Ein Roman voller Phantasmen

Ludwig Bemelmans Roman über die Unangepassten an der blauen Donau

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Donau, so blau, so blau" heißt es in einem berühmten Walzer. Bei Bemelmans ist die schöne blaue Donau braun, nazibraun. Vom Regensburger Biergarten "Zur Blauen Donau" kann man sie sehen, sie und die kleine namenlose Schwemminsel, die es eigentlich gar nicht geben dürfte. Es gibt sie aber doch.

Auf der Insel lebt der alte Anton mit seinen beiden Schwestern Martha und Anna und seiner Nichte Leni. Früher, vor der Inflation, hatte ihm einmal der Biergarten gehört. Jetzt bewässert er die kleine Insel mühsam und baut Rettich an, den er in Regensburg verkauft. Und manchmal kommt er auch in den Biergarten und hält seine gefährlichen Reden, ruft seine nationalsozialistischen Mitbürger dazu auf, nicht länger "klaglos still zu halten, während sie mit euch tun, was sie wollen", sondern Widerstand zu leisten, um nicht "schöne Leichen mit gehorsamen Gesichtern zu sein". Eine Rede gegen "das Zittern vor Angst - das ist eure alte Krankheit." Dazu gibt es noch eine Ohrfeige für den Gauleiter, und dann ist Schluss mit der Gemütlichkeit.

Ludwig Bemelmans Roman, der 1945 in Amerika erschien und erst jetzt ins Deutsche übersetzt wurde, ist ein groteskes und sehr skurriles Denkmal für alle Unangepassten. Erst die Unangepassten sind es nämlich, die verhindern, dass die Nazis so leicht aus dem banalen Alltag an die Macht kommen können, erst sie sind ein wirksames Gegengift gegen Gier und Neid und "dumpfen Untertanengeist".

Sehr fein geht es bei Bemelmans nicht zu, die Typen sind konsequent überzeichnet, tragen allesamt sprechende Namen wie Gauleiter Stolz, der "perfekte, vollkommene Parteileiter. [...] Er konnte mit einer oder mit beiden Fäusten schlagen und auf den Tisch hämmern, und die verschlagenen Schweinsaugen waren vertraut mit dem Visier von Flinte, Kanone und Revolver. Am höchsten entwickelt waren die Muskeln, die seine Arschbacken zusammenpressten, wenn er vor einem Vorgesetzten strammstand". Meist wird er "das Tier mit der menschlichen Stimme" genannt. Daneben gibt es noch Gruppenführer Schuft und einen "feine[n] Herr[n]", SS-Hauptmann Trost: Der kommt regelmäßig aus Dachau nach Regensburg, um immer mal wieder ein paar Leute ins Konzentrationslager zu bringen. Und Assessor Unruh vom Ermittlungsamt, ein begeistertes Parteimitglied, der Hetzgedichte für den "Stürmer" schreibt.

Schon Bemelmans Leben ist unangepasst gewesen. 1898 wurde er in Meran geboren, als Sohn eines flämischen Malers und einer Brauereitochter aus Regensburg. Mit 14 verlässt er die Schule, mit 16 das Hotel seines Onkels, nachdem er auf ihn geschossen hat. 1914 darf er wählen: Erziehungsheim oder Amerika. Er wählt Amerika, jobbt hier und da, geht zur Armee, wird Illustrator und Reisereporter, schreibt und zeichnet 1934 sein erstes Kinderbuch und 1939 sein erstes Buch um die anarchistische Pariser Göre "Madeline". Damit wird er weltberühmt.

Seine Groteske um die schöne, blaue Donau endet mit einem Beinahsieg der Unangepassten. Denn Stolz beobachtet die Insel, und als Anton wieder einmal heimlich in die Stadt kommt und mit den Frauen und dem Regensburger Bischof, der ihn immer beschützt hat, feiert, will Stolz ihn erschießen, wird aber vorher mit einem Spaten erschlagen. Bevor der Mord auffliegt, verwüstet ein alliierter Bombenangriff die Stadt, der Gauleiter wird zu den Toten des Angriffs gezählt. Und dennoch: Am Ende wird Anton festgenommen und auf Befehl von Hauptmann Trost ins Konzentrationslager eingeliefert. Die Befreiung musste "von außen kommen - denn diejenigen innerhalb der Mauer, die Mut und Witz hatten, waren zu wenig, zu alt und viel zu sentimental."

"An der schönen blauen Donau" ist ein Roman voller Phantasmen, voller Skurrilitäten, politischem Witz und feiner Beobachtungen, die meist recht grob präsentiert werden. Es ist ein seltsamer Roman, voll drastischem Humor, wie man ihn aus Bayern wohl erwarten konnte. Es macht Spaß, ihn zu lesen, auch wenn er literarisch an manchen Stellen doch etwas zu holzschnittartig vorgeht. Aber dennoch: Man liest ihn gerne, vielleicht gerade, weil er vom Krieg, vom Widerstand einmal nicht so fein erzählt, sondern eher in der Tradition, aus der auch Biermösl Blosn oder Polt kommen, nicht literarisch, nicht gerecht, aber genau.

Ludwig Bemelmans starb 1962. Ein paar Monate zuvor hat er Regensburg noch einmal besucht und wollte "ein jährliches Bratwurstessen für die schlechtesten Schüler der Stadt" stiften, "aber nicht für die Zerstörer und Randalierer, sondern für die Unangepassten, Störrischen, gegen den Strich Denkenden", wie das Vorwort berichtet.


Titelbild

Ludwig Bemelmans: An der schönen blauen Donau. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Florian Sendtner.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
170 Seiten, 17,80 EUR.
ISBN-13: 9783458173618

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