Grenzen und Entgrenzungen - Studien über Kulturkonflikte und Kulturkontakte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Politische Statements, vor allem aber die seit dem Fall der Berliner Mauer eingetretenen politischen Entwicklungen haben in den letzten Jahren in den verschiedensten Forschungsdisziplinen das Interesse geweckt, über das Phänomen 'Grenze' neu nachzudenken und dabei auch die eigenen Positionen zu Fragen der Grenzziehung zu reflektieren. An der Universität Innsbruck beschäftigt sich seit dem Jahr 2002 ein interdisziplinär zusammengesetztes Forschungsteam mit derartigen Fragen, namentlich mit Fragen des Kulturkonflikts und des Kulturkontakts. Der Sammelband vermittelt eine erste Bilanz dieser Beschäftigung - es ist eine in vielem brisante Bilanz.

Eine brisante Bilanz, weil als Untersuchungsraum für die hier gesammelten Beiträge der Mittelmeerraum gewählt worden ist; wobei, das versteht sich, nicht nur die EU-Mittelmeeranrainer und die Türkei, sondern auch die in den EU-Debatten gewöhnlich allenfalls am Rand beachteten Regionen ins Blickfeld kommen.

Eine brisante Bilanz auch deshalb, weil die territorialen und kulturellen Grenzziehungen in diesem Raum, indem sie hier von der Antike bis zur Gegenwart verfolgt werden, als Setzungen erscheinen, die einem ständigen Wandel unterworfen und demnach alles andere als bruchsicher sind.

Eine brisante Bilanz nicht zuletzt darum, weil der mediterrane Raum hier keineswegs aus einem einzigen Blickwinkel gesehen, sondern vielmehr immer wieder aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet wird. Im Spiegel orientalischer Quellen stellt sich beispielsweise das Verhältnis zwischen den Hellenen und den Barbaren anders dar als in Sparta oder Athen.

So aber erscheint der gesamte 'Untersuchungsraum' in einem neuen Licht. Das früher an die Peripherie Gedrängte rückt ins Zentrum, früher auf's Zentrum fixierte Perspektiven geraten ins Zwielicht. Und die als Rekonstruktionen ausgewiesenen Grenzziehungen der Historiografie und der diversen Literaturwissenschaften werden auf dem Prüfstand der Konzepte der Transkulturalität in den Status mehr oder weniger haltbarer Konstruktionen zurückversetzt.

Die Beiträge dieses Bandes vermitteln Anregungen auch zu weiteren wissenschaftlichen Arbeiten; Anregungen, so zu arbeiten, wie es in der 'mehrsprachigen' Literatur (Schmitz-Emans) längst schon der Brauch ist: sowohl die Perspektive des Tasso wie auch die des Antonio, sowohl die Stimme des Jason wie auch die der Medea aufzunehmen - ohne den Anwälten der Gleichgültigkeit damit schon entgegen zu kommen oder gar beizupflichten.

J.H.


Titelbild

Beate Burtscher-Bechter / Peter W. Haider / Birgit Mertz-Baumgartner / Robert Rollinger (Hg.): Grenzen und Entgrenzungen. Historische und kulturwissenschaftliche Überlegungen am Beispiel des Mittelmeerraums.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2006.
372 Seiten, 48,00 EUR.
ISBN-10: 382603449X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch