Rätsels Niedergang

Ian Rankins Krimis überleben sich - oder auch nicht

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Krimiautoren haben ein generelles Problem: Woher kommt nur der nächste gute Plot? Gerade in den Zeiten, in denen die Leser mit ihren Helden älter werden und sie über Jahre hinweg bis hin zu einer Vertrautheit begleiten, die sie gelegentlich nicht einmal zu ihren realen Lebensgefährten aufbauen; gerade auch, wenn Krimis nicht nur das crimen, die Untat verfolgen, sondern auch noch eine politische oder moralische Botschaft vermitteln sollen, geraten das Verbrechen und sein Hergang gelegentlich ein wenig kompliziert und unwahrscheinlich. Nun ist das Leben, wie man gelegentlich lesen kann, sehr viel seltsamer und ausgefallener als die Fiktion. Aber in der erfundenen Welt gelten recht strenge Regeln, in denen Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit mit dem Einfachen eine enge Verbindung eingehen. Mit anderen Worten: wird der Plot zu kompliziert, zu unwahrscheinlich oder einfach nur zu dämlich, dann kann der Krimi noch so große Qualitäten auf anderen Gebieten haben, er wird seine Leser verlieren. Das macht das Leben für Krimischreiber nicht einfacher, weil sie ja - als gute Hitchcock-Schüler - zudem immer im Hinterkopf haben müssen, dass sie ausreichend suspense einbauen. Also nichts darf so sein, wie es auf den ersten Blick scheint. Der Mörder ist nicht der Mörder und der Gute nicht der Gute und mit einigem Geschick ist nicht einmal das Opfer das Opfer.

In einem solchen Dilemma auch noch gute Romane zu schreiben ist nicht einfach. Auch nicht für Ian Rankin. 16 Krimis hat er bislang auf deutsch vorgelegt, in denen John Rebus den allein ausreitenden Helden macht und, wenn er nicht den Verbrecher seiner gerechten Strafe zuführt, so doch wenigstens das Rätsel löst, das ihm sein Autor aufgegeben hat. An seine Eskapaden haben wir uns gewöhnt, nein, wir lieben sie. Dass er sich damit bei seinen Vorgesetzten nicht beliebt macht, glauben wir unbesehen - aber wer will bei solchen Idioten und Weicheiern schon beliebt sein? Dass der Held gute Musik hört, ist eine der angenehmen Konstanten in Rankins Rebus-Kosmos - vielleicht sollte er Nick Hornby Konkurrenz machen und mal ein Buch, vielleicht einen Krimi über Popmusik schreiben? Dass Rebus zuviel trinkt und zuviel allein ist, wissen wir nun. Und dass sein Verhältnis zum Oberganoven Edinburghs Cafferty von Abneigung und Abhängigkeit bestimmt ist, gehört zu den Konstanten der Rankin-Romane.

Ohne Zweifel ist es zudem sehr ehrenwert, dass sich Rankin mehr und mehr mit aktuellen politischen Themen beschäftigt und sich nicht mehr auf das allzu gängige Schema von der Korruptheit der Politik verlässt. In "So soll er sterben" nahm er die Einwanderungspolitik der EU und Großbritanniens aufs Korn. Jetzt nimmt er den G8-Gipfel in Edinburgh auf und lässt seine Verbrechen im Umfeld der schwer bewachten Großen dieser Welt geschehen.

Erst wird ein Regierungsmitglied von den Zinnen einer Burg gestürzt, dann werden die Eltern von Siobhan Clarke auf einer Demo verprügelt und so weiter. Selbstverständlich sind das genügend Gelegenheiten, sich über diese Welt auszulassen, in der 150 Millionen Pfund dafür ausgegeben werden, dass sich die acht mächtigsten Ministerpräsidenten, Kanzler und sonstigen Regierungsvorsitzenden treffen können, um mit großem Tamtam zu unterzeichnen, was vorher schon beschlossen wurde. Selbstverständlich ist es auch Gelegenheit genug, den ritualisierten Demo-Tanz und die merkwürdige Zweiteilung der Welt in Polizisten und Demonstranten aus Korn zu nehmen. Es ist naheliegend, dass die Protestkultur ihre ebenso irrationalen und lächerlichen Eigenheiten hat wie die Normalkultur der Polizisten: Den Mollis und Müslis, denen man mit Grünkernbratlingen eine Freude machen kann, stehen die uniformierten Schnauzerträger gegenüber, die nach Abschluss der Einsätze nochmal eben in den Puff oder zum Tabledance müssen, um dort nochmal die Sau rauszulassen.

Im Vergleich dazu sehen der einsame und versoffene John Rebus und seine Nachfolgerin Siobhan Clarke schon beinahe wie die einzigen aus, die noch einigermaßen normal sind - so sehr sie sich auch vom Rest der Welt unterscheiden. Immerhin sind sie einem Ethos verpflichtet, der da sagt, dass ein Verbrechen aufgeklärt gehört, egal was es kostet: die Karriere, den Ruf des Landes oder sonst irgendetwas.

Anderseits soll man einen Autor wie Rankin nicht unterschätzen. Routine und Spieltrieb können zu Lösungen führen, die im Gegensatz zu den Prinzipien des Genres stehen. Unter dem ganzen erzählerischen Getöse, mit dem Rankin den Bedürfnissen seiner Leser nach schottisch-extremer Lebensart nachkommt, versteckt sich möglicherweise ein subversiver Gedanke. Was nämlich zu Beginn als der Faden ausschaut, mit dem sich ein gigantisches, Industrie- und Entwicklungsländer umfassendes Komplott entwickeln lässt, bleibt am Ende nur ein Mord und noch ein Mord und ein Betrug hier und Finanzdreck am Stecken jenes. Und das ist ein sehr wirksames Antidot gegen die Idee, dass die Welt eh nur eine gigantische Verschwörung zu Lasten der normalen Menschen sei. Wenn dem so ist, dann ist Rankin wirklich einer der ganz Großen.


Titelbild

Ian Rankin: Im Namen der Toten. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Juliane Gräbener-Müller.
Manhattan Verlag, München 2007.
587 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783442546060

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