Karl May - Pazifist und Umweltschützer

Hans-Rüdiger Schwab hat unter dem Titel "Vorsicht ist in keiner Lebenslage überflüssig" Karl Mays Werke nach Lebensweisheiten durchforstet und dabei Überraschendes zutage gefördert

Von Stephan SonntagRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Sonntag

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Was ist das für ein Autor, den sowohl Adolf Hitler wie Helmut Schmidt oder Helmut Kohl mit glühenden Wangen lasen?" Diese Frage stellt Herausgeber Hans-Rüdiger Schwab im Nachwort zu seiner Anthologie von Lebensweisheiten Karl Mays. Mit dem in mühevoller Kleinarbeit erstellten Büchlein will der Kulturwissenschaftler zur Wiederbegegnung mit dem meistgelesenen Autor deutscher Zunge einladen.

Das umfangreiche Werk des "letzten Großmystikers" (Arno Schmidt) hat Schwab akribisch nach "eingestreuten Einsichten, Ratschlägen und Sentenzen" durchforstet, welche "die harten Kerne im Netzwerk seiner Texte" darstellen. Dass das literarische Ich bei May so eindeutig wie bei kaum einem anderen Autor May selbst entspräche, wie Schwab meint, diese unmittelbare Gleichsetzung ist zweifelsohne problematisch. Zumal auch Aussagen anderer Romanfiguren als der Ich-Figur aufgeführt sind. "Die jeweilige Situation und Figurenperspektive wird hier nicht verraten. (Ganz überwiegend folgt letztere aber dem Helden-Ich oder Sympathieträgern.)", heißt es schlicht in Schwabs Nachwort. Unter dem genannten Vorbehalt ist ein in 30 Kategorien gegliedertes, 180 Seiten umfassendes Sammelsurium des May'schen Welt- und Lebensverständnisses entstanden.

Nun wird mancher ausrufen: "Um Gottes Willen, wer will das denn bloß lesen?" In der Tat würden wohl Aussprüche wie "Die Deutschen trinken immer Bier, und sind klug, dass sie es thun" oder "Je schneller man ins Wasser springt, desto eher ist man naß" nicht einmal auf den Innenseiten des "Muskote"-Zigarettenpapiers abgedruckt. Dennoch ist mit vorschnellen Urteilen Vorsicht geboten, oder um es mit Mays Worten zu sagen: "Vorsicht ist in keiner Lage überflüssig."

Bei einem Ausspruch wie "Nur ein Kranker kann glauben, das, was ihm heilig ist, durch die Vernichtung dessen, was andern heilig ist, zu fördern", würde wohl niemand sogleich an den "Möchtegern Old Shatterhand" aus Radebeul, Sachsen denken. Für einen Menschen, der in einer Zeit ungezügelten Nationalismus' und Imperialismus' gelebt hat, besitzt May eine ausgeprägte Pazifismus- und Völkerverständigungsrhetorik: "Gleichen Raum und gleiches Recht für Jeden, der zur Menschheit gehört auf Erden!" Mit deutlichen Worten verurteilt May die Ausrottung vieler nativer Völker, insbesondere der nordamerikanischen Indianer, und beklagt den Verlust an "geistigen Reichtümern" durch das "Verschwinden dieser Kulturformen". Auch die ungehemmte Zerstörung der Natur ist ihm ein Gräuel, er prangert Abholzung und Tierquälerei an und versteht sich als Teil der Natur: "Wer gegen die Natur lebt, darf nicht glauben, daß die Natur gegen ihn kämpfe, sondern er selbst kämpft gegen sich selbst [...]".

Nun sollte aber nicht der Fehler begangen werden, May gleich wieder zu einer frühen Mischung aus Mahatma Gandhi und Al Gore zu stilisieren. Aber vielleicht ist May eben auch nicht unbedingt ausschließlich der "neandertalische Triebtäter", der "gruselig unklare Kopf" gewesen, als den ihn Arno Schmidt in "Sitara und der Weg dorthin" bezeichnet hat.

Und schon ist der Punkt erreicht, den Schwab mit seiner Anthologie erreichen wollte: "Manches tritt [...] zutage, das der Massenrezeption verborgen geblieben ist - manches ferner, für das May im zeitgenössischen literarischen Kontext fast ein Alleinstellungsmerkmal zukommt. [...] Der Leser wird sich immer wieder einmal bei dem Gedanken ertappen, das oder jenes May nie zugetraut zu haben." Und darin liegt wohl auch Mays Erfolgrezept, er ist auf verschiedenen Ebenen les- und verstehbar, was auch bis zu einem gewissen Grade die Einstiegsfrage beantwortet. Selbst ein May-Satiriker wie Arno Schmidt unterscheidet bei seiner Studie vier Lesemodelle. Daher könnte auch dem deutsch-baltischen Schriftsteller Werner Bergengruen zuzustimmen sein, der May wie folgt zu rehabilitieren suchte: "Karl May ist naiv zu genießen oder von einem höheren Punkte aus. Seine Gegner sind Leute, welche die Naivität verloren, jenen höheren Punkt aber nicht einzunehmen gewusst haben."

Ob mit Schmidt, Bergengruen oder Schwab - bei der Lektüre Mays kommt es auf den Genuss an, woher auch immer er sich nährt. Daher abschließend ein typischer May zum Genießen: "Das scheinbar Schwere ist oft viel leichter als das, was leicht erscheint und auch leicht ist." Hugh, ich habe gesprochen.


Titelbild

Karl May: Vorsicht ist in keiner Lage überflüssig. Lebensweisheiten.
Herausgegeben von Hans Rüdiger Schwab.
dtv Verlag, München 2007.
192 Seiten, 7,50 EUR.
ISBN-13: 9783423135887

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