Tyrannosaurus Sex

Jack Holland schreibt die Geschichte des Frauenhasses

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Der Mensch ist frei geboren und überall liegt er in Ketten", konstatierte Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) im Jahre 1762 zu Beginn seines Werkes über den "Gesellschaftsvertrag". Fast könnte man meinen, der berühmte Mann habe sich von einer ganz zu Unrecht weit weniger berühmten Frau zu seinem prominenten Topos inspirieren lassen. Denn bereits einige Jahrzehnte zuvor hatte die englische Philosophin Mary Astell (1668-1731) geklagt: "Wenn alle Menschen frei geboren sind, wie kommt es dann, dass alle Frauen in die Sklaverei geboren wurden?"

Nicht nur die Beantwortung dieser Frage, sondern einer Geschichte der Misogynie von ihren Anfängen bis in die Gegenwart hinein verspricht ein nun im Zweitausendeins Verlag erschienenes Buch. Der 2004 verstorbene Literat und Sachbuchautor Jack Holland hat es verfasst und seine Tochter Jenny Holland hat es postum herausgegeben.

Dass hier ein geübter Autor und mit Waltraud Götting eine nicht minder geübte Übersetzerin am Werk waren, macht der anschauliche Stil schnell deutlich, der immer wieder mit schlagenden Beispielen sowie augenöffnenden Bildern und Metaphern überrascht. Köstlich etwa ist Hollands Charakterisierung Jehovas: Er "war schnell beleidigt, witterte Sünde an jeder Ecke und saß, metaphorisch gesprochen, ständig mit dem Finger am Atomknopf im Himmel des Alten Testaments". Doch glänzt das Buch nicht nur mit spritzigen Formulierungen, sondern auch mit einer griffigen Unterscheidung seines Gegenstandes von allen anderen Formen menschlichen Hasses. Einzig und allein bei der Misogynie spiele das "elementare Bedürfnis, das Verlangen des Mannes nach der Frau und der Frau nach dem Mann" eine Rolle. Das ist ziemlich überzeugend, aber doch nicht ganz. Denn was ist mit Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit?

Macht der leichte und manchmal auch einwenig boshafte Stil des Buches trotz seines unerfreulichen Themas die Lektüre immer wieder zum Vergnügen, so liegt gerade darin auch eine Gefahr. Denn verschiedentlich lässt der Autor die Genauigkeit seiner Darstellung und Argumentation zugunsten einer schmissigen Formulierung fahren. Auch leidet er an einem allzu ausgeprägten Hang zu Superlativen. Da ist das Christentum der "kämpferischste Eroberungstrupp" der "abendländischen Kultur" und "Aristoteles ist als einer der erbittertsten Frauenhasser aller Zeiten in die Geschichte eingegangen". Angesichtes eines die Antike bis zur Postmoderne umspannenden Zeitraumes ist diese Formulierung hier zwar nicht so schwachsinnig wie der Werbespruch eines Fernsehsenders, der den Zuschauenden in Aussicht stellt, die "besten Filmen aller Zeiten" gezeigt zu bekommen, dennoch ermüdet es doch sehr, diese Unüberbietbarkeit versprechende Wendung immer und immer wieder lesen zu müssen. Innerhalb weniger Seiten treten etwa Jean-Jacques Rousseau, als "der wahrscheinlich einflussreichste Frauenfeind aller Zeiten", "Fanny Hill" als "vermutlich meistverkaufte[r] pornographische[r] Roman aller Zeiten" und de Sade als der "berüchtigste Schriftsteller aller Zeiten" auf. Seine Figur Juliette als "eine Art Tyrannosaurus Sex" vorzustellen, ist hingegen ganz originell. Wenngleich das Wort wohl eher auf so manchen fiktiven wie auch realen Mann zu münzen wäre.

Misslich, da oft kurzschlüssig sind auch die allzu häufig gezogen Parallelen von meist antiken Haltungen und Geschehnissen zu aktuellen. Nur einige seien hier angeführt: "Wenn Platon Sex als Mittel zu dem alleinigen Zweck propagiert, eine 'Elite zu züchten', nimmt er die nationalsozialistische Vision der Herrenrasse vorweg", "Paulus [...] war für das Christentum, was Lenin für den Marxismus war", Augustinus' "beeindruckende 'Bekenntnisse'" seien "wie eine Fernseh-Talkshow" und die "Weißheiten afrikanischer Medizinmänner" wiesen "Parallelen" mit Sigmund Freuds "Lehren" auf, worüber auch nicht "hinwegtäuschen" könne, dass letztere "im blütenweißen Kittel der Wissenschaft daherkommen".

Bei fortschreitender Lektüre machen sich weitere Schwächen bemerkbar, deren gravierendste darin besteht, dass der Untertitel des Buches zwar eine "Geschichte des Frauenhasses" auslobt, das Buch tatsächlich aber nur eine des 'westlichen' vorzugsweise des europäischen bietet. Frauenrechtsverletzungen in anderen Erdteilen wie etwa diejenigen der Taliban werden nur am Rande erwähnt. Erst in der zweiten Hälfte des Buches konstatiert Holland eher beiläufig, dass Misogynie "keine ausschließlich in der ,westlichen Kultur' verbreitete Erscheinung" ist, und widmet einige wenige Seiten der Frauenverachtung im fernen Südostasien, um sich allerdings sogleich wieder der 'westlichen' Misogynie zuzuwenden. Doch auch eine Geschichte des Frauenhasses in den westlichen Kulturen zu verfassen ist immer noch eine beachtliche Leistung.

Dass sich der Autor auf diese beschränkt, kann man schon auf der dritten Seite der Einleitung erahnen. Denn hier erklärt er, dass der "Weg der Misogynie [...] von den luftigen Höhen des Denkens griechischer Philosophen [...] bis auf die Autobahnen um Los Angeles [reicht], wo Serienmörder eine blutige Spur verstümmelter Frauenleichen hinterlassen haben". Zur Gewissheit wird diese Ahnung spätestens nach der Lektüre von zehn weiteren Seiten. Denn nun datiert der Autor den "Ursprung" des Frauenhasses auf das 8. vorchristliche Jahrhundert und nennt auch gleich dessen Entstehungsort: den "östlichen Mittelmeerraum". Dort lebte seinerzeit ein - wie ihn der Autor recht despektierlich charakterisiert - "Bauer, der sich zum Dichter berufen fühlte". Gemeint ist kein geringerer als Hesiodos, mit dessen "Theogonia" Holland den Frauenhass in die Welt treten sieht, was denn allerdings doch zu viel der 'Ehre' für den Herrn aus dem in Böotien gelegenen Örtchen Askra ist.

Hollands implizite Begründungen für Ursprungsort und -zeit der Misogynie fallen recht dürftig aus. Die Datierung der Genesis der Misogynie auf das 8. vorchristliche Jahrhundert hindert den Autor gegen Ende des Buches denn auch nicht an der weit zutreffenderen Feststellung: "Lange bevor die Menschen das Rad erfunden haben, erfanden sie die Misogynie".

Der Grund dafür, dass Holland ihren Beginn in die Antike verlegt, gründet vermutlich vor allem in dem von ihm gewählten Untersuchungszeitraum. Doch selbst der von Holland nachgezeichnete Weg der Misogynie vom Griechenland des 8. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung bis zur US-amerikanischen Westküste der Gegenwart ist zu lang, als dass er zwischen zwei Buchdeckeln Platz finden würde. Alleine schon die aktuellen Frauenrechtsverletzungen in der westlichen Hemisphäre sind zu zahlreich und zu vielfältig, als dass sie alle auch nur genannt werden könnten; ganz zu schweigen von denjenigen im Nahen und Fernen Osten und auf den südlichen Kontinenten. Doch Schlaglichter auf die Geschichte und Gegenwart der Misogynie zu werfen, ist sehr wohl möglich. Und genau dies tut das Buch. Mehr noch, es erläutert ideologische Hintergründe und materielle Ursachen der Misogynie und ihrer verschiedenen Ausformungen. Insofern sei ihm nachgesehen, dass sein Inhalt nicht ganz hält, was sein Untertitel verspricht.

Holland durchschreitet die Geschichte der 'westlichen' Misogynie in acht Kapiteln unterschiedlicher Qualität, von denen das erste, dem antiken Griechenland gewidmete zu den schwächsten zählt, leidet es doch unter einer ganzen Reihe von Ungenauigkeiten und Fehlern. So verwandeln sich die "Anhängerinnen des orgiastischen Weingottes" Dionysos in Euripides' Tragödie "Die Bakchen" mitnichten in Amazonen sondern - wie der Titel des Stückes schon verrät - in Bachantinnen.

Wichtiger für das Thema des Buchs ist jedoch der ebenfalls nicht immer zutreffende Gemeinplatz, das Ansehen der Frauen steige in Gesellschaften, in denen sie "den Männern zahlenmäßig überlegen" seien. Der Autor nennt in diesem Zusammenhang Sparta. Ob es ihm als Beispiel oder als Beleg dient, wird nicht deutlich. Zu ersterem taugt es, zum zweiten nicht. Oft genug geht - etwa nach längeren, die Zahl der Männer stärker vermindernden Kriegen - mit der größeren Zahl der Frauen auch eine größere Frauenfeindschaft einher, wie das talibanische Afghanistan zeigt, das für die hier aufgestellte Behauptung sowohl als Beispiel wie auch als Beleg gelten kann. Weitere Beispiele dafür, dass mit einem gesellschaftlichen Frauenüberschuss die Misogynie durchaus nicht ab- sondern im Gegenteil zunimmt, sind etwa Pakistan, China und Indien.

Der im Unterschied zum Kapitel über Griechenland nicht so sehr mythologisch und ideengeschichtlich, sondern historisch angelegte Abschnitt über die "Misogynie im alten Rom" erweist sich als deutlich stärker. Gleiches gilt für den folgenden Abschnitt über das frühe Christentum, das als "obskure Sekte" vorgestellt wird, die "zur weltbeherrschenden Religion" wurde - was zweifellos zutrifft. Das dies allerdings ein "in der Geschichte der Menschheit einmaliges Phänomen" sei, ist schon wieder zweifelhaft. Gleiches ließe sich vom Islam mit ebenso viel Recht sagen. Auch ist dessen "frauenfeindliche[s] Weltbild" womöglich zwar weniger komplex, besitzt zweifellos jedoch mindestens ebenso "Kraft" und richtet zumindest heutzutage weit mehr Unheil an.

Dem Abschnitt über die Hexenverfolgung im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit folgt derjenige über die "[s]chöne neue Welt" der Aufklärung, der daran krankt, dass er sich allzu sehr auf den angelsächsischen Raum und dessen Philosophie konzentriert. Ihm schließt sich das Kapitel über "[d]ie Geheimnisse der Viktorianer" an, neben dem ersten Abschnitt der wohl fehlerbelastetste. Kants Philosophie etwa, die seltsamerweise hier und nicht im Abschnitt über die Aufklärung zusammen mit dem "Mystiker" Schopenhauer auf nur einer Seite 'abgehandelt' wird, ist Holland ziemlich fremd geblieben - wie deutlich wird, wenn er Kant die Auffassung zuschreibt, dass "die tiefste Erkenntnis unabhängig von Erfahrung, also im Grunde intuitiv" sei, was wiederum "zu einer mystisch angehauchten, pantheistischen Deutung der Welt" führe. Womit Holland den Begründer der auch heute noch gültigen Definition dessen, was Aufklärung ausmacht, geradezu als deren Gegner erscheinen lässt. Zudem verballhornt er sowohl Kants Ästhetik wie auch seiner Geschlechterphilosophie: "Für Kant war die Frau der Inbegriff der Schönheit, ihre Rolle im Leben die Blumenbinderin".

Im Abschnitt über das "Zeitalter des Übermenschen" sucht Holland zu zeigen, dass entgegen der allgemeinen Auffassung "der Antisemitismus der Nazis" sehr wohl einen "Unterschied [...] zwischen den Geschlechtern" machte, und die Frauen vom Antisemitismus "besonders hart" betroffen waren, wie so oft, "wenn eine bestimmte Bevölkerungsgruppe diskriminiert und verfolgt wird". Zum Beleg verweist er auf die häufigen "Sonderbehandlungen", denen Jüdinnen in den Konzentrationslagern unterworfen wurden, auf die Lagerbordelle und darauf, das schwangere Jüdinnen bei ihrer Ankunft umgehend ermordet wurden.

Neben dem Nationalsozialismus beleuchtet Holland in diesem Abschnitt den Marxismus, der ihm zufolge ins andere Extrem verfällt: "Wo die Nationalsozialisten die Unterschiede zwischen den Geschlechtern betonen, wollten die Marxisten diese gänzlich aus der Welt schaffen." Dies führt Holland zufolge ebenfalls zu zahlreichen Übeln, etwa in Maos China, in dem sich Frauen nicht schminken durften und die gleiche Kleidung wie die Männer tragen mussten. Für Holland ist klar, "dass dieses Experiment zur Umformung der menschlichen Natur im Sinne des Marxismus zum Scheitern verurteilt war".

Mit ähnlichen Argumenten wie gegen die Geschlechterpolitiken marxistischer Prägung zieht er im abschließenden Kapitel unter dem Titel "Körperpolitik" gegen den Gleichheitsfeminismus zu Felde. Auch er führe direkt in eine Gesellschaft, in der "Frauen bestraft [werden], wenn sie sich schminken oder sich auf andere Weise so verhalten, dass es nicht mit dem asexuellen Ideal vereinbar ist". Der gleichheitsfeministischen "Tabula-rasa-Theorie" einer "von den natürlichen, den Rest der belebten Welt formenden Prozessen ausgenommene Spezies" hält er die "Auffassung von der evolutionären Entwicklung der menschlichen Natur" entgegen. Auf der theoretischen Höhe der Gender Studies bewegt sich der Autor hier wahrhaftig nicht. Und von Judith Butler hat er vermutlich noch nie gehört. Anders ist der krude Biologismus kaum zu erklären, demzufolge "wir, samt unserem Sexualverhalten, im gleichen Maße das Ergebnis evolutionärer Entwicklungen sind wie die Galapagos-Schildkröten", und der Holland dazu veranlasst, Überlegungen über den "evolutionären Beitrag zur Entstehung der Liebeslyrik" anzustellen. Dass er mit seiner biologistischen Theorie der Geschlechterdifferenz "keinerlei moralische Rechtfertigung für Diskriminierungen irgendwelcher Art" verbinden will, versteht sich nach der Lektüre allerdings von selbst.

Stark und überzeugend wie selten in diesem Buch ist im gleichen Abschnitt hingegen Hollands Plädoyer für das Recht auf Abtreibung. Und auch seine These, der zufolge der "Mythos vom autarken Mann" und die Angst davor, diesen Mythos als solchen erkennen zu müssen, den Nährboden für die Misogynie bilden, hat etwas für sich. Schwächer sind hingegen wiederum die Passagen zum Islam, dessen Frauenfeindlichkeit er sich hier erstmals etwas ausführlicher zuwendet und die er im wesentlichen auf die christlich-jüdischen Wurzeln dieser Religion zurückführt.

Das Fazit fällt nach der Lektüre etwas zwiespältig aus, aber letztlich überwiegt ungeachtet zahlreicher kleinerer und weniger größerer Schwächen des Buches doch ein positiver Eindruck. Er ist zum einen des doch recht beachtlichen Abrisses der Geschichte 'westlicher' Misogynien zu danken und zum anderen der - wie Marlene Streeruwitz im Nachwort formuliert - "Empathie des Autors", die "ein Lesen möglich macht, das die unweigerlich entstehende Verzweiflung angesichts der hegemonialen Logik der Geschichte der Frauenverachtung in Empörung verwandeln lässt".


Titelbild

Jack Holland: Misogynie. Die Geschichte des Frauenhasses.
Übersetzt aus dem Englischen von Waltraud Götting.
Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2007.
405 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783861507932

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