Hochhackige Schuhe im alten China

Helwig Schmidt-Glintzer erklärt uns die "kleine Geschichte Chinas"

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigentlich ist es ja ein Widerspruch in sich, eine "kleine Geschichte Chinas" schreiben zu wollen. Wie wollte man denn eine Geschichte, die über mehrere tausend Jahre geht, zusammenfassen können? Manchmal scheint es, als habe sich China gleich nach der Erschaffung der Welt herausgebildet. So hätten es auch gerne die Chinesen selbst, die erst seit vergleichsweise wenigen Jahren die Archäologie fördern und auf ihrem riesigen Gebiet erstaunliche Funde machen. Am Spektakulärsten waren wohl die über 7.000 Krieger der Terrakotta-Armee des Herrschers von Qin, die erst vor wenigen Jahren entdeckt wurden.

Natürlich wird auch die Archäologie politisch benutzt, um der Welt und den auseinanderstrebenden Chinesen zu beweisen, dass China immer schon ein Reich oder wenigstens ein Land gewesen ist. Was natürlich nicht stimmt. China war lange eine Ansammlung von disparatesten Reichen, stand immer wieder dicht vor der endgültigen Auflösung, suchte immer wieder nach einer Einheit und verfehlte sie auch immer wieder. China ist deswegen zwar ein spannendes Land, aber auch nicht so leicht zu überschauen. Zu durchschauen schon gleich gar nicht.

Der Sinologe Helwig Schmidt-Glintzer, Direktor der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, hat es trotzdem versucht, und es ist ihm in großen Teilen auch gelungen. Seine "Kleine Geschichte Chinas" breitet auf knapp 300 Seiten eine vieltausendjährige Geschichte aus, wirft den Blick manchmal über lange Zeiträume hinweg, fokussiert immer wieder neu und bleibt dabei fast immer gleichzeitig präzise und übersichtlich. Er beginnt mit dem Vorurteil, dass die Geschichte Chinas 5.000 Jahre alt sei - sie ist aber eher 8.000 Jahre alt: In der Jungsteinzeit gab es die Cishan- und Peiligang-Kulturen des 7. Jahrtausends. Schon hier differenziert der Autor zwischen einer südlichen Reis- und einer nördlichen Hirsezone. Später, im 4. Jahrtausend gab es technisch hochentwickelte Kulturen im Süden, am Unterlauf des Yangzi, die Lackschüsseln, feinste Keramik, Webinstrumente kannte und schon Seide herstellen konnte.

Spannend wird es dann zur Zeit der Reichsgründung, die man aus Zhang Yimous Film "Hero" kennt, als "der Held" versucht, den Qin-Kaiser zu ermorden, um die Einigung zu verhindern. Wir wissen, wie es ausging: mit opulenten Bildern und dem Tod des "Helden". Die Han-Dynastie zeigte dann, wie sehr sich die neue Ordnung dann doch bewährte, wie sie Frieden und Wohlstand brachte. Während der Sui- und Tang-Zeit wurde dieser Zustand dann konsolidiert.

Dies alles erklärt und erläutert Schmidt-Glinzer sehr genau. Es gelingen ihm bei aller Wissenschaftlichkeit treffende Bilder und prägnanteste Kurzerklärungen. Zum Beispiel erläutert er mit einem Schaubild genau, wie das Zusammenbinden der Frauenfüße ging: Es erinnert sehr stark an die hochhackigen Schuhe, wie sie Frauen heute "freiwillig" tragen, die die Füße fast genauso zerstören - und die Hüften und den Rücken dazu, auch das soll erotisch sein. Dazu sagt Schmidt-Glinzer lapidar: "Frauen wurden zur Ware und zu käuflichen erotischen Objekten und suchten ihre Chance auf dem Heiratsmarkt zu steigern." Das war im späten 10. Jahrhundert, aber es unterscheidet sich nicht allzu sehr von heute, wo Frauen ihren Körper zerstören und so weit gehen, dass sie fast verhungern, um ein Schönheitsideal zu bedienen und damit ihre Chance zu steigern.

Immer wieder deutet Schmidt-Glinzer auch an, woher die heutigen Gebietsansprüche Chinas kommen, nämlich aus der alten Geschichte. Wie Bohai, ein Königreich, das von den Jahren 689 bis 926 über die Mandschurei, Teile des heutigen Nord-Korea und das Ost-Ussuri-Gebiet herrschte. Aus diesem Gebiet stammten die späteren Dynastien Liao und Jin. Die Koreaner reklamieren Bohai für ihre Geschichten, die Chinesen sehen darin lediglich einen Vasallenstaat, die Russen betonen die Unabhängigkeit des tungusischen Staates. Natürlich gilt ähnliches auch für Tibet.

Schmidt-Glinzer versteht es, diese Zusammenhänge anschaulich darzustellen. Er spart nichts aus, auch wenn er natürlich verknappen muss, weder die Literatur noch die Kulturgeschichte, den Alltag, den Handel, Militär ebenso wie die Wissenschaften. Ein klein wenig zu lang und zu detailliert geraten ihm höchstens die Teile, die die Geschichte des 20. Jahrhunderts nachverfolgen. Das hätte er vielleicht ein wenig knapper halten können, um dafür die Geschichten des älteren Chinas ausführlicher zu gestalten. Aber auch so ist und bleibt die "kleine Geschichte Chinas" für die nächsten Jahre das einführende Standardwerk in ein Land, das nach der Lektüre dieses Buches vielleicht nicht mehr ganz so geheimnisvoll und unverständlich erscheint wie davor. Und das ist dann schon eine große Leistung.


Titelbild

Helwig Schmidt-Glintzer: Kleine Geschichte Chinas.
Verlag C.H.Beck, München 2008.
298 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783406570667

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