Salome, der plumpe und fette Fleischkloß

Ein Tagungsband des „Internationalen Begegnungszentrums“ der Universität Bielefeld untersucht das Bild des Orients in der deutschen Literatur

Von Jürgen WeberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jürgen Weber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Entgegen den weit verbreiteten männlichen Klischees von der Sinnlichkeit und Anmut der „glutäugigen“ Orientalinnen entwarfen auch deutschsprachige Schriftstellerinnen ihr eigenes Bild ihrer Geschlechtsgenossinnen im fernen Morgenland. Wie Ulrike Stamm in ihrem Artikel „Die hässliche Orientalin“ in dem Band „Orientkurse in der deutschen Literatur“ nachweist, waren auch weibliche Protagonistinnen der deutschsprachigen Literaturszene des 19. Jahrhunderts nicht vor rassistischen Stereotypien gefeit.

Die meisten Autorinnen kämen darin überein, den Glauben an die Schönheit einer Orientalin widerlegen zu müssen – und es fehlt tatsächlich nicht an spöttischen Anmerkungen und Bonmots. So schreibt etwa Ida Pfeiffer, „die wohl berühmteste deutsche [sic!] Weltreisende des 19. Jahrhunderts“ in ihrer „Reise einer Wienerin in das Heilige Land“, dass es sogar besser für die Orientalinnen sei, sich zu vermummen, seien sie doch ohnehin alle hässlich und hätten „braune, garstige Haut und struppige Haare“.

Ida von Hahn-Hahn beschreibt in ihren „Orientalischen Briefen“ die sprichwörtliche „Salome“ gar als „Fleischklumpen“ und „plumpen braunen Bären mit weißem Kopf“. Die Orientalinnen würden von den untersuchten Schriftstellerinnen zumeist zu einer Masse homogenisiert und als „hässlich und früh verblüht“ abqualifiziert. Dabei stehe nicht nur die Negation des männlichen Phantasmas der sinnlichen Orientalin im Vordergrund, sondern durchaus auch eine rassistische Motivation, da die Beschreibung der Morgenländerinnen auf eine Gleichsetzung von Innerem und Äußerem abziele. Hahn-Hahn verstieg sich sogar zu der Aussage, lieber eine Herde Kühe und Schafe zu sehen, als einen Harem. Dieser würde das Weib [sic!] zum Vieh erniedrigen, aber die Orientalinnen würden sich darin sogar noch wohl fühlen! „Desto schlimmer für sie! hat sich je eine Kuh auf der grünen Wiese unglücklich gefühlt? Der Harem ist eine Wiese, die den Bedürfnissen des animalischen Lebens genügt.“

Ulrike Stamm interpretiert die Aussagen der von ihr gewählten Autorinnen in dem Sinne, dass die Europäerin genau das an der Orientalin ablehne, was sie nicht sein wolle: eine auf ihren Körper reduzierte Figur. Aber hier tappt die Autorin des Artikels, Stamm, in genau dieselbe Falle, wie die von ihr kritisierten Autorinnen: Stereotypisierung. Denn nicht jede Europäerin lehnt die Wahrnehmung als sexuelles Wesen ab, selbst wenn sie nur darauf reduziert wird. Sicherlich hat Stamm auch jene Autorinnen ausgewählt, die mit ihrer ideologielastigen Interpretation korrelieren. In ihrer Conclusio will sie denn auch nochmals festhalten, dass der Unterschied zwischen der männlichen und der weiblichen Perspektive darin bestehe, dass die Autorinnen jene Figur abwerten oder sogar dämonisieren würden, die im männlichen Blick gleichzeitig idealisiert und sexualisiert wird. Es handle sich dabei auf beiden Seiten um eine „vergleichbare, wenn auch gänzlich asymmetrisch ausgestaltete Topographie der Gewalt“.

Abgesehen von diesem – sehr interessanten – genderspezifischen Beitrag leistet der vorliegende Sammelband aber noch viel mehr an neuen Einsichten über das deutsch-orientalische Verhältnis. Es kommen zwar hauptsächlich deutsche Stimmen zu Wort – nämlich in elf von 14 Beiträgen – , aber die Bandbreite des Orientdiskurses in der deutschen Literatur wird gänzlich abgedeckt, wie auch der oben ausführlich besprochene und ansonsten marginalisierte Genderansatz zeigt. Einem weiteren wichtigen Aspekt des „deutschen Orientalismus“ widmet sich etwa Andrea Polaschegg in ihrem Beitrag mit dem Titel „Von chinesischen Teehäusern zu hebräischen Melodien“. In den von ihr erstellten „Parametern zu einer Gebrauchsgeschichte des deutschen Orientalismus“ entwirft sie, basierend auf Edward Said, eine Kategorisierung des Begriffes. Es handle sich beim Orientalismus im Wesentlichen um drei Phänomene: erstens sämtliche Akte der Bezugnahme, zweitens ihre Effekte, ihre Konstruktion und drittens der hiesige (okzidentale) Gebrauch orientalischer Elemente. Als deutliches Indiz und „schlimmes Zeichen“ einer solchen Inventarisierung der Literatur durch orientalische Elemente sei der Dilettantismus zu erwähnen, mit dem der Schauplatz Orient für die Literatur gewählt werde. Der „Stoff“ an sich sei schon poetisch und eröffne dadurch einen literarischen Wirkungsraum, den viele Jungdichter aus eigenem künstlerischen Vermögen nicht hätten schaffen können, schreibt Andrea Polaschegg. „Dem kritischen Blick des Betrachters präsentiert sich somit der Rückgriff auf Morgenländisches als deutlicher Ausweis literarischer Stümperhaftigkeit angehender Autoren, die den entlegenen Stoff für sich arbeiten lassen, im Vertrauen auf dessen poetische Effekte.“

In ihren weiteren Ausführungen und einer Funktionsäquivalenz, wie sie es nennt, kann die Autorin die enge Verbindung zwischen rationalistisch-universalistischen Welt- und Wissenschaftsmodellen sowie zu politischen Utopien absolutistischer Provenienz erkennbar machen, was es schließlich erlaube – so Andrea Polaschegg – „die romantische Sinophobie als anti-rationalistischen und absolutismus-kritischen Akt kultureller Kommunikation zu dekodieren“.

Ein weiterer äußerst lesenswerter Beitrag stammt von Sargut Sölcün. In seinem Artikel über die literarische Entdeckung vermeintlicher türkischer Mentalität untersucht er das Verhältnis deutscher Autoren zum Osmanischen Reich, der heutigen Türkei. Er geht darin nicht nur auf Stefan Zweig ein, sondern auch auf Friedrich Nietzsche und Hellmuth Moltke, sowie Ernst Fischer und Robert Minder. Das Erkenntnisinteresse des Autors richte sich auf die subversive Stimme der fremdbildnerischen Texte, die weder einen diplomatischen noch interkulturellen Frieden bezwecke und der umstrittenen Völkerverständigung über die literarische Kultur kaum dienlich sein könne, wie er selbst seine Vorgehensweise charakterisiert. Die subjektiven Schilderungen diverser Autoren könne nach literarischer Analyse also durchaus ein Gesamtbild einer Nation ergeben, was diese über den Orient oder in ihrem Fall über die Türkei denke. Dabei diene die Türkei oft als „negative Projektionsfläche“, schon der österreichische Autor Franz Grillparzer sprach von den „türkischen Verhältnissen“, da wo er seine eigene Heimat, Österreich nicht liebte. Obwohl kein Revolutionär, hasste er das Regime Metternichs, das ihn an die besagten türkischen Verhältnisse gemahnte. Ein anderer Orientalist und Essayist aus dem Südtirol, Jakob Philipp Fallmerayer, sprach von dem „eintönigen, freudlosen Leben türkischer Städte“, in denen niemand Zeitung lese, sondern allein „den Hunger stille und sich und seine Brut vor den Griffen der überall lauernden Gefahr sicher stelle“.

Wie Sölcün zu beweisen vermag, reduziert sich die Wahrnehmung des Türken durch die deutschsprachigen Literaten auf den bloßen Selbsterhaltungstrieb. Eine Eigenschaft, die zwar Tieren, niemals aber Menschen, jedenfalls keinen europäischen, zugeschrieben werden würde. Am besten werde der Türke/Orientale durch die Schnecke veranschaulicht – ein Bild, das Armin Wegner gerne zur Charakterisierung des orientalischen Lebens verwendet hatte. Damit werde „das negative Verhältnis zur produktiven Arbeit“ und „die Form ihres Ganges, der eher einem Warten als einer Bewegung gleichkomme“ ausgedrückt. Die Reduzierung des orientalischen Menschen auf Natur und Triebe, Faulheit und Müßiggang ist wohl das, was die Literaten an ihrer eigenen Gesellschaft am meisten verabscheuten. Die Türkei diente dabei als Projektionsfläche ihrer eigenen Abneigungen oder vielleicht Vorlieben, wenn man an die sexualisierten und sinnlichen Frauengestalten des Orients denkt.

Interessant bei Sargut Sölcün ist auch der Zusammenhang zwischen der Zusammenarbeit des deutschen und türkischen Nationalstaates am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, und wenn sie das verschobene Rezeptionsverhältnis der Beziehungen in den 1960er-Jahren zwischen türkischen Gastarbeitern und Deutschen beschreibt. Die einen appellierten an eine vermeintliche „Waffenbrüderschaft“ während des Ersten Weltkriegs, die anderen wollten an diese Epoche ihrer Geschichte lieber nicht mehr erinnert werden. Dennoch hat das deutsch-türkische Verhältnis und der Zuzug türkischer Gastarbeiter einen nachhaltigen Einfluss auf die deutsche Literaturgeschichte des ausgehenden 20. Jahrhunderts gehabt. Warum also immer über das Trennende sprechen, wenn es doch so viele Gemeinsamkeiten und Interdependenzen gibt?

Der Sammelband des „Internationalen Begegnungszentrums“ der Universität Bielefeld tut genau das und leistet einen wertvollen Beitrag zum „Euro-islamischen Dialog“, der in unser aller Interesse liegt.

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Klaus-Michael Bogdal (Hg.): Orientdiskurse in der deutschen Literatur.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2007.
363 Seiten, 39,80 EUR.
ISBN-13: 9783895285554

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