Schlafräuber abgewehrt

Brian Freeman lässt einem die Nachtruhe

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Thriller werden gern mit ihren angeblichen schlafraubenden Qualitäten angepriesen und wohl gelegentlich auch deshalb gekauft. Man soll die Nacht mit diesem Buch - wenn denn schon kein Nachtschlaf ansteht - statt mit dem oder der Liebsten verbringen, heißt das wohl. Was von beidem lohnender ist, werden wohl Vielleser beurteilen können, die mehr oder weniger glücklich liiert sind. Für den gemeinen Single hingegen bleibt nur die Frage, ob es dieses oder ein anderes Buch sein soll, mit dem die Nachtruhe für ein paar Tage gestört werden soll. Für diesen Fall jedoch - also für Brian Freemans Erstling "Doppelmord" - kann Entwarnung gegeben werden: Dieses Buch ist weit davon entfernt, einer der Geheimtipps zu werden.

Dazu ist es viel zu sehr nach guter alter amerikanischer Schreibschule abgefasst. Wir haben einen sympathischen Helden mit dem üblichen Beziehungsfehler (diesmal eine verstorbene Gattin), eine interessante Partnerin, eine verschwundene Frau und schließlich einen Hauptverdächtigen. Das Ganze ist im trauten Familienkreise angesiedelt: Eine junge Frau verschwindet, anscheinend einem Mord zum Opfer gefallen. Mit der Mutter ist sie seit Jahren überkreuz, eben seitdem der leibliche Vater gestorben ist (nach dem Muster: "Wenn ich sterbe, wirst Du wissen, dass Deine Mutter mich ermordet hat" - Himmel). Der Stiefvater hat ein allzu geringes Interesse an seiner Frau, dafür umso mehr an der Heranwachsenden, was spätestens dann auffällt, als auf seinem Rechner ein arg diskreditierendes Foto entdeckt wird, das den Romanbetrachtern den Atem raubt (hört sich interessant an).

Schnell sind weitere Indizien zur Hand, Blut im Auto, einige Fasern hier oder dort, Fuß-, Blut- und Textilspuren in der Nähe einer alten Scheune, hinter die sich offensichtlich die örtliche Jugend zum Autosex zurückzieht (in welchem Jahrhundert leben wir eigentlich?), eine Zeugin - gleichfalls noch heranwachsend -, die der Verdächtige anscheinend schon zuvor an diesen einschlägigen Ort hat zerren wollen und so weiter. Für die Ermittler ist alles klar, der Kerl wird vor Gericht gebracht und geht seiner zweifelsfreien Verurteilung entgegen.

Aber dazu kommt es natürlich nicht - immerhin sind wir erst auf der knappen Hälfte des Textes angelangt. Die Option, dass der Vorverurteilte sich als unschuldig herausstellt und freikommt, wird gleichfalls versperrt, denn seine Frau sticht ihn nieder. Die zweite Hälfte respektive das Finale muss also anders angesteuert werden. Dazu reist der ermittelnde Jonathan Stride, der uns wohl erhalten bleibt ("Ein Fall für..." deutet zumindest darauf hin) sogar in das dem Tatort klimatisch entgegen gesetzte Las Vegas, wo das vermeintliche Opfer Jahre später jüngst verstorben aufgefunden wird. Soweit zum Inhalt, von dem dann noch nicht zu viel verraten werden soll.

Zweifelsohne setzt Freeman auf die vertrackte Konstruktion, darauf, dass der anfängliche Schein sich in Nichts auflöst, um sich am Ende vielleicht doch als das eigentlich Wahre wieder aufzurichten. Aber die Entwicklung des Plots, die ja eine der Stärken des amerikanischen Standard-Krimis ist und die im Kino sicherlich ganz manierlich anzuschauen sein wird, ist eben auch erzählerisch umzusetzen - mit angemessenen Figuren, in eine Sprache, die Interesse weckt, in eine Handlung, die sich nicht von einem abgedroschenen Klischee ins nächste rettet.

Bleiben wir einen Moment beim Liebesleben des Helden: Nun gut, seine Frau ist tot, in Andrea findet er zeitweilig eine Lebensgefährtin (vor der ihn seine Partnerin allerdings warnt), ihr erster Sex ist selbstverständlich umwerfend (als wenn das alles so einfach wäre), ein paar Jahre später ist dann aber alles ein Irrtum (die Partnerin hat's ja gesagt), spätestens dann, als Serena auftaucht, die unglaublich heiße Kollegin aus Las Vegas, unnahbar und trotzdem erschreckend schön, die nichts besseres zu tun hat, als sich ihrem heruntergekommenen Kollegen aus Minnesota (wo ist das eigentlich noch mal?) an den Hals zu werfen, um gleichfalls wieder umwerfenden Sex mit ihm zu haben, aha.

Es ist schlimm genug, dass solche Szenerien wohl die Verzierung auf dem Thriller-Kuchen sind, ohne den ein Roman heute wohl keinen Erfolg mehr hat. (Da sind mir die hard-boiled-Helden, die so tun, als könnten sie immer, wollten aber nie wirklich, doch lieber.) Eben nicht nebenbei sind aber auch die Sätze, in denen das und anderes geschieht, einigermaßen schlimm: Der Platz hinter der Scheune ist "ein ziemliches heißes Sex-Pflaster" (wer hat sich denn diese Mühe gemacht?). "Seine Hüften schoben sich ihr in wildem Aufbäumen entgegen." Holla, die Waldfee. Und so weiter.

Wer ist für so etwas verantwortlich? Der Autor, die Übersetzerin, der oder die LektorIn? Da ist einem ja der Kleist'sche Gedankenstrich lieber - der auch bei einem Autor wie Freeman eingesetzt werden darf (mit entschuldigenden Gesten Richtung Kleist). Dass auch Sätze gelesen werden müssen wie: "Das Rätsel werden wir nicht lösen" (und warum lesen wir das hier?) oder "Er zwängte seinen langen Körper in den gewohnten Sessel" (da wird wohl bald mal ein neuer, ungewohnter und vor allem größerer Sessel fällig) macht es nicht besser. Vor allem nicht das Buch und die Zeit, die man mit ihm verbringt. Schmökerqualitäten hin oder her, gelungene Wendungen in der Handlung her oder hin, nicht alles lässt sich damit entschuldigen, dass wir es hier mit einem Verbrauchstext zu tun haben.


Titelbild

Brian Freeman: Doppelmord. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Tanja Handels.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2007.
544 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783455400885

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