Der Mensch ist erst da ganz Mensch, wo er spielt

Essays zu Videospielen, denen, die sie spielen und der Kultur aus der sie kommen und in der sie wirken

Von Stefan HöltgenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höltgen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Obwohl das Medium Videospiel auf eine mittlerweile 30-jährige Geschichte zurückblicken kann, sind nicht-akademische Sachbücher zum Thema doch immer noch eher selten auf dem Markt zu finden. Es wird kaum daran liegen, dass - um ein populäres Vorurteil aufzugreifen - der Adressat solcher Publikationen, der Gamer, eben nicht liest, sondern spielt. Denn die Vielzahl an Zeitschriften und Magazinen zum Thema spricht ein deutliches Wort. Und darunter befinden sich durchaus nicht allein werbelastige Testmagazine, sondern auch inhaltlich ansprechende Formate wie das "GEE"-Magazin oder die (kürzlich leider in ihrer deutschen Ausgabe eingestellte) "Edge".

Es ist wohl vielmehr so, dass das Videospiel als Thema noch keinen Platz in den Reihen der deutschen Verlage gefunden hat. Das ändert sich nun langsam, wie jüngere Publikationen (etwa des ansonsten auf Film spezialisierten Schüren Verlags) belegen. Und auch Verlage, die sich hauptsächlich mit dem Videospiel beschäftigen, vermehren sich seit wenigen Jahren. Dazu zählt auch der im schwäbischen Winnenden beheimatete CSW-Verlag, der nicht nur ein eigenes Magazin zur Retro-Computerkultur herausgibt, sondern auch ein ansehnliches kleines Verlagsprogramm vorzeigen kann.

Eine der jüngsten Publikationen von CSW ist Jörg Luibls "Spielefresser, Biomonster & Fanboys", in welchem der Autor und Chefredakteur des einflussreichen Online-Spielemagazins "4Players" über 50 Glossen, Kolumnen und Kommentare zum Thema Videospiele versammelt hat. Rubriziert sind die Texte nach den Themen "Spiele und Kritik", "Spiele und Kultur", "Biomonster und Fanboys", "Spieletester und Konsolen", "Rollenspiele und Fantasy", "Qualität und Spielspaß", "Frauen und Lust" sowie "Gewalt und Jugendschutz". Allein an diesen Überschriften lässt sich schon ablesen, wie weit Luibl das Feld seiner Auseinandersetzung mit Videospielen steckt. In seinen Texten geht es nicht um technologisch-esoterische Betrachtungen einzelner Spiele, sondern um genau jenen Aspekt der Spielekultur, der das Medium so anschlussfähig an andere Medien und Diskurse macht. Luibl versucht das Faszinosum an der interaktiven Kunstgattung Videospiel zu verdeutlichen und spricht sowohl versierte Spieler als auch all diejenigen an, die noch nie einen Controller in der Hand gehalten haben. Er stellt dabei en passant die verschiedenen Spielegenres, ihre Eigenarten und immer wieder die Besonderheiten jener, die sie spielen, vor - die der "Fanboys" (also der unkritisch Jubelnden), "Biomonster" (Spieler, die so perfekt spielen, dass sie mit dem Gerät verwachsen zu sein scheinen) und "Spielefresser" (jene, die jedes Spiel besitzen müssen) - aber auch noch vieles andere Normale und Exotische.

So sehr seine Liebe gegenüber der Gattung Videospiel und ihren Spielern aus jeder Zeile herauszulesen ist, so deutlich formuliert der Autor jedoch auch Kritik - an Magazinen, die Werbung und Rezension nicht trennen wollen oder können, an Spieleherstellern, die lieblose und fehlerhafte Massenware auf den Markt werfen, an Spielern, deren oftmals überzogene Gegenkritik der Rufschädigung nahe kommt und immer wieder an Politikern, Polemikern und Medien, die Videospiele ohne Sachkenntnis auf der Grundlage von Vorurteilen und Hörensagen verdammen und für ihre konservativ-restaurativen Feldzüge instrumentalisieren. Besonders dieser letzte Punkt, den Luibl bewusst ans Ende seines Buches setzt, liegt ihm am Herzen. Sind Videospiele doch bislang nur dann ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen, wenn man mit ihnen auf Basis monokausaler und oft zynischer vereinfachender behavioristischer Thesen zu erklären versucht hat, warum die (spielende) Jugend schlecht in der Schule ist, warum ihre Sitten verrohen oder es gar zu schockierenden Tragödien wie denen in Erfurt, Emsdetten oder anderswo gekommen sei. Luibl fordert zumeist mit sachlichem, an angebrachten Stellen (wie etwa dem Feldzug der "Süddeutschen Zeitung" gegen Videospiele) aber auch polemisch-ironischem Ton zu mehr Rationalität im Umgang mit dem für viele Menschen immer noch bedrohlich wirkenden Medium auf. Aufklärung statt Verbote, differenzierte Auseinandersetzung statt Vorurteil fordert Luibl ein; sein Buch ist ein Beitrag dazu.

"Spielefresser, Biomonster & Fanboys" ist aufgrund seines essayistisch-feuilletonistischen Stils ein eingängiges Werk geworden. Man merkt der Fabulierkunst seines Autors sowohl die humanistische Bildung als auch dessen Ausflüge in die fiktionale Prosa an. Zwar schlägt er hin und wieder argumentativ etwas über die Stränge (etwa in seinen Beiträgen zur kulturhistorischen Einordnung von Videospielen), zeigt insgesamt doch aber, welches Potenzial das Videospiel im Kanon der Medien besitzt, wo Einflüsse zu sehen sind, welche vielfältigen und vielgestaltigen Aufformungen es annehmen kann und dass es immer schon eine Kunstgattung gewesen ist, die mit all den Dingen zu tun und zu kämpfen hat, die auch die anderen Sphären der Kunst tangieren. Nach der Lektüre wird man Videospielen und Videospielern auf eine andere, wahrscheinlich differenziertere Weise begegnen - so hofft es zumindest der Autor.


Titelbild

Jörg Luibl: Spielefresser, Biomonster & Fanboys. Geschichten aus der Welt der Videospiele.
CSW-Verlag, Winnenden 2007.
160 Seiten, 9,95 EUR.
ISBN-13: 9783981141795

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