Ein Raubtier überwindet sich selbst

Ente und Fuchs schlagen in Christian Dudas Kinderbuch aus der Art

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kinder mögen Tiergeschichten. Das Sujet scheint zunächst harmlos, hat es aber in sich, denn über Tiergeschichten bekommen Kinder häufig eine bedenkliche Weltanschauung vermittelt. Jack Londons Schlittenhunde-Romane beispielsweise beschreiben nicht nur einen brutalen Existenzkampf, sondern propagieren diesen auch. Sein Naturalismus ist von einer erschreckenden, begeisterten Mitleidslosigkeit, die er nicht nur auf die Wildnis beschränkt. In seinen Abenteuergeschichten steht alles unter dem Bann der Naturgesetze, die das Schwache zermalmen; in seinen politischen Tendenzromanen, in denen er einen streng deterministischen Marxismus mit nietzscheanischen Übermenschen-Phantasien verschmilzt - wie beispielsweise in "The iron Heel" (1907) - regieren die Gesetze des dialektischen und historischen Materialismus' einen apokalyptischen Klassenkampf, in welchem Londons Akteure (wenn man überhaupt sie als Handelnde bezeichnen kann) durch äußerste Entsagung zu säkularen Heiligen werden. Der erste Satz in dem ansonsten textarmen Natur-Dokumentationsfilm für's Kino, "Nomaden der Lüfte" (2001), schafft gleich mühelos den Sprung vom Darwinismus zum Sozialdarwinismus: alles Leben stehe unter dem Gesetz des Stärkeren. Glücklicherweise war meine Nichte enttäuscht darüber, dass die Tiere in diesem Film nicht sprechen, so dass wir nach den ersten zehn Minuten wieder gehen konnten. "Die Reise der Pinguine" (2005) hätte sie in dieser Hinsicht ein wenig mehr befriedigt, aber hier hätte sie dann auch das Hohelied der Entsagung und der Aufopferung des Einzelnen für das Kollektiv gesungen bekommen.

In diesem Buch ist das anders. Hier sind die Tiere nicht einfach nur verkleidete, typisierte oder karikierte Menschen, sondern ihnen wurde eine eingeschränkte arttypische Natürlichkeit gelassen, mit der dann gespielt und aus der der Witz der Erzählung gezogen wird. Denn der Fuchs will eine Ente fangen, die ihm jedoch entkommen kann, und so kann er nur das Ei erbeuten, das sie bebrütet hatte. Bevor er aus diesem Ei zuhause Rührei machen kann, schlüpft aus dem Ei ein Küken, was ihm auch kein schlechtes Futter scheint. Aber dann stellt er unwillkürlich eine Beziehung zu seiner Beute her: weil das Küken fälschlicherweise "Mama" zu ihm sagt, korrigiert er automatisch das Geschlecht der Anrede. Die Peniblität des Fuchses bringt ihm gleich einen veritablen "Anruf des Anderen" (Emmanuel Lévinas) ein, dem er sich dann kaum noch entziehen kann. Fortan ist er hin und her gerissen zwischen seinem Hunger und seiner keimenden Zuneigung, ein Konflikt, den er für sich in das Kalkül rationalisiert, entweder sofort seinen Hunger zu stillen oder zu warten, bis die Beute größer geworden ist, damit er dann umso mehr davon haben wird. Diese Entscheidungssituation wiederholt sich immer wieder: als das Küken größer wird, als es eine andere Ente kennen lernt, in die es sich verliebt, als die beiden Nachwuchs bekommen, der sich am Ende zu eine riesigen Population vermehrt. Die rationale Begründung für das Hinauszögern des Fressens wird immer durchsichtiger, der Fuchs immer fürsorglicher.

Auch die grafische Gestaltung erteilt dem Naturalismus eine Absage. Die Bilder bestehen aus einzelnen zusammengeklebten Elementen, aus einem Mix von verschiedenen Materialien. Häufig sind sie ungefüge und eckig, die Zeichnungen absichtlich krakelig.

Christian Duda spielt mit der Natürlichkeit, mit dem Gegensatz von Veranlagung und Instinkt einerseits und Entscheidung andererseits. Den Fuchs nannte er "Konrad", die Ente "Lorenz", zusammen ergeben sie also den Namen des für das Alltagsbewusstsein wahrscheinlich einflussreichsten Soziobiologen, dessen Werke fatalerweise auch bei Kindern sehr beliebt sind. Duda ridikülisiert dessen Ansichten, indem er seine Geschichte dessen Auffassungen entgegensetzt. Nicht nur hier verfügt die Geschichte über einigen Humor, der auch auf mehreren Ebenen funktioniert, so dass sie nicht nur Kindern gefallen kann.


Titelbild

Christian Duda: Alle seine Entlein.
Mit Illustrationen von Julia Friese.
Bajazzo Verlag, Zürich 2008.
60 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783907588857

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