Beschwerliche Spurensuche

Peter O. Chotjewitz erstellt ein Charakterbild von seinem "Freund Klaus"

Von Erhard JöstRSS-Newsfeed neuer Artikel von Erhard Jöst

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Mein Verhältnis zur RAF und zum bewaffneten Kampf war nie emphatisch. Ich wusste vom ersten Tag an, dass ihr Unternehmen keinen Erfolg haben konnte. Dass viele von ihnen dabei draufgehen würden. Wenn eine von ihnen oder einer mich fragte, wie ich zu ihrer Sache stünde, riet ich ab. ,Laßt die Finger davon, Leute. Sie werden euch alle umbringen.' Heute überrascht es mich, dass nur die Hälfte von ihnen umgebracht wurde. Alle Staaten sind verbrecherische Organisationen. Es gehört zu ihrem Wesen. Das ist der Grund, warum ich mich niemals von Menschen distanzieren würde, die den Mut und die Kraft haben, den Staat zu bekämpfen. Warum ich sie stets bewundern werde."

Das ist starker Tobak, den uns der Schriftsteller und ehemalige RAF-Anwalt Peter O. Chotjewitz in seinem Buch "Mein Freund Klaus" da anbietet. Denn so provokante Äußerungen findet man in dem 570 Seiten umfassenden Band häufig. Chotjewitz bezeichnet sein Buch als einen "Roman", und sicherlich hat Klaus Walter mit seiner in der "taz" geäußerten Vermutung Recht, dass er dies lediglich getan hat, um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden: "Gegen Verleumdungsklagen hilft die Gattungsbezeichnung ,Roman' - in dubio pro Fiction." In Wirklichkeit handelt es sich um ein Sachbuch, das allerdings bewusst unsachlich anhand der Biografie einer Person zu einem aufgeregten und aufregenden Zeitabschnitt aus der Geschichte der BRD Stellung bezieht. Kein Roman also, obwohl: Im Sachwörterbuch der Literatur von Gero von Wilpert liest man: "Wie das Epos bringt der Roman einen umfassend angelegten und weitausgesponnenen Zusammenhang zur Darstellung und unterscheidet sich dadurch von der Novelle, aber während das Epos ein breites Totalbild der Welt, der Zeit und der Gesellschaft in bunter Handlungsfülle, doch ohne kausal geschlossenen Geschehensaufbau entfaltet und seinen typenhaften Helden innerhalb des auf typische Ziele und feste Ordnungen ausgerichteten Lebensideals keinen Spielraum zu individueller Persönlichkeits- und Charakterentwicklung lässt, richtet der Roman den Blick auf die einmalig geprägte Einzelpersönlichkeit oder eine Gruppe von Individuen mit ihren Sonderschicksalen in einer wesentlich differenzierteren Welt, in der nach Verlust der alten Ordnungen und Geborgenheiten die Problematik, Zwiespältigkeit, Gefahr und die ständigen Entscheidungsfragen des Daseins an sie herantreten und die ewige Diskrepanz von Ideal und Wirklichkeit, innerer und äußerer Welt, bewusst machen."

Aber - wie auch immer - Klaus Walter könnte auch mit seiner zweiten Vermutung richtig liegen, dass Chotjewitz mit seinem Buch über Klaus Croissant, "neben Andreas Baader eine der meitsgehassten Figuren innerhalb der deutschen Linken", Ärger bekommen wird.

Chotjewitz begab sich auf Spurensuche und machte seinen Nachforschungsprozess transparent. Dabei geht er sogar so weit, dass er Korrekturen nicht im Text vornimmt, sondern anhand von Anmerkungen notiert. Dadurch wirkt das Buch ungeordnet und unfertig, gerade so, als ob die Ausführungen gehetzt zu Papier gebracht worden seien. Sicherlich ist es ein absichtlich eingesetztes Stilmittel des Autors, um den Entstehungsprozess des Romans sichtbar zu machen. Er stellt den ehemaligen RAF-Anwalt Klaus Croissant anhand von eigenen Erinnerungen und anhand von zahlreichen Interviews vor, die er mit Zeitzeugen geführt hat: Weggefährten, Freundinnen, Freunde, Kollegen und Politiker kommen zu Wort. In origineller Weise hat sich Chotjewitz sogar selbst interviewt. Nicht alle waren bereit auszusagen, was beweist, dass dem Thema "Croissant und die RAF" noch heute eine ungeheure Brisanz inne wohnt. In einem Artikel mit dem Titel "Ein Tanz zwischen Leben und Tod" berichtete die Stuttgarter Zeitung in ihrer Ausgabe vom 6. 11. 2007: "Der Schriftsteller und Croissant-Vertraute Peter O. Chotjewitz hat Jahre darauf verwandt, in verborgene Winkel zu schauen. Er hat vieles ans Tageslicht geholt, viele vergessene Querverbindungen nachgezeichnet, aber an der Frauenfrage ist auch er gescheitert. Für sein Buch ,Mein Freund Klaus' hat er nach den Vertreterinnen des Geldadels geforscht, die Croissant nahegestanden und unterstützt haben. Er sei auf ein ,undurchdringliches Gestrüpp' gestoßen, sagt Chotjewitz, und auf eine Heidenangst, sich zu offenbaren. Mehr als 30 Jahre danach. ,Bloß keine Namen' - nur unter dieser Bedingung vermochte er kleine Türspalte zu öffnen, ohne den Blick zu weiten. Wer Geld gegeben hat, wer Croissants Mandanten durch die Salons gereicht hat, weiß auch Chotjewitz nicht."

"Warum überhaupt Klaus?", fragt Chotjewitz gleich zu Beginn des Romans und trägt, alphabetisch geordnet, zusammen: "Advokat des Teufels. Angehimmelt, angeklagt. Anstifter, Ästhet. Aggressiv, antifaschistisch, antideutsch, ausgeschlossen. Apo-Anwalt, Atheist. Beargwöhnt, berüchtigt, berühmt, beschuldigt, beschimpft, bespieen, bespitzelt, bestellt, bewundert, bezichtigt, bisexuell. Bonvivant, Chaotenfreund. Charmant. Denunziant. Dickköpfig, diffamiert, differenziert. Drahtzieher, Ehebrecher, Ehemann. Eigensinnig, eingesperrt, eitel, enttäuscht, evangelisch, fanatisch. Flaneur, Flüchtling. Francophil. Frauenheld, Freund. Freundlich, furchtlos, gehätschelt, gehasst, geküsst, geliebt, gelobt, gepriesen, getätschelt, gottlos. Gourmet. [...] Wahlpflichtverteidiger, Weinkenner, Wirrkopf, Würstchen armes. Zärtlich...".

Eine Menge an aufreizenden, sich zum Teil widersprechender Stichwörter, die auf einen widersprüchlichen Charakter verweisen sollen. Die Statistik lautet: "Ein Sohn - David Boris / Sieben Frauen - Ruth, Ingrid, Brigitte, Charlotte, Alice, Brigitte, Cornelia / Viele Freunde / Fünf Jahre Knast / Viele Feinde / Keine Heimat / Kein Nachlass / Ein Grab in Dahlem-Dorf / Eine Hoffnung."

Auf die vorweg gestellte Frage "Wie war Klaus?" kommt die Antwort: "Ich weiß es nicht." "Du weißt es nicht? Fragen die Leute erstaunt. Du hast drei Jahre lang recherchiert. Hundert Leute befragt. Seine Reden und Aufsätze gelesen. Die Haftbefehle, Anklageschriften und Urteile. Hundert Zeitungsartikel und Aufsätze über ihn. Du hast ihn gekannt. [...] Und du weißt es nicht? Sag mal, willst Du mich verarschen? Ach, sage ich, weißt Du. Die zwei, drei Dinge, die ich über ihn weiß, wie Godard gesagt hätte. Was ist das schon?" Chotjewitz präsentiert in subjektiver Weise eine Vielzahl von Fakten, und dennoch wird der Leser ihm am Ende der Lektüre seines Buchs beipflichten und aufs Neue die Frage stellen: Wer war dieser Klaus Croissant?

Auf der Suche nach einer Antwort, die er am Ende doch nicht geben kann, betrieb Chotjewitz genealogische Nachforschungen, besuchte die Orte wie Kirchheim unter Teck und Edenkoben, die für die Familie Croissant eine Bedeutung hatten. Er wollte die Bürgerlichkeit der Familie Croissant belegen, was ihm durchaus gelungen ist. Allerdings hätten die Kapitel über die Familiengeschichte nicht so breit ausfallen müssen. Sicherlich hätten auch die Beschreibungen der Orte und Lokalitäten, in denen sich Croissants Leben in Heidelberg, Stuttgart, Berlin, Paris et cetera abspielte, nicht so weitschweifig sein müssen. "Ich schreibe als Detektiv, der hinter der Figur als Rechercheur herreist" erläutert Chotjewitz in einem Gespräch über sein Buch, "mal die Leute befragt, mal liest, mal sich ein Haus anschaut, mal reflektiert. Der Autor bewegt sich auf verschiedenen Ebenen, es geht sogar so weit, dass er manchmal phantasiert, Selbstgespräche führt. An einer Stelle blickt er hinter sich her, wie er weggeht. (...) Mich hat eigentlich die Recherche mehr interessiert als das Ergebnis."

Chotjewitz zeichnet von den RAF-Mitgliedern, besonders von Andreas Baader, aber auch von Personen aus der so genannten Sympathisanten-Szene oft ein anderes, ein konträres Bild, als wir es aus der gängigen und weit verbreiteten Literatur und den TV-Dokumentationsfilmen kennen. Und er empfiehlt mit Nachdruck die Schriften (etwa von Pieter Bakker Schut), die von der bürgerlichen Öffentlichkeit verworfen oder verschwiegen wurden.

Chotjewitz ruft schmerzhaft Vorfälle in Erinnerung, über die seit Jahren der Mantel des Schweigens gehängt wurde: Der Tod von Günter Sonnenberg und Walter Grams, die Vorgänge um Birgit Hogefeld, der "miserabel dokumentierte" Fall McLeod, zu dem kein Untersuchungsbericht veröffentlicht wurde: Der schottische Geschäftsmann McLeod wurde in Stuttgart durch die verschlossene Tür seines Schlafzimmers erschossen. Die Polizei hatte fälschlich vermutet, dass seine Wohnung von der RAF als konspirativer Treffpunkt benutzt wurde. Bitter kommentiert Chotjewitz: "Wie viele Menschen versehentlich oder aus vermeintlicher Notwehr erschossen wurden, habe ich nicht geprüft." Zwar gelingt es ihm nirgendwo, einen der angesprochenen Fälle zweifelsfrei aufzuklären, aber er kann nachhaltig Zweifel an den offiziellen Versionen zu den Tathergängen nähren.

Chotjewitz führt Croissants Handlungen in dessen letztem Lebensabschnitt auf das Schlüsselerlebnis Stammheim zurück: Croissants Vertrauen in den Rechtsstaat war durch das Stammheimer RAF-Verfahren in seinen Grundfesten erschüttert worden. Das Buch "Mein Freund Klaus" macht diesen Vorgang nachvollziehbar. Schließlich wurden die RAF-Anwälte selbst wie Staatsfeinde rund um die Uhr überwacht und kriminalisiert, und sie mussten ständig befürchten, dass man ihnen die Lizenz entzieht und wie Klaus Croissant ein Berufsverbot erteilt.

Glaubhaft erscheint die Aussage, "dass es definitiv unmöglich war, etwas (aus dem Stammheimer Gefängnistrakt) rein- oder rauszuschmuggeln", denn "der Gefangene wurde vor und nach jedem Besuch nackt ausgezogen und visitiert". Erschütternd auch noch aus der zeitlichen Distanz ist die Schilderung der Isolationsfolter: "Indem die Psyche des Gefangenen gebrochen wird, ist er manipulierbar".

Einseitig wie das ganze Buch fällt auch der Klappentext auf der Buchrückseite aus: "Der Hass, mit dem er verfolgt wurde, war eine Reaktion auf die Vehemenz, mit der er sich in der Öffentlichkeit für Leib und Leben der Gefangenen aus der RAF einsetzte. Für den Staat, die Bundesanwälte, die Presse und große Teile der Öffentlichkeit war er ein Nestbeschmutzer. Seine unpopuläre These war, dass auch die Gefangenen aus der RAF Anspruch auf rechtsstaatliche Behandlung hätten. Ich meine, er hat sich, wie die amtliche Formulierung lautet, um das Vaterland verdient gemacht." Im Pressetext zu dem Buch wird es so vorgestellt: "Von 1931 bis 2002 reicht der beklemmende Bilderbogen dieser deutschen Unrechtsgeschichte. Jeder Rechtsspruch ein Rechtsbruch."

In einem Gespräch mit dem "Literaturblatt Baden-Württemberg" erläutert Chotjewitz: "Ich dachte mir, wenn jemand 1931 geboren ist, hat er doch zunächst einmal die vierziger und fünfziger Jahre erlebt, deshalb bilden in meinem Buch nur etwa zwei Fünftel die Jahre 1969 bis 1980 ab. Was mir beim Schreiben mehr noch als beim Recherchieren aufgefallen war, ist, wie stark dieses Buch in Stuttgart spielt." Chotjewitz möchte mit seinem Roman die gängigen Darstellungen von Croissant in Frage stellen: "Ich dachte mir, in einem solchen Fall ist es besonders wichtig zu zeigen, dass die beschreibbare Oberfläche des Menschen immer das Ergebnis von Beobachtungen und Meinungen und Wahrnehmungen ist. Deshalb war es für mich bald klar, dass ich ein Buch über Wahrnehmungen schreiben muss und nicht über eine Person."

"Mein Freund Klaus" ist ein notwendiges Buch. Verworren und verwirrend, denk-anstößig und irritierend, redundant und einseitig. Chotjewitz wollte die Bourgeoisie beschreiben, "die nicht sieht, dass das Schreckliche immer ein Teil von ihr ist und aus ihr herauskriecht, ob das nun der Faschismus ist oder der linksradikale Widerstand." Diese Beschreibung ist ihm gelungen.


Titelbild

Peter O. Chotjewitz: Mein Freund Klaus.
Verbrecher Verlag, Berlin 2007.
570 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783935843898

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