Die Allesfresserform

Dietmar Daths "Waffenwetter" ist ein Roman mit "Totalitäts-Anspruch"

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Der Witz bei der Romanform", meinte jüngst Dietmar Dath, Jahrgang 1970, ehemaliger FAZ- und "Spex"-Redakteur, im gemeinsamen "Literaturen"-Gespräch mit Ulrike Draesner und John von Düffel zum Thema "Schreiben jetzt", "liegt für mich darin, dass sie eine Totalität anstrebt: Es soll die Welt sein! Zwar wird da auch die Geschichte vom alten Mann erzählt, der einen großen Fisch jagt, aber letztlich geht's um eine ganze Welt oder um die Haltung zu einer ganzen Welt. Wenn man sich so einer Form anvertraut, muss man auf jeden Fall darüber nachdenken, was Totalität als Text bedeutet, wie viele Textformen es eigentlich gibt. Und insofern kann ich mir gar keinen Romancier vorstellen, der nicht in irgendeiner Weise auch mit Lyrik Umgang hat oder mit Journalismus, mit der Kulturindustrie, mit dem Gesamten an Text eben, das im Raum steht. [...] Alles zu wissen geht natürlich nicht, und natürlich meine ich auch keine Welt-Tatsachen im journalistischen Sinne. Aber man muss als Autor eine gewisse Welthaltigkeit anstreben, und der Roman ist für mich die Form, in der es im 20. Jahrhundert möglich geworden ist, alles Erdenkliche zu integrieren - er ist für mich die Allesfresserform."

Den ebenso nachdrücklich-herausfordernden wie über weite Strecken spannenden Beweis dieser erstrebten Welthaltigkeit seines Romans liefert Dietmar Dath nun mit "Waffenwetter" - nach "Die salzweißen Augen" (2005) und "Dirac" (2006) der Abschluss seiner Trilogie gegen die Beliebigkeit, wie er auf der zu "Waffenwetter" gehörenden Internetseite erläutert. Und dort finden sich, ebenso wie in der nachfolgenden "Notiz" des Romans, weitere poetologische Hinweise zur Lektüre dieses ebenso sprachbewussten wie teilweise auch sperrigen Textes: "Das Ganze ist ein als Monolog getarnter Dialog mit etwas, das denkt, aber kein Mensch ist. [...] Die internen Einteilungen gehorchen Rhythmusabsichten. Auf diese Idee ist der Autor gekommen, weil John Luther Adams, der interessanteste Musiker, den es im Land Alaska gibt, ein im Jahr 2007 passenderweise genau zehn Jahre altes Werk für Perkussion namens ,Strange and Sacred Noise' geschrieben hat, das, wie sein Titel verrät, von denselben Sachen handelt wie ,Waffenwetter'. Es gibt bei Adams einzelne und zeitbrechende Wellen, verschiedene Geschwindigkeiten, die einander im Phasenraum kreuzen, Gitter mit Wiederholungen und so fort. Daran orientieren sich die Zahlenproportionen der Kleinkapitel in 'Waffenwetter'".

Doch wovon handelt der dreiteilige Roman mit seinen zwölf Kapiteln und zahlreichen an Adams orientierten Unterkapiteln, die mit Zahlenreihen wie beispielsweise 013506 oder am Schluss mit 050652 überschrieben sind? Er ist in erster Linie der dialogische Monolog der 19-jährigen, hochbegabten Abiturientin Claudia Starik. Ihr einziger Vertrauter ist der allein lebende Großvater Konstantin, ein Altmarxist, der mit seiner Elektrokette "Sputnik" zum Multimillionär geworden ist und immer noch "ddr-mäßig drauf" ist. Zwischen "mathekram" und einer frustrierenden Affäre mit dem Englischlehrer, zwischen Elternstress und Freundinnenrivalität mit Stefanie, zwischen Partygedröhn und Drogen dealenden kleinkriminellen Klassenkameraden verläuft das postpubertäre Leben der Protagonistin, das sie in kurzen tagebuchartigen Abschnitten festhält: "jeder mensch hat probleme, aber meine mag ich am allerwenigsten. [...] vielleicht ist das, was ich bin, ein ding, das schwierigkeiten sucht; wieso sonst hab ich einen geliebten, von dem niemand wissen darf? nicht mal konstantin hab ich das erzählt."

Und der ist schließlich Claudias wichtigster Partner. Mit ihm schließlich macht sie sich auf nach Alaska. Denn Konstantin ist von der fixen Idee besessen, auf der Reise, die er Claudia zum Abitur geschenkt hat, eine nördlich von Anchorage stehende, hochfrequente Antennenanlage HAARP (High Frequentcy Active Auroral Research Project) der Vereinigten Staaten von Amerikan zu untersuchen. Als Forschungsanlage steht HAARP als Wetterwaffe nämlich im Verdacht, nicht nur die Ionosphäre zu ergründen, sondern neben der Wetter- und Klimabeeinflussung gar mittels niederfrequenten Wellen das Bewusstsein der Menschen manipulieren zu können.

"zwei tote sprechanlagenboxen an schmutzigen pfosten, zwei blumentröge, in denen splitterschutt, erdimitat und erbärmliches kraut der kälte trotzen. bäume aus dunkelheit, ein vereister weg wie krustiger pizzarand. weit weg, entrückt auf bewaffnetem land, steht ein großes generatorenhaus, eierlikörfarben, und summt, und dröhnt. ,das ist', sag ich, und weiß nicht, was es ist. [...] alles, was ich gelesen hab darüber, war ganz anders: paranoid schon, aber auch spekulativ, technisch, kühl. Hier aber, am schauplatz selber, ist es nicht technisch, sondern nur verhext. dieses laute summen: ,das ist... böse', sag ich, weil mir das wort endlich einfällt. er lächelt wie entschuldigend: ,nun ja, das... das sagte ich dir doch, nicht war?'"

Am Ende ist Claudia als eine Art zweite Lara Croft auf der Flucht, wobei - und mehr sei hier nicht verraten - der "Ausgang des Ganzen angemessen mehrdeutig" ist, wie die zehnte und letzte These auf www.claudiastarik.de lautet.

"Es gibt, glaube ich", vermutet Dath an anderer Stelle im "Literaturen"-Gespräch, "eine gewisse Sehnsucht, Dinge zu sagen, die nicht einfach nur so hingeträumt sind, sondern bei denen mir jemand widersprechen kann. [....] Es macht die Kunst erst zum Kommunikationsvorgang, dass mir Leute widersprechen können. [...] Der Unterhaltungseffekt läuft übrigens in zwei Richtungen: Ich unterhalte mich selber auch besser, wenn ich etwas mache, von dem ich noch nicht weiß, wie es ausgeht. Und wenn man selbst Spaß dabei hat, so etwas zu schreiben, dann haben die Leute vielleicht auch Spaß, das zu lesen."

So viel kann man sagen: Dass auch bei der Lektüre intellektuelle Anstrengung einem solchen Spaß nicht entgegen zu stehen braucht, beweist "Waffenwetter" eindringlich.


Titelbild

Dietmar Dath: Waffenwetter. Roman.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
288 Seiten, 17,80 EUR.
ISBN-13: 9783518419168

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