Für das System oder dagegen?

Thomas Weiss' über den "Tod eines Trüffelschweins"

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Grunde genommen ist die Sache klar: Der Fahrer Klaus Heuser tötet den amerikanischen Finanzinvestor Marc Schworz mit einem Pistolenschuss. Das Ganze ist kein Unfall oder ein Zufall, es ist klare Absicht. Heuser, der Schworz eigentlich zum Flughafen fahren soll, entführt ihn stattdessen in ein abgelegenes Waldstück und erschießt ihn. Die Leiche packt er in den Kofferraum seines Dienstwagens und fährt Richtung Süden. Irgendwann wird er gestellt, verhaftet, verhört. Heuser erklärt sich nicht, außer mit Schriftstücken, die den bekannten deklamatorischen Stil der RAF aufnehmen und im Opfer, Schworz, den Täter ausmachen.

Schworz ist Teilhaber eines amerikanischen Finanzinvestors, dessen Geschäft darin besteht, auf der einen Seite viel Geld einzusammeln und auf der anderen Seite mit diesem Geld Firmen aufzukaufen und - nach einer überschaubaren Zeit - für ein Mehrfaches wieder zu veräußern. Zielobjekt solcher Bemühungen sind gründergeführte Unternehmen, in denen es keine Nachfolge gibt, Unternehmen in der Krise, Unternehmen, die saniert werden oder die sich nur ganz allgemein auf den sich verändernden Weltmarkt einstellen müssen.

"Heuschrecken" hat Franz Müntefering solche Finanzinvestoren genannt, und der Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat es als eine der wichtigsten politischen Zukunftsaufgaben bezeichnet, diese Unternehmen kontrollierbar zu machen. Seitdem das Modell Deutschland, in dem Industrie und Finanzsektor eng miteinander verbunden waren, auseinander gefallen ist, weil es nicht mehr wettbewerbsfähig war, treiben die Unternehmen den Umbau der Wirtschaft und der Gesellschaft voran. Immer mit dem Hinweis auf den Modernisierungsdruck, der von einer globalisierten Wirtschaft ausgehe. Wer sich nicht ändert, geht unter.

Die Schattenseite der Modernisierung und Globalisierung für die alteingesessenen Industriestaaten ist, dass die Veränderung zum einen dem Profitinteresse der Investoren dienen soll, zum anderen auf regionale Befindlichkeiten keine Rücksichten nimmt (wohl auch nicht nehmen kann). Raus mit Gewinn heißt eben nicht, dass damit ein überlebensfähiges Unternehmen zurückbleibt. Und was mit den Sanierungsverlierern geschieht, steht eben auf einem zweiten Blatt geschrieben. So eben auch im Fall Grothe (der nicht von ungefähr an einen realen bundesdeutschen Fall erinnert). Kaum im Aufbau Ost in die Provinz verlagert, expandiert Grothe mit Hilfe der neuen Investoren nach Osteuropa und Asien. Die deutsche Niederlassung soll geschlossen werden. Der Alteigentümer sitzt in der Schweiz und genießt sein Altenteil. Die bundesdeutsche Erfolgsgeschichte ist eben nur für wenige ein Erfolg, die meisten nehmen nur ein paar Jahre daran teil, bevor der Betrieb weiter wandert, woanders hin, wo Arbeit billiger ist und die künftigen Absatzmärkte gleich nebenan.

In diesem Zusammenhang handelt Heuser, und er handelt extrem. Dass seine Tat ein Mord ist, daran gibt es keinen Zweifel, dass sie nicht exemplarisch ist, dass sie nicht zu legitimieren ist, ebenso. Das Besondere daran ist nur, dass Heuser als ehemaliges GSG 9-Mitglied an der Befreiung der Lufthansamaschine "Landshut" 1977 in Mogadischu beteiligt war, einer der Helden, die die Entführung beendeten. Nun also hat er sich auf die andere Seite geschlagen und wird selbst zum Mörder? Dass der linke Terrorismus der siebziger Jahre die Repräsentanten des Systems treffen wollte, kehrt hier als Motiv wieder (anders als der kulturelle Terror von rechts, der alle treffen soll, die zu der anderen, zur "Kultur des Bösen" gehören). Das hat damals nicht funktioniert und funktioniert auch dieses Mal nicht. Denn der Tod von Schworz führt zu nichts. Vielleicht zu einem erneut desillusionierten Heuser, aber den Betroffenen vor Ort nutzt er nichts. Nichts von dem, was Schworz begonnen hat, wird abgebrochen. Andere treten an seine Stelle und führen seine Arbeit weiter.

Weiss' Montageroman versucht nicht einmal, dieses Dilemma zu lösen, nach Rechtfertigungen oder Erklärungen zu suchen. Er stellt nur nebeneinander: Dokumente von damals, Berichte aus der Gegenwart, Interviews, Reden, Zeitungsartikel, Erzählungen. Aus jedem Blickwinkel sieht das Ganze anders aus, der Fall und seine Ursache. Beinahe.

Das ist in diesem Fall deshalb ein wenig unbefriedigend, weil Weiss mit seiner Textmontage ja nicht beliebiges Material nebeneinander stellt, sondern nur das, was wie eine Legitimation dessen aussieht, was Heuser getan hat. Ja, Heuser hat seine Ansicht geändert, er hat die Seiten bewusst gewechselt, weil er heute die Welt anders sieht als in den späten siebziger Jahren. Weil er älter geworden ist, weil er erfahren hat, welche Auswirkungen der Kapitalismus und seine Repräsentanten haben? Immerhin hat er sie gefahren. Dass die Nähe zum System zynisch machen kann - geschenkt. Aber dass das zu einer solchen Entscheidung führen soll, nämlich zum Mord an einem amerikanischen Finanzmenschen, das wird nicht plausibel, nicht einmal als Kurzschlusshandlung.

Die RAF-Mitglieder hatten alle eine einschlägige Karriere absolviert, bevor sie in den Untergrund abtauchten. Sie waren aus den sechziger Jahren heraus politisiert und hatten sich ihren merkwürdigen Legitimationsgestus in jahrelanger Sozialisation angeeignet. Heusers Tat und Rechtfertigungsschrift nun aus heiterem Himmel, à la "Die fetten Jahre sind vorbei"? Unglaubwürdig.

Damit kommen wir an den Punkt, auf den das Buch anscheinend zusteuert: Die Jahre, in denen alle mit allem einverstanden sind, sind vorbei? Jetzt nehmen sie das Recht in die Hand und lassen die Repräsentanten des Systems die Auswirkungen ihrer Handlungen tödlich spüren? Das liest sich wie eine Variante zu den neuerdings aus den USA herüberschwappenden Selbsthilfekrimis, in denen der "Verbrecher" nicht mehr dem Rechtssystem übergeben, sondern selbst gerichtet wird. Nur eben mit anderer politischer Ausrichtung. An diesem Punkt angekommen, zeigt Weiss zwar vor allem darauf, dass sich nichts ändert, trotz der Tat. Aber die Konsequenz daraus ist nicht die Einsicht in die Funktion von Politik (auf die es hier vor allem ankommt), sondern ein gefühlter Zwang zur Fortsetzung und zum Ausbau des kurzschlüssigen Gewaltaktes. Wenn das nicht geholfen hat, dann muss es wohl noch ein bisschen mehr sein. Keine Frage, eine Interpretation des Lesers, aber auf den kommt es ja an (sagt der Klappentext). Er hat angeblich das letzte Wort. Aber soweit kommt es wohl noch.


Titelbild

Thomas Weiss: Tod eines Trüffelschweins.
Steidl Verlag, Göttingen 2007.
130 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783865215581

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