Hybridwesen im Fluss

Jost Eickmeyer und Sebastian Soppa untersuchen literarische "Variationen über die Wasserfrau"

Von Maximilian BergengruenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Maximilian Bergengruen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Erforschung von Hybridwesen erfreut sich in jüngster Zeit zunehmender Beliebtheit. Der Grund könnte darin liegen, dass die Studien zu Werwölfen, Monstren oder Parasiten deutlich gemacht haben, dass die exzeptionelle Zweiweltlichkeit dieser Wesen auf eine allgemeine Zweiweltlichkeit des Menschen verweist, auf eine Grenze also, die, wie Giorgio Agamben in "Das Offene" schreibt, "das Innere des Menschen durchzieht", statt ihn von seiner Umwelt abzugrenzen. Das Gefühl des Unheimlichen, das den Menschen bei der Vorstellung der Existenz von Hybridwesen ergreift, wäre dieser Sichtweise gemäß der nach außen gewendete epistemologische Schauder über seine eigene Verfasstheit.

Diese Überlegungen lassen sich auch und insbesondere auf die Wasserfrau anwenden, bringt sie doch sogar eine mehrfache innere Grenze des Menschen zum Vorschein: zwischen dem festen und dem flüssigen Element, zwischen Mann und Frau und schließlich auch zwischen Mensch und Nicht-Mensch. Letzteres spielt insbesondere in der Frühen Neuzeit eine wichtige Rolle, da die Wasserfrau das Paradigma eines nicht-adamischen Menschen darstellt, also eines Menschen, der nicht von Adam abstammt und daher auch nicht heilsfähig ist (ein Prädikat, das, wie die Erforschung der Querelle des femmes gezeigt hat, sich auch Frauen, die auf dem Lande zuhause sind, erst im Laufe der Frühen Neuzeit hart erkämpfen mussten).

Diesem hier umrissenen Phänomen widmet sich der angezeigte Sammelband mit all seinen Details. Ins Zentrum möchte er, wie die Herausgeber Eickmeyer und Soppa in der Einleitung schreiben, die "Verführung" stellen, die von den Nixen, Undinen, Melusinen und Loreleyen, ausgeht. Darüber hinausgehend soll nach dem intellektuellen Gehalt des "Scheins" gefragt werden, in dem die Wasserfrauen existieren. Durch ihn kann, so legt es bereits die Metapher nahe, "Licht auf die Lebensbedingungen des Menschen" geworfen werden.

Das klingt vielleicht noch etwas abstrakt. Der Band selbst aber erklärt, was es mit dieser Vorgabe auf sich hat. Vorweg sei gesagt, dass es sich um Veröffentlichungen einer Sommerakademie der Studienstiftung des Deutschen Volkes handelt und die BeiträgerInnen NachwuchswissenschaftlerInnen im wahrsten (und besten) Sinne des Wortes sind. Diesem Umstand ist es wohl zu verdanken, dass der Band sehr breit angelegt ist, also Beiträge vereinigt, die vom Mittelalter bis in die Jetztzeit reichen und dabei gleichermaßen literatur-, wissens- und filmgeschichtliche Sichtweisen integriert. Der Fokus liegt dabei nicht nur auf deutschsprachigen Dokumenten. Vielmehr wird - und auch das trägt zur Qualität der Anthologie bei - zugleich der französischen, englischen und russischen Kultur Rechnung getragen.

Die Vorschläge, die gemacht werden, um das Phänomen der Wasserfrau zu dekodieren, können als innovativ gelten: Bent Gebert zum Beispiel macht in seinem Beitrag zu den "Sirenen in der mittelalterlichen Literatur" das theologische Verfahren der Allegorese für die Entzifferung der Wasserfrau stark. Er plädiert dafür - und das ließe sich durchaus in die Neuzeit verlängern - den Sirenen-Mythos als "Seismograph einer gewandelten Wirklichkeit" zu lesen. Die Unterscheidung von Fact und Fiction tritt also vollständig gegenüber einer Sichtweise zurück, die den Fokus auf die Veränderung theologischer und natürlicher Ordnungssysteme richtet.

Ein zweites wichtiges Stichwort wird - interessanterweise in einem Aufsatz über die "Wasserfrau im Fantasy-Rollenspiel" - von Fabian Geier geliefert. Der Autor weist nach, dass dem Stereotyp, dem die Wasserfrauen in einem hohen Maße unterliegen, wesentlich mehr Erkenntniskraft zugebilligt werden kann, als das auf den ersten Blick scheinen mag. Auch dieses an einem individuellen Gegenstand gewonnene Fazit könnte für das Verständnis der gesamten Kulturgeschichte - und nicht nur derjenigen der Wasserfrau - verallgemeinert werden: Ähnlich wie für den Topos, der, nachdem er lange Zeit als "Cliché" abgewertet wurde, heute als ein metadiskursives Organisationsprinzip von Wissen gewürdigt wird, ließe sich auch für das Stereotyp sagen, dass in ihm Wissen transportiert wird, das einerseits als allgemein vorausgesetzt wird (und daher eine hohe Gültigkeit beanspruchen kann), andererseits immer wieder individuell und inventionell realisiert werden muss.

Ein Beispiel für die in Einleitung und Einzelbeiträgen vorgebrachten methodischen Vorgaben liefert Daniel Schneider, der in seinem Aufsatz zu "Grenzbetrachtungen und Synthesewesen" nachweist, dass sich in Conrad Gesners "Historia animalium" von 1558 - abzulesen insbesondere am Eintrag über die "Meermenschen" - nicht nur frühneuzeitliche Naturkunde und Monstrologie miteinander vermischen, sondern zugleich die Konstanz der Arten auf dem Spiel steht und so das "Synthesewesen", das der Mensch selbst darstellt, sichtbar wird.

Jost Eickmeyer schließlich zeigt in seinem Beitrag "Nixen, Nebel, Rosenkreuzer" auf, das hinter der Debatte über das Auftauchen einer Nixe in der Marburger Lahn am 13. Oktober 1615 eine naturwissenschaftliche Debatte steht, die über dieses Ereignis weit hinausgeht: die Frage über die Richtigkeit der paracelsisch-paracelsistischen Alchemie beziehungsweise natürlichen Magie.

Es ist hier nicht der Ort, alle Beiträge zu referieren. So sei am Schluss lediglich hinzugefügt, dass der Rezensent die Entscheidung der Herausgeber dieses ansonsten so instruktiven Bandes etwas bedauert hat, die Diskussion des Geschlechterverhältnisses zurückzustellen. Ein solcher, vom Gegenstand her gesehen ja durchaus naheliegender Ansatz hätte sich mit dem epistemologischen verbinden lassen: Die Frage nach der Rolle des Menschen in Natur und Schöpfung ist, insbesondere in der Frühen Neuzeit, bekanntlich die Geschichte des Mannes. Die verdeckte zweite Hälfte dieser Geschichte wird hingegen nicht zuletzt unter der Chiffre der Wasserfrau verhandelt.


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Jost Eickmeyer / Sebastian Soppa: Umarmung und Wellenspiel. Variationen über die Wasserfrau.
Verlag Bücken & Sulzer, Overath 2007.
300 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783936405347

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