Wann ist ein Hahn ein Hahn?

Ein pomadiger Gockel hat ein schwieriges Erbe anzutreten

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der "Sonnenwecker" ist ein Hahn - in diesem Fall ein junger Hahn - und gleichzeitig unser Ich-Erzähler, der die schwere Nachfolge seines stimmgewaltigen Vaters antreten muss. Martin Baltscheit bebildert diesen Einstieg gewohnt gekonnt, humorvoll und leicht überzogen. Der Vater krähte so laut, dass es die anderen Tiere von den Füßen haute. Und bereits eine Doppelseite weiter ist er es, der im Vordergrund die Füße in die Luft streckt, während in der Mitte der Pfarrer die Segnung vornimmt und dahinter die weinende Witwe und der kleine Halbwaise zuschauen. Die Farben sind bunt und kräftig, gleichzeitig aber auch gedämpft und leicht edel (wie auch das Cover). Die Charaktere sind kräftig bis grotesk gezeichnet; der Nachfolge-Hahn ist ein echter Gockel mit einer pomadisierten Tolle, die der ständigen Überprüfung bedarf.

Der junge Hahn muss nicht nur den Vergleich gegen seinen Vater bestehen, sondern seinem morgendlichen Krähen kommt nach der Hähne Glauben eine wahrlich kosmische Bedeutung zu: sie wecken nicht nur Mensch und Tier zu dem Zeitpunkt, wenn die Sonne aufgeht - sondern sie selbst seien es, die die Sonne wecken und damit den Tag überhaupt erst beginnen lassen. Daran glauben allerdings nur die eitlen Hähne. Alle anderen Tiere spotten über den neuen Gockel und versuchen, ihn eines Besseren zu belehren. Bei dieser Gelegenheit bekommen Kinder auch ein wenig Astronomie vermittelt.

Der Gockel macht zwei Mal die Probe aufs Exempel. Aber als er eines Morgens nicht kräht, da scheint dies nicht zu zählen, weil man den Hahn vom Nachbarhof hört, und auch der könnte die Sonne geweckt haben. Aber als er es nicht schafft, um Mitternacht die Sonne aufgehen zu lassen, sondern statt dessen vom Bauern mit Gewehrsalven vom Misthaufen gejagt wird, da bricht für ihn die Welt zusammen, die von ihm abzuhängen schien.

Aber nicht nur für ihn. Denn wenn er nicht kräht, dann nimmt zwar die Sonne trotzdem ihren Lauf, aber das soziale und ökonomische Leben auf dem Bauernhof kommt nicht rechtzeitig in Gang. Unter Androhung des Kochtopfs lässt sich der neue Hahn vom Bauern wieder von seiner eminenten Bedeutung überzeugen, und so ist "Der Sonnenwecker" eine amüsante Geschichte über Gockelhaftigkeit und Sichwichtignehmen. Bauer und Hahn schließen ein gentlemen's agreement, die Tatsachen zu ignorieren, damit der Hahn seine Arbeit wieder tun kann.


Titelbild

Martin Baltscheit / Christoph Mett: Der Sonnenwecker.
Bajazzo Verlag, Zürich 2008.
40 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783907588925

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