Die Frau der Woche

Sabine Schlingmanns erhellende Analyse des Fraubildes der Zeitschrift "Die Woche" (1899-1944) ist mehr als eine Fleißarbeit

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Der Geburtenrückgang - eine Zukunftsfrage" - eine Schlagzeile, auf die man zu Beginn des 21. Jahrhunderts so ziemlich in jedem bundesrepublikanischen Presseerzeugnis stoßen könnte. Tatsächlich stammt sie jedoch aus Kaiser Wilhelms Zeiten und ist annährend 100 Jahre alt. Ein Obermedizinalrat namens Dr. Krohne klagte unter diesem Titel 1916 in der Illustrierten "Die Woche" darüber, dass die Geburten in der Reichshauptstadt von 46 pro 1.000 Einwohner anno 1876 auf nicht mal 20 im Jahre 1913 zurückgegangen waren. Und genau wie so mancher konservative Journalist heutigentags, machte er schon damals die Frauenemanzipation dafür verantwortlich. Ihr lastete er es an, "daß es heute schon manche Frauen gibt, die sich glücklich preisen, wenig oder gar keine Kinder zu haben, und damit das Höchste und Heiligste, was es für ein Weib geben kann, die Mutterschaft, in den Staub ziehen."

Das Zitat aus der Feder Dr. Krohnes ist einer interdisziplinären Studie Sabine Schlingmanns entnommen, die das in der von 1899 bis 1944 erschienenen Illustrierten "Die Woche" tradierte und propagierte Frauenbild untersucht. Dabei wird schnell deutlich, dass Herrn Dr. Krohnes Antifeminismus für die in der "Woche" zur 'Frauenfrage' vor dem Ersten Weltkrieg vertretenen Positionen keineswegs typisch war. So brachte die Zeitschrift schon im ersten Jahr ihres Erscheinens einen ebenso fortschrittlichen wie emanzipatorischen Artikel über "Die Kindererziehung der Zukunft", dessen Forderungen noch immer weitgehend unerfüllt sind, wie Schlingmann bemerkt. So etwa die nach der Ganztagsschule für Kinder berufstätiger Eltern.

Mit ihrer nicht nur den redaktionellen, sondern auch den Anzeigenteil umfassenden Vollerhebung der "Woche" beabsichtigt Schlingmann, "sowohl einen Beitrag zur Entschlüsselung geschlechtsspezifischer Konstruktion[en] und Repräsentation[en] im historisch journalistischen System [zu] liefern als auch den Aspekt spezifisch weiblicher Rezeption mit auf[zu]greifen." Dabei interessiert sie nicht zuletzt die Frage, ob die Zeitschrift, deren Erscheinen sich über nahezu ein halbes Jahrhundert und drei politische Systeme (Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus) erstreckte, die gesellschaftlichen Entwicklungen "im Zeichen emanzipatorischen Aufbruchs darstellte" oder ob sie vielmehr ein "konservatives Sprachrohr" war, wie es der "konservativen, gouvernementalen" Ausrichtung des Scherl-Verlages, in dem sie erschien, entsprochen hätte. In diesem Zusammenhang untersucht die Autorin auch, ob und in welchem Maße die "Woche", die sich nicht als Frauenzeitschrift verstand, Autorinnen ein Forum bot, mit dem diese "eine spezifisch weibliche Leserschaft ansprechen" konnten.

Schlingmann unterteilt den zentralen Teil ihre Untersuchung in drei chronologische Abschnitte, die jeweils eines der drei politischen Systeme abdecken und weitgehend identische Gliederungen aufweisen. In jedem der drei Abschnitte wird zunächst der Darstellung der öffentlichen und sodann der privaten Sphäre von Frauen nachgegangen. Auch innerhalb dieser Teile gleichen sich die Gliederungen. So wird der erste der beiden Abschnitte jeweils mit der rechtlichen und politischen Stellung der Frauen eröffnet. Es folgen Kapitel etwa über die "weibliche Berufstätigkeit", Künstlerinnen und Sportlerinnen.

Weit öfter als Männer vom Schlage eines Dr. Krohne ließ die "Woche" in den Jahren des ersten Untersuchungszeitraums (1899-1918) Feministinnen sowohl des radikalen wie auch des gemäßigten Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung zu Wort kommen. So bot sie etwa Minna Cauer, Hedwig Dohm, Anita Augspurg, Helene Stöcker, Helene Lange und Gertrud Bäumer regelmäßig Gelegenheit, "öffentliche Kritik an der Situation der Frauen zu üben und gleichzeitig ihre Forderungen kundzutun".

Anders als die konservativ-monarchistische Ausrichtung des Scherl-Velages vermuten lassen könnte, reduzierte die Zeitschrift ihre Berichterstattung jedoch nicht auf die bürgerliche Frauenbewegung "oder gar auf den konservativsten Flügel in Vertretung der vaterländischen Frauen", sondern veröffentlichte auch Artikel über Sozialdemokratinnen und Kommunistinnen. In einem Heft aus dem Jahre 1906 ging Ilse Lorm sogar so weit, neben der Kaiserin Auguste Viktoria nicht nur Anita Augspurg, sondern auch Rosa Luxemburg zu den populärsten Frauen in Deutschland zu zählen.

Neben namhaften Feministinnen öffnete das Blatt seine Seiten auch bekannten Schriftstellerinnen, die der Frauenbewegung verbunden waren oder zumindest nahe standen. So waren etwa Gabriele Reuter, Clara Viebig oder Alice Berend in der "Woche" regelmäßig mit Essays vertreten. Literarische Beiträge lieferten unter anderem Ida Boy-Ed, Marie Ebner-Eschenbach und Thea von Harbou.

Immer wieder wurde in der Illustrierten positiv auf verschiedene Belange der Frauenbewegung Bezug genommen, insbesondere auf die Forderung, Frauen das passive und aktive Wahlrecht zu gewähren. So etwa in dem von Gabriele Reuter 1913 verfassten Artikel "Suffragetten und das Frauenstimmrecht". Doch traten nicht nur Gastautorinnen für das Frauenstimmrecht ein. Schlingmann zeigt vielmehr, "[d]ass die 'Woche' trotz ihrer gelieferten breiten Meinungsspektren auch selbst einen Standpunkt vertrat". Ein längerer Artikel, in dem Cajus Moeller das den Däninnen von ihrer Regierung 1915 gewährte Wahlrecht lautstark begrüßte, ist nur ein Beispiel von vielen.

Auch wurde auf den Seiten der "Woche" schon früh wissenschaftlich auftretenden Propagandisten der Inferiorität der Frau oder biologistischer Geschlechterklischees entgegengetreten. So bestritt Irma von Troll-Borostyani 1901, "dass in der weiblichen Psyche das Gefühls- und Phantasieleben, in der männlichen jedoch die Verstandes- und Willensthätigkeit vorherrsche". Tatsächlich sei eine "scharfe Scheidung zwischen männlichen und weiblichen Seelengemeinschaften" unhaltbar, gleichgültig, welche "wissenschaftliche[n] Allüren sie auch annehmen mag".

Des weiteren setzte sich die Illustrierte nachdrücklich für eine bessere Ausbildung von Frauen und ihre Möglichkeiten, einen Beruf zu ergreifen ein. Dem Frauenstudium stand sie allerdings "ambivalent" gegenüber. Immerhin aber konnte Dr. med. Jenny Springer in einem Heft von 1907 konstatieren: "Wer sich heute noch über das Frauenstudium - früher der Inbegriff des Grässlichen - aufregt, setzt sich der Gefahr aus, entweder völlig rückständig oder lächerlich zu erscheinen."

Doch nicht alle Beiträge waren emanzipatorisch. In Sachen Mutterschaft gelangten auch schon mal stockkonservative Auffassungen ins Blatt. So durfte Professor Dr. D. Friedrich Zimmer, Gründer des Evangelischen Diakonievereins sowie des Vereins "Frauendienst", 1904 in der Zeitschrift die Auffassung vertreten, dass "der normale Frauenberuf (...) der einer glücklichen Mutter" sei, [Auslassung Sabine Schlingmann, R.L.] und im folgenden Jahr verkündete ein weiterer Autor ganz ähnlich, "das Verkehrteste in der gesamten Frauenagitation" sei das "Herabsetzen der Mutterschaft".

Wie Schlingmanns Untersuchung deutlich werden lässt, vertrat die "Woche" bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs jedoch "[g]rundsätzlich fortschrittliche Einstellung[en] hinsichtlich neuer weiblicher Handlungsspielräume und sich langsam verändernder Geschlechtsrollendefinitionen" und präsentierte sich "insgesamt als Illustrierte im Zeichen des emanzipatorischen Aufbruchs". Antifeministischen Organisationen wie dem "Deutschen Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation" bot die Zeitschrift denn auch keine Plattform.

Nach dem Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik änderte sich die Zusammensetzung der MitarbeiterInnen der "Woche" nur wenig. So schrieben viele der Frauen, die schon vor dem Ersten Weltkrieg für die Zeitschrift tätig gewesen waren, auch nach 1918 für sie, unter ihnen weiterhin etliche Feministinnen aus der bürgerlichen Frauenbewegung. Bezeichnend ist Schlingmann zufolge allerdings, dass die Seiten der Illustrierten nun nur noch Vertreterinnen des gemäßigten Flügels offen standen.

Somit verschoben sich in zahlreichen die Frauen und das Geschlechterverhältnis betreffenden Fragen die Gewichtungen. Hinsichtlich weiblicher Berufstätigkeit vertrat die "Woche" während der Weimarer Jahre grundsätzlich die Auffassung, dass "die Frau bei aller beruflichen Leistungsfähigkeit doch Frau bleib[en]" müsse, wie es in einer Ausgabe aus dem Jahre 1928 heißt. Zudem wurden arbeitende Frauen nur in untergeordneten Positionen, etwa als Sekretärin oder Assistentin akzeptiert. Das - wie Schlingmann formuliert - "Lebensziel" aller Frauen sollte jedoch die "Mutterrolle" sein.

Insgesamt spiegelte sich die während der zwanziger Jahre verbreitete "Ambivalenz" des Frauenbildes, das zwischen progressiven und konservativen "Wertemustern" oszillierte, auch auf den Seiten der "Woche" wider, und zwar "durch alle thematisierten weiblichen Lebensbereiche hindurch". Doch sticht Schlingmann zufolge die "aus Sicht weiblicher Verfasser vielfach [...] positiv empfundene mentale Aufbruchsstimmung" ins Auge, die nicht nur "im Widerspruch zu der insgesamt erkennbaren konservativen Grundtendenz der 'Woche' während der zwanziger Jahre stand" sondern auch "enthusiastischer" war, als es die "real existierenden Umstände" tatsächlich rechtfertigten.

Die Zeit der Weimarer Republik zusammenfassend konstatiert Schlingmann, dass die "Woche" mit "Ausnahme weiblicher Sexualität" über alle frauenemanzipatorischen "Aufbruchsindizien" berichtete "und letztlich hinsichtlich emanzipatorischer Potentiale ein Bild zeichnete, das klare Aufbrüche, aber auch klare Restriktionen widerspiegelte", wobei "allerdings restaurative Komponenten" als "dominante Grund- bzw. Eckpfeiler" fungierten. Dass die Berichterstattung der Illustrierten über die "Frauenfrage" während der Zwanziger Jahre konservativer war als während des Kaiserreichs, lastet die Autorin auch "der insgesamt zurückgehenden Bedeutung und Popularität der Frauenbewegung in der Weimarer Republik" an.

Über die Zeit nach der nationalsozialistischen Machtergreifung braucht man eigentlich nicht viele Worte zu verlieren, denn die "Woche" ließ sich schnell und nur allzu gerne gleichschalten. Genauer gesagt, propagierte sie die nationalsozialistischen Ideologie bereits einige Jahre vor der Machtergreifung. Oder wie Schlingmann nicht ohne Ironie schreibt: "Fortschrittlich bzw. innovativ, im Sinne zukünftige Entwicklungen vorwegnehmend", war die "Woche" zu Beginn der 1930er-Jahre "nur hinsichtlich ihrer frühzeitig ablesbaren Tendenz zum Nationalsozialismus." So stellt sich Schlingmann zufolge für die Zeit nach 1933 weniger die Frage, "ob die 'Woche' NS-Gedanken-Gut hinsichtlich ihres gezeichneten Frauenbildes vermittelt, als vielmehr mit welchen Schwerpunkten, mit welcher Vehemenz und in welcher Ausschließlichkeit." Als Propagandablatt "konditionierte" die Zeitschrift ihre LeserInnen nunmehr "fortwährend im nationalsozialistischen Sinne" und beförderte "die rechtlich-politische Entmachtung der Frauen durch den Nationalsozialismus" nach Kräften, indem sie das "von den Nationalsozialisten ideologisch hochstilisierte Bild der Frau als ausschließliche Ehe-, Hausfrau und Mutter" propagierte.

Ebenso einschneidend wie die (frauen-)politische Ausrichtung des Blattes änderte sich die Zusammensetzung der Redaktion und des MitarbeiterInnenstabes. Von den Autorinnen, die das Bild der Zeitschrift über lange Jahre hinweg geprägt hatten, war nach 1933 kaum noch eine für die Illustrierte tätig. Die meisten der neuen Autorinnen schrieben zudem "zunehmend zu belanglosen Themen". Äußerten sie sich jedoch ausnahmsweise einmal zu "frauenspezifischen Fragen", vertraten auch sie die nationalsozialistische Ideologie.

Für ihrer empirischen Analyse der "Woche" hat Schlingmann zwar unzählige Daten zusammengetragen und ausgewertet. Doch hat sie weit mehr als nur eine immense Fleißarbeit vorgelegt. Ihre Studie leistet nicht weniger als einen hochzuschätzenden Beitrag zur Kultur- und Geschlechtergeschichte des Untersuchungszeitraums, der tiefe Einblicke in die auch auf den Seiten der "Woche" geführten Diskussionen über sämtliche Gebiete der stets heftig umstrittenen "Frauenfrage" gewährt. Zu monieren bleibt an dieser inhaltlich überzeugenden Untersuchung kaum etwas. Vielleicht, dass ein Personenregister den mit Biografien und Bildteil glänzenden Anhang weiter aufgewertet hätte oder dass die ausführlichen und an sich häufig erhellende Zusatzinformationen enthaltenden Fußnoten, so klein gedruckt sind, dass man sie kaum entziffern kann.


Titelbild

Sabine Schlingmann: "Die Woche" - Illustrierte im Zeichen emanzipatorischen Aufbruchs? Frauenbild, Kultur- und Rollenmuster in Kaiserzeit, Republik und Diktatur (1899-1944). Eine empirische Analyse.
Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2007.
540 Seiten, 98,00 EUR.
ISBN-13: 9783830030263

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