebens galt“, in der Liebe eine potentielle Gefährdung nicht nur eines finanziellen Kalküls, sondern der ganzen Familien- und Sozialordnung war. Romantische Liebe eröffnet, so Illoux, die Möglichkeit einer anderen sozialen Ordnung, sie vermittelt damit „eine Aura der Transgression, sie verspricht und fordert eine bessere Welt.“

In Anlehnung an den Religionssoziologen Emile Durkheim weist Illoux der romantischen Liebe Merkmale des Sakralen zu. Sie avanciert zur Liebesreligion. Erfahrungen des Heiligen, so hatte Durkheim gezeigt, sind in säkularen Gesellschaften nicht einfach verschwunden, sondern haben sich aus der Sphäre der Religion auf andere Bereiche verlagert, so auch auf den der romantischen Liebe. Und angeregt von dem Anthropologen Victor Turner kennzeichnet Illoux diese als „Liminalität“, als „Schwellenzustand“. Er ist Bestandteil eines Rituals, in der die Hierarchien der sozialen wie ökonomischen Ordnung immer wieder aufgelöst und die Grenzen des Rechtes und der Moral ausgelotet werden.

Die kapitalistische Ordnung selbst enthält und aktiviert allerdings einen für sie zunehmend wichtigen Bereich, der etliche Affinitäten zur Sphäre romantischer Liebe aufweist und sich mit ihr eng verbindet: den Freizeitkonsum. Wie die Liebe bezieht er seine Anziehungskraft aus vielfältigen Verheißungen, den Routinen oder Zwängen der Alltags- und Arbeitsordnung zu entgehen. Ein historisches Eingangskapitel des Buches zeigt: Spätestens seit den Anfängen des 20. Jahrhunderts, als mit der erfolgreichen Erfindung des „Rendezvous“ die Räume zur Anbahnung und Realisierung von Liebesbeziehungen in die Öffentlichkeit verlagert werden – in Kinos, Restaurants, Cafés oder Orte touristisch organisierter Reisen – sind Liebe und Konsum eng aneinander gebunden, geht die Kommerzialisierung der Liebe mit der Romantisierung des Konsums einher, entstehen neue Arten sozialer Ungleichheit und symbolischer Distinktion.

Das ist das zentrale Untersuchungsfeld des Buches. Die Autorin nähert sich ihm mit Anleihen bei Pierrre Bourdieu und diversen Ansätzen der Kulturanthropologie und Soziologie. Ihre vor allem in den USA gesammelten Materialien, deren Symptomatik für die europäische Kultur noch zu überprüfen wäre, sind Bilder der Werbung, Kinofilme, Romane, autobiografische Erzählungen von Interviewpartnern oder Ratgeberkolumnen aus massenhaft verbreiteten Zeitschriften. Sie fungieren als idealtypische Symbolisierungen der wichtigsten Anliegen, Ängste und Träume unserer Kultur. In eine skeptizistische Form von kritischer Theorie, der keine wahre romantische Liebe im falschen, von der Kulturindustrie durchseuchten Kapitalismus möglich erscheint, mündet das Buch nicht ein. Es ist keine Klage über die Kolonialisierung der Emotionen durch den Kommerz. Dazu ist die Autorin zu intensiv durch die Schule der Postmoderne gegangen. An einem maßgeblichen Impuls der Aufklärung und kritischen Theorie hält sie jedoch fest: die Autonomie des Subjekts zu stärken.

Axel Honneth hat die Untersuchungen und Thesen der Autorin in seinem Vorwort derart konzise zusammengefasst, dass man versucht sein könnte, auf die Lektüre des von ihr selbst Geschriebenen zu verzichten. Doch sie lohnt sich. Auch weil Eva Illoux ihr Material so präsentiert, so darüber reflektiert und so darüber schreibt, dass die von ihr behaupteten, am Modell der Psychoanalyse orientierten Ansprüche der Soziologie gerade da eingelöst werden, wo sie zur Emotionsforschung wird: Der Soziologe dürfe sich „Deutungshoheit“ anmaßen, wenn er den sozialen Akteuren „genau zuhört“. Letztlich habe er das Ziel, ihnen die ihr Handeln und Denken bestimmenden Kräfte bewusst zu machen, „und zwar in der Hoffnung, dass sie, indem er ihnen diese Erkenntnis vermittelt, über eine größere Autonomie verfügen werden. Der Soziologe übt seine Deutungshoheit aus, um die Hoheit der Akteure über ihre Selbstdeutung zu stärken oder wiederherzustellen.“

Titelbild

Eva Illouz: Der Konsum der Romantik. Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Andreas Wirthensohn.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
345 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783518294581

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Eva Illouz: Gefühle in Zeiten des Kapitalismus. Adorno-Vorlesungen 2004.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Martin Hartmann.
Suhrkamp Verlag, Franfurt a.M. 2007.
170 Seiten, 9,00 EUR.
ISBN-13: 9783518294574

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