Flußgefließe - Friedhelm Rathjens Aufsätze zu James Joyce

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Unter dem Titel "Flußgefließe" (geprägt als deutsche Übersetzung des Eingangsworts von Finnegans Wake: "riverrun") versammelt dieser Band mit Beiträgen aus zwanzig Jahren Aufsätze, Miszellen und Rezensionen über den Joyce'schen Bezüge zu Homer und die irische Literaturszene, über den Umgang nachgeborener Autoren, Musiker, Künstler und Übersetzer mit Joyce, über Vorbloom und Nachbloom, Blooms Tierleben und Mollys Pflanzennamen, über die Triebe von Shem und Shaun, das Treiben der Joyceaner und mancherlei mehr.

Den Auftakt bildet mit "Vorbloom: Joyceleben" ein knapper Abriss der Joyce'schen Biografie. Von dieser Biografie ausgehend, kommen in "Vom Umgang mit Joyce" sodann vor allem die unterschiedlichsten Versuche in den Blick, aus der Auseinandersetzung mit Joyce produktiv Funken zu schlagen; vorgestellt werden die Reaktionen von Schriftstellern (Samuel Beckett und Arno Schmidt), Avantgardekünstlern (John Cage), Popmusikern (Kate Bush) und auch Übersetzern auf Joyce. Ein weiterer Schriftstellerkollege, nämlich der irische Lyriker Seamus Heaney, verleitet in einem gesonderten Beitrag zu einer "Fährtensuche am Strand von Sandymount", die uns direkt in den "Ulysses" führt.

Mit Textdetails des "Ulysses" beschäftigen sich die nächsten vier Beiträge. Unter dem Stichwort "Maniküre" wird geprüft, warum sich Leopold Bloom an welchem Ort seine Fingernägel besieht. Unter dem Titel "Blooms Tierleben" werden Miszellen zur Fauna im "Ulysses" geboten, die Untersuchung der Spuren, die die irische Zeitschrift "Dana" in der Joyce'schen Bibliotheksepisode hinterlassen hat, fördert eine überraschende Quelle für die Wahl des Namens "Molly Bloom" zutage, und unter der Überschrift "Die Bibliothek als Meer der Plagen" ist die Bibliotheksepisode noch einmal Thema, diesmal unter dem Aspekt der Umsetzung homerischer Vorgaben.

Nach diesen detailorientierten Blicken ins Joyce'sche Werk gibt es in zwei Beiträgen Gelegenheit, einen Schritt zurückzutreten und Joyce wiederum aus der Perspektive seiner Wirkung auf Kollegen zu betrachten. Der kurze Beitrag "Joyce bei Galsworthy" belegt, dass der Autor schon zu Lebzeiten selbst von Kollegen, die traditionelleren Schreibweisen verhaftet blieben, zur Kenntnis genommen wurde, und in "Nachbloom: Zu einigen Ablegertexten" wird eine Reihe postjoycescher Texte vorgestellt und kritisch bewertet - hier geht es im einzelnen um "Ulysses"-Kopien aus Dänemark (Tom Kristensen) und Ungarn (Mihály Kornis), Joyce-Hommagen aus Spanien (Julián Ríos) und Serbien (Bora Cosic), eine von Walter Grond orchestrierte Joyce-Homer-Revue und einen hinter Joyce (und sogar dessen Vorgänger Laurence Sterne) weit zurückfallenden Erfolgsroman von Richard Flanagan.

In einem zweiten Set textanalytischer Beiträge geht es anschließend um "Finnegans Wake". Unter dem Titel "Mr Smuth" wird Arno Schmidts These, eine bestimmte Passage des Joyce'schen Spätwerks enthalte Reflexe auf den amerikanischen Unterhaltungsschriftsteller Thorne Smith, genauestens am Text überprüft. Eine Einführung in drei Fabeln, die Joyce in "Finnegans Wake" eingearbeitet hat, bietet der Aufsatz "Geschichten von Shem und Shaun" und in "Überfälle, Zusetzungen" wird anhand diverser Beispiele aus der eigenen Rathjen'schen Praxis vom "Umgang mit Zufälligkeiten beim Finnegans-Wake-Übersetzen" berichtet.

Am Schluss von "Flußgefließe" stehen zwei Abschnitte mit Rezensionen, die kritisch bewerten, was die Sekundärliteratur mit Joyce anstellt. Zunächst geht es um das "Treiben" der Joyceaner auf ihren regelmäßigen Tagungen an mehr oder weniger illustren Orten (Dublin, Sevilla, Rom, Krakau und nochmals Dublin), schließlich um die kommentierte "Ulysses"-Ausgabe des Suhrkamp-Verlags sowie Joyce-Sekundärveröffentlichungen von Wilhelm Füger, Wolfgang Hildesheimer, Neil R. Davison, Katharina Hagena, Fritz Senn, Christa-Maria Lerm Hayes, Dirk Vanderbeke und anderen. Deutlich wird: mit Joyce lässt sich vieles (aber vielleicht doch nicht alles) anstellen!

F. R.

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Titelbild

Friedhelm Rathjen: Flußgefließe. Aufsätze zu James Joyce.
Edition ReJOYCE, Scheeßel 2008.
168 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783000234286

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