Ungeheuer als stille Reserve

In Morten Ramslands Kinderbuch "Ungeheuer!" erschrecken Eltern über sich selbst

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wann immer seine Eltern sich streiten, versteckt sich der kleine Peter im Küchenschrank unter der Spüle. Er ist häufig dort und fragt sich, wieso es in seiner Familie nicht so zugeht wie in anderen. Eines Tages beginnt er, kleine Ungeheuer in den Schrank zu malen.

Mit dieser Ausgangssituation entwickelt Morten Ramsland ein kluges erzählerisches Konzept über Wut und Ängste, die Gestalt annehmen und den Menschen gegenübertreten. Peter fühlt sich besser, nachdem er sein erstes Monster gemalt hat, denn "es ist ein schönes Gefühl, so ein waschechtes Ungeheuer gezeichnet zu haben". Er hat ein wenig von seinen Frustrationen aus sich heraus gelassen, nun ist das Ungeheuer "sein eigenes". Vorher war es das nicht: es war das seiner Eltern, das ihn bedrückte. Nun, da er es vergegenständlichte, kann er sich zu dem, was ihn zermürbte, in ein Verhältnis setzen und es beherrschen. Er zeichnet immer mehr kleine Monster, die nach und nach den Schrank verlassen und die Wohnung bevölkern. Vitali Konstantinov hat sie zackig-stachelig gezeichnet, schlecht gelaunt, missmutig, feindselig, widerborstig und beißwillig sehen sie aus. Sie haben keine bestimmte Gestalt, sind keine individuellen Wesen, nur die Erscheinung von Äußerungen im Streit.

Ungeheuerlich ist das Benehmen von Peters Eltern, zu Ungeheuern werden sie durch ihren Streit. Man sieht sie nur in den Gestalten, als die sie sich beschimpfen: als "blödeste und fetteste Kuh nördlich der Alpen" oder als "der bleichste Wurm mit dem hässlichsten Schnurrbart, den ich je gesehen habe". Nicht nur erfüllen ihre Feindseligkeiten in Monstergestalt die Räume, auch sie selbst sind als Eltern gar nicht mehr anwesend, sondern nur noch als das, als was sie sich sehen. Sie bemerken die Monsterschar, begreifen sie aber nicht. Besorgt werden sie erst, als die Monster wachsen - und zwar buchstäblich ihnen über den Kopf - und sie auf Bitten Peters bedrohen. Eingeschüchtert setzen sie sich aufs Sofa und täuschen ein freundliches Gesicht vor. Konstantinov lässt sie sich Theatermasken vors Gesicht halten. Auch hier, wenn sie nicht mehr streiten, sieht man sie nicht.

Aber in dieser bedrohlichen Situation erinnern sie sich wieder an ihren Sohn, weil sie sich Sorgen um ihn machen. Sie sind wieder Eltern, und man sieht nun ihre Gesichter. Sie sind nur dann sie selbst, wenn sie sich um ihren Sohn kümmern. Beeindruckt bemerken sie, dass ihr Sohn die Monster dirigiert. Ihr eigenes Kind wendet ihr Fehlverhalten gegen sie selbst. Hiervor erschrecken sie und lassen sich den Frieden von ihrem Sohn diktieren. Wie haltbar der ist, bleibt natürlich fraglich. Deswegen ziehen sich die Monster zwar zurück, halten sich aber im Küchenschrank bereit.


Titelbild

Morten Ramsland / Vitali Konstantinov: Ungeheuer!
Bilderbuch.
Boje Verlag, Köln 2007.
32 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783414820310

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