Wer sauber bleibt, verpasst was

Verzweifelte Hausfrau: Katja Oskamps Vater-Mutter-Kind-Roman "Die Staubfängerin" macht Stimmung - und Angst

Von Stefan MeschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Mesch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sie trugen Seidentücher, schwarze Handschuhe und atmungsaktive Anoraks. Sie waren 40, 50 und 60 Jahre alt. Einige hatten teure Handtaschen. Andere Thermosflaschen und Plastiktüten. Sie waren überall. "Buchhändlerinnen", flüsterte mir Annika zu, "die sind alle wegen der Messe hier in der Stadt. Ihre Männer haben sie daheim gelassen. Jetzt, am Abend, wollen sie noch ein paar Lesungen hören. Danach gehen sie trinken."

Wir saßen im Frankfurter Römer, eine Lesenacht zur Buchmesse, alle zwanzig Minuten las ein neuer Autor. Es gab Textausschnitte, es gab Fragen, und danke. Und weiter. Phillip Tingler erzählte, in seinem Romandebüt gäbe es eine Frau namens "Busenrost". Die Buchhändlerinnen lachten. John von Düffel erzählte, er habe beim Recherchieren für "Beste Jahre" viel über künstliche Befruchtung gelernt und sei kürzlich Vater geworden, zum Zusammenhang wolle er nichts sagen. Die Buchhändlerinnen lachten. Zoë Jenny kam auf die Bühne. Sie war sehr dünn, trug hohe Stiefel und langes Haar. Die Buchhändlerinnen verzogen den Mund und raschelten böse mit ihren Plastiktüten.

Dann kam Katja Oskamp. Geboren 1970 in Leipzig, Absolventin des Literaturinstituts, 2003 Debüt mit "Halbschwimmer", einer Erzählungssammlung über die Jugend einer jungen Frau namens Tanja. "Die Staubfängerin", Katja Oskamps erster Roman, handelt erneut von dieser Tanja: Sechs Jahre nach der Wende tingelt sie als Regieassistentin durch die Provinztheater des Ostens. Dann verliebt sie sich in Edgar, einen Dirigenten. Und zieht zu ihm ins Neubaugebiet, ins Reihen-End-Haus, ins Dorf an die Ostsee. Bald kommt das erste Kind, Paula. Als Frühgeburt muss sie im Inkubator bleiben, strengste Hygienevorschriften. Tanja hat Angst um Paulas Leben. Und entwickelt einen Putzfimmel.

"Sie kennen das", sagt Katja Oskamp, "überall Staub. Wo kommt der her? Wie kriegt man den wieder weg?" Die Buchhändlerinnen nicken, seufzen. Die Buchhändlerinnen kennen das. Oskamp beginnt zu lesen. Von einem Staubsaugervertreter, der am Reihen-End-Haus klopft. "Am besten", empfängt ihn Tanja, "wir gehen gleich ins Schlafzimmer, hier unten ist nämlich bloß Parkett." Die Buchhändlerinnen schmunzeln. "Sie sind wohl von der ganz flotten Sorte!", antwortet der Staubsaugervertreter. Die Buchhändlerinnen schmunzeln. Tanja und der Vertreter gehen ins Schlafzimmer. "Aus dem Koffer", liest Katja Oskamp, "hob er das dunkelgrüne Vorführmodell, den Kobold." Die Buchhändlerinnen jauchzen auf. Lachen. Klatschen. Die Buchhändlerinnen kennen das. "Die Staubfängerin" wird der erfolgreichste Text des Abends.

Lach- und Sachgeschichten für Heimchen am Herd? Sagrotan-Prosa? Eine Sorte "Superweib"-Literatur, die abseits der (weiblichen, ältlichen) Zielgruppe nicht registriert wird? Der Staubsaugervertreter jedenfalls klettert ins Ehebett, um die Saugwirkung seines Matratzenboys zu demonstrieren. "Paula ist in Hundescheiße gelatscht", ruft der Dirigent und kommt mit der Tochter ins Zimmer. Dann sieht er den Vertreter. "Was macht der Mann auf meinem Bett?", fragt er. "Was macht die Scheiße auf meiner Tochter?", kontert Tanja. Der Vertreter kuckt betreten. Die Buchhändlerinnen schlagen die Hände aufeinander wie Seehunde ihre Flossen. Nie zuvor habe ich so viele glückliche, verstandene Frauen gesehen.

Katja Oskamps Romandebüt ist Unterhaltungsliteratur im aller-allerbesten Sinne: keine nutzlosen Arabesken. Keine selbstverliebten Lyrizismen. Kurze Sätze, klare Ansagen, plastische Situationen. Kein bedeutungsschwerer Ballast. Stattdessen Tempo, Witz, prägnante Bilder: "Ich bin nie Edgars Orchester gewesen", erzählt Tanja über ihre Ehe, "Im Unterschied zu den neunzig Mann im Graben habe ich meinen Ehemann immer nur von hinten gesehen. [...] Genau wie für jeden der achthundert Zuschauer im Saal befand sich der für mich vorgesehene Platz in Edgars Rücken. Edgar brauchte mich als Publikum. Er wollte nicht sehen, sondern gesehen werden. Deshalb ist Edgar Dirigent geworden."

Manchmal aber wird es zu lang: Wenn Katjas jammernde Mutter an Heiligabend seitenlang von ihrer Gesundheit quakt. Oder wenn Betti, die selbstgerechte Nachbarin, ihr dickes, dumpfes Kind gen Himmel lobt für sein Talent mit dem Akkordeon. Jede Szene der "Staubfängerin" beginnt statisch, und steigert sich zur furiosen Beschreibung eines kleinen, versteckten Wahnsinns. Die große Spannung des Romans liegt darin, dass nie klar ist, wo's als nächstes knallt: bei Edgar, dem muffligen Ehemann, der immer dicker wird und mürrischer? Bei Paula und ihrer fragilen Gesundheit? Oder in Tanjas Neurosengarten? Oskamp täuscht an, holt aus, haut drauf. Und wenn da steht: "Paula rührte sich noch immer nicht in ihrem Bettchen", dann hat man Angst, dass sie längst tot ist, und die Erzählerin es nur noch nicht bemerken will: Die Fallhöhe ist riesig. Die Angst maßlos.

Entsprechend ist Tanjas Geschichte, trotz aller Pointen, keine gutgelaunte Schmunzel-Lektüre: Tanja, aufgerissen und benebelt nach dem Kaiserschnitt allein im Krankenzimmer. Tanja am Dorfteich, morgens im Nebel, das schreiende Kind im Tragetuch, und der Mann auf Tournee. Tanja beim Tee mit der schlanken, gutgelaunten Dorfärztin, die versteckten Sticheleien. "Mutterschaft", hieß es einmal in "Six Feet Under", sei "das einsamste Geschäft der Welt", und mit angehaltenem Atem liest man in "Die Staubfängerin" von der Angst und dem Mut, einen Haushalt zu führen. Eine Ehe. Ein Kind zu beschützen. Ohne, dass es plötzlich tot ist. Katja Oskamp zeigt Alltag in einer irrsinnigen, unverstellten Klarheit. So, als gäbe es gar keine anderen Geschichten zu erzählen. Das liest sich so verführerisch, so klug und gut und folgerichtig, dass man erst gar nicht merkt, wie abgestimmt und eingespielt die simplen Worte ineinander greifen müssen, um so zu packen. So zu schütteln.

Schmuddelstellen, schlechte Szenen? Gibt's genug, trotz allem. Als Ich-Erzählerin hat Tanja einen scharfen Blick. Als Schreibende jedoch (die Textstückchen sind eingeflochten) passiert ihr nur Quatsch: "Bin schon gespannt wie ein Flitzebogen!", das kommt - in seiner Plattheit - aus dem Nichts. Schlimm trifft das auch manche Nebenfigur. Die Köchin der Kindertagesstätte mit ihrem frappanten S-Fehler: "Tschüssi, heute gibt's Schweineschnitzel, da werden unsere Süßen wieder schmatzen!", das ist zu laut, zu dick. Zu billig. Die letzten Absätze von Szenen könnte man gut streichen. Denn dort tritt Oskamp nochmal nach, so lange, bis es auch der dümmste Leser kapiert hat: "Wir sollten mal wieder ans Meer", sagt Edgar, "am Strand wandern, wie früher." - "Vergiß es", antwortet Tanja, "hinterher hab ich das Haus voller Sand."

"Die Staubfängerin" ist ein Roman, fünfmal klüger, praller, als es das Putzwahn-Thema befürchten ließ. Und dabei noch nicht, was er sein könnte: Mit mehr Raum für Entwicklung, weniger Pointen; mit einem Tempo, das sich nicht jedes Mal im hitzig-überspannten Knall entlädt, sobald die Szene ihren Siedepunkt erreicht. Am Schluss, nach 220 - teils atemberaubenden - Seiten, hat man drei Dutzend klarer, krasser Momente vor den Augen. Die aber, jede für sich, in Comic, Krach und Slapstick implodieren. Das ist noch immer supergut und unbedingt lesenwert. Nur wirkt der Anfang halt so komisch drangeklatscht. Das Ende auch. Und zwischendrin, da flackern Spots auf statischen Tableaus, bis alles glüht. Und brennt. Verpufft.

"Ich lege die Bettdecken zusammen. Die Sonne stach durch das vollgeschissene Dachfenster. Ich mochte es nicht, wenn die Sonne schien. Heute wird ein schöner Tag, behaupteten dann sämtliche Idioten. Aber an schönen Tagen sah man den Dreck. Regen war nicht besser. Er machte diese hässlichen Muster auf den Scheiben. Es gab nur falsches Wetter." Ich bin bereit, das alles wirklich, wirklich toll und groß zu finden. Aber dann höre ich die empathischen Seufzer, das eifrige Klatschen. Das Kichern biederer Frauen und das Rascheln ihrer Plastiktüten. Und denke: "Ne, Katja. So einfach kriegste mich nicht!"


Titelbild

Katja Oskamp: Die Staubfängerin. Roman.
Ammann Verlag, Zürich 2007.
222 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783250601111

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