"Ich bin nicht Zuckerman"

Zum 75. Geburtstag des großen amerikanischen Schriftstellers und ewigen Nobelpreiskandidaten Philip Roth

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Alljährlich wird Philip Roth im Vorfeld der Nobelpreisbekanntgabe als heißer Kandidat gehandelt - zweimal hat er schon den National Book Award (unter anderem 1959 für seinen Erstling "Goodbye Columbus"), dreimal den PEN-Faulkner-Preis und 1998 für "Amerikanisches Idyll" den Pulitzerpreis erhalten.

Philip Roth, der vor 75 Jahren als Sohn jüdischer Eltern in Newark geboren wurde, kreist in seinen Werken stark um die eigene Biografie (häufig verborgen hinter seinen Figuren Nathan Zuckerman, David Kepesh und Phil Roth), die geprägt ist von der jüdischen Herkunft und den damit verbundenen Problemen im amerikanischen Alltag. Ein weiteres, häufig wiederkehrendes Sujet im gewaltigen Œuvre des viele Jahre als Universitätsdozent tätigen Autors ist sein zwiespältiges Verhältnis zu Frauen.

Seine Ex-Frau, die Schauspielerin Claire Bloom, hat ihn Mitte der 1990er-Jahre in einem Buch als "psychopathischen Egoisten und Frauenhasser" attackiert.

In den jüngsten Werken spielen zudem der körperliche Verfall und der nahende Tod eine zentrale Rolle. 1991 hatte sich Roth in seinem Roman "Mein Leben als Sohn" schon einmal diesem Themenkomplex gewidmet, als er die letzten Lebensjahre seines Vaters auf beeindruckende Weise nachgezeichnet hatte.

Philip Roth hat mit seinen Büchern vor allem in den letzten Jahren höchst ambivalente Gefühle entfacht. Nach den großen Romanen "Amerikanisches Idyll" (1998) und "Mein Mann, der Kommunist" (1999) strapazierte er die Geduld der Leser mit seiner in Alliterationen vernarrten Hauptfigur Word Smith in "The great american novel" (2000). Ein Jahr später hat sich Roth mit "Der menschliche Makel" fast bis zum Gipfel des literarischen Olymps vorgekämpft, dann folgte wieder ein tiefer Fall mit "Das sterbende Tier" (2002). Darin stürzt er den siechen, erotomanen Literaturprofessor David Kepesh in eine turbulente und am Ende dramatisch zugespitzte Beziehung zur kubanischen Studentin Consuela Castillo. In "Verschwörung gegen Amerika" (2005) jonglierte Roth auf bemerkenswerte Weise mit der amerikanischen Geschichte und ließ darin den Flugpionier Charles Lindbergh - ein bekennender Antisemit - 1940 US-Präsident werden. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive eines jüdischen Kindes.

"Mit der Idee einer Person in einem Dilemma beginne ich eigentlich alle meine Bücher", hatte Roth Anfang Februar in einem "FAZ"-Interview erklärt. Private und gesellschaftliche Probleme vermischen sich, lassen negative Synergie-Effekte entstehen und treiben seine Figuren in tiefe existenzielle Krisen. Dass Roth sich dabei stets am Erfahrungsspektrum des eigenen Lebensweges bediente, ist unstrittig. "Was immer die Literatur aufbewahren möchte - einen Moment im Leben eines Menschen, ein Ereignis in der Geschichte oder ein bestimmtes menschliches Verhalten - ist abhängig von der ästhetischen Beherrschung dieses stofflichen Materials", hatte Roth in einem Interview erklärt. Und vor der Veröffentlichung seines jüngsten Romans "Exit Ghost" (2008) unterstrich er noch einmal vehement: "Ich bin nicht Zuckerman." Seine über einen Zeitraum von fast 30 Jahren gehegte Figur hat er nun in den literarischen Ruhestand geschickt. "Es fühlt sich wie ein Abschluss an", erklärte Roth nach Vollendung seines zehnten Romans um den jüdischen Schriftsteller. In "Exit Ghost" (sein insgesamt 28. Buch) hat sich Roth auch auf hochartifizielle Weise mit dem Problemkreis verzerrender Biografien und autobiografischen Schreibens beschäftigt.

Mit dem Autor sind im Laufe der Jahre auch seine Figuren zusehends gealtert. "Das Alter ist keine Schlacht, das Alter ist ein Massaker", heißt es im 2006 erschienenen "Jedermann". Mit gnadenloser Schärfe und großer medizinischer Präzision beschreibt Philip Roth darin den körperlichen Verfall seines Protagonisten. Und genau jene Erfahrungen macht auch der von Inkontinenz und Gedächtnislücken geplagte Zuckerman in "Exit Ghost".

Obwohl sich Philip Roth, der seit vielen Jahren zurückgezogen auf einer Farm in Connecticut lebt, noch immer beachtlicher Vitalität erfreut und sich seine Lebensplanung stets an seinen literarischen Projekten orientiere, hat er sich bereits eine Grabstätte in der 57. Straße in New York gekauft.

Ein neuer Roman steht schon wieder kurz vor der Vollendung. Im Zentrum soll ein junger Mann in der Zeit des Korea-Kriegs stehen. Der Zuckerman-Figur hingegen gönnen wir nach ihrem (vermutlich letzten) Auftritt in "Exit Ghost" einen ruhigen Lebensabend, und ihren Schöpfer, den scharfsinnigen Analytiker Philip Roth dürfen wir im Herbst wieder auf der Kandidatenliste für den Nobelpreis erwarten. Verdient hätte er ihn längst.