Eine schwebende Sinnlichkeit, eine kulinarische Liebesgeschichte

Hiromi Kawakami erzählt von der langsamen und vorsichtigen Liebe zweier einsamer Menschen

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In einer kleinen Bahnhofskneipe treffen sie sich zum ersten Mal. "Er saß kerzengerade an der Theke, ich setzte mich neben ihn. 'Eine Portion Thunfisch mit fermentierten Sojabohnen, einmal gebratene Lotuswurzel in süßer Sojasauce und eingelegte Perlzwiebeln dazu, bitte', rief ich dem Wirt zu. Der ältere Mann neben mir bestellte nahezu gleichzeitig dieselben Gerichte." Verblüfft sehen sich die beiden an. "Sie sind doch Tsukiko Omachi?" fragt er. "Ich habe Sie schon öfter hier gesehen." "Aha", sagt sie unverbindlich.

So beginnt eine spröde, poetische und kulinarische Liebesgeschichte, die beide - die 37jährige Tsukiko und ihr über dreißig Jahre älterer Japanischlehrer, ihr "Sensei" - lange nicht wahrhaben wollen. Ab und zu treffen sie sich in der Kneipe, einmal machen sie einen Ausflug mit dem Wirt in die Berge, um Pilze zu sammeln und sie gleich an Ort und Stelle zu kochen und zu essen. Sie trinken Bier und Sake zusammen, gehen auf einen Markt an der Minami-machi-Haltestelle, wo der Sensei zwei kleine Küken kauft, sie gehen zum Pachinko und einem Kirschblütenfest. Sie streiten sich über ein Baseballspiel, vertragen sich bei heißem Tofu und warmem Sake, reden manchmal miteinander, manchmal auch nicht. Aber immer halten sie Abstand.

Doch bald merkt man, dass sich die einsame Frau doch in ihn verliebt, fast ohne es zu merken: Er ist der einzige Mann, mit dem sie etwas unternimmt, mit dem sie überhaupt etwas unternehmen will. Und sei es nur, sich knapp und einsilbig zu unterhalten, an der Bar zu sitzen und etwas zu essen. Das Essen spielt eine große Rolle in diesem kleinen Roman von Hiromi Kawakami. Da geht es von Udon mit Rettich über Asakusa-Algen, Krake mit Wasabi bis zum Gelee aus Ahornstabknolle - lauter kleine Häppchen, die man hier im Westen natürlich nicht kennt, die in Japan aber in jeder besseren Bar zu haben sind. Über das Essen kommen sich diese beiden Einzelgänger näher, über das Essen und den gegenseitigen Respekt, der sie vor unüberlegten Handlungen schützt. Ganz langsam werden Tsukiko und der Sensei miteinander vertraut, zwei verschreckte Menschen, die mit anderen nichts anfangen können, die "überzeugt sind, für die Liebe nicht geeignet zu sein".

Als ihr Lehrer sie auf die Insel mitnimmt, auf der seine Frau gestorben ist, nachdem sie ihn verlassen hat, kommt es zu einer Katharsis und zur Erkenntnis, dass sie vielleicht doch füreinander geschaffen sein könnten. Oder, wie er es zärtlich-vorsichtig ausdrückt: "Würden Sie zum Zweck eines Liebesverhältnisses eine Beziehung mit mir eingehen?"

Kawakamis Buch ist eine zarte, lakonische und doch poetische Annäherung an eine seltsame Liebe zwischen zwei vereinsamten Menschen, die dennoch ihre Würde behalten haben. Voller Witz und Anmut umkreist die Autorin das behutsame Sichkennenlernen, die Missverständnisse, die rührende Komik und ergreifende Innigkeit dieser Beziehung. Vieles bleibt ungesagt, vieles wird kaum auch nur angedeutet, und man versteht es doch. Die erotische Spannung bleibt lange unterschwellig, aber sie gibt dem Roman von Anfang an eine schwebende Sinnlichkeit. Atmosphärisch still und sehr empfindsam gleitet die Liebesgeschichte bis zum Tod des Sensei dahin, sensibel und feinsinnig bis zum Schluss.


Titelbild

Hiromi Kawakami: Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß. Eine Liebesgeschichte.
Übersetzt aus dem Japanischen von Ursula Gräfe und Kimiko Nakayama-Ziegler.
Carl Hanser Verlag, München 2008.
186 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783446209992

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