Literarische Kapriolen von bizarrem Charme

Ein Schlüsselroman des Dadaismus neu herausgegeben

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In den vergangenen Jahren haben die Dadaisten wieder ein lebhaftes Interesse in der kulturellen Öffentlichkeit gefunden. Ihre Provokationen demonstrieren nach wie vor die Fragwürdigkeit politischer, philosophischer und ästhetischer Systeme.

Als eine Vaterfigur des literarischen Dadaismus gilt Hugo Ball. Sein jetzt wieder aufgelegtes Buch "Tenderenda der Phantast" lässt sich als Schlüsselroman der Dada-Bewegung bezeichnen. Ursprünglich als Performance entwickelt und im Laufe der Jahre immer mehr verfeinert und ausgearbeitet, begann Ball 1914 mit der schriftlichen Fixierung dieses Publikumserfolges. Erst 1967 jedoch erschien der "Phantast" in Buchform - vierzig Jahre nach dem Tod des Autors.

Das Buch war damit zwar in einer Auflage von 2000 Stück greifbar, der Titel den meisten Interessierten zumindest bekannt; der Text jedoch blieb weitgehend unbeachtet. Dem versucht nun der Haymon-Verlag Abhilfe zu schaffen: Der Herausgeber und ausgewiesene Dada-Experte Raimund Meyer hat unter Mitwirkung des Ball-Nachlassverwalters Julian Schütt anhand des Typoskripts eine kritische Textfassung erstellt. Ergänzt wird diese um ein Nachwort und um Ausschnitte aus den Original-Manuskripten nebst einer Zeittafel mit biographischen Daten.

Hugo Balls Biographie liest sich wie ein Roman: Er wendet sich früh von der katholischen Kirche ab, lernt Kandinsky und Huelsenbeck kennen, emigriert 1915 zusammen mit seiner Lebensgefährtin Emmy Hennings in die Schweiz, später bekennt er sich wieder zum Katholizismus und schreibt gegen Ende seines kurzen Lebens - er wurde 41 Jahre alt - ein Buch über den Exorzismus. So widersprüchlich und vielgestaltig wie der Autor ist auch der Text. Neben längeren Prosastücken stehen dadaistische Gedichte, deren bekanntestes der "Elefantenmarsch" ("jolifanto bambla ô falli bambla...") sein dürfte. Zusammengehalten wird der "Roman" durch die immer wieder auftauchende Gestalt des Tenderenda.

Balls "Phantastenroman" setzt sich vor allem mit der Literatur seiner Zeit auseinander - wobei die Texte der anderen Autoren "verarbeitet" und nicht nur platt imitiert oder karikiert werden. Mit Überraschung hat der Autor selber feststellen müssen, dass sein Roman teilweise wie ein "Cabarettschlager" wirke, was auch heute noch seinen hohen Unterhaltungswert ausmacht.

Eine Fülle von Zeitbezügen erschwert dem heutigen Leser den Zugang zum Text. Doch hilft ihm da die fundierte kritische Ausgabe erheblich: Sie trägt zweifellos zu einem besseren Verständnis des "Phantasten" und seiner Entstehungsbedingungen bei.

Titelbild

Hugo Ball: Tenderenda der Phantast.
Haymon Verlag, Innsbruck 1999.
128 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3852182727

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