Euthanasie, Abtreibung und political correctness

Michael Hauskellers "Suche nach dem Guten"

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Tötung Neugeborener sei moralisch erlaubt und diejenige Schwerstbehinderter gar geboten. Diese Thesen vertritt der australische Moralphilosoph Peter Singer - wenn man in lässt. In Dortmund und Marburg ließ man ihn vor einigen Jahren nicht. Krüppel- und Behinderteninitiativen, autonome Frauengruppen und andere verhinderten durch massiven Druck und Drohungen die Vorträge.

Michael Haukeller hingegen zieht es vor, Singer argumentativ zu widerlegen. Mit Hilfe einer diffizilen Reihe syllogistischer Schlüsse weißt er in seiner Aufsatz-Sammlung "Auf der Suche nach dem Guten" nach, dass es schon formallogisch nicht schlüssig ist, wenn Singer argumentiert, es sei moralisch nicht verwerflich, ein Wesen zu töten, "das sich nicht selbst als eine Entität mit einer Zukunft sehen", und daher "keine Präferenz hinsichtlich seiner eigenen zukünftigen Existenz" haben könne. Auf einer zweiten Ebene zeigt der Autor eine weitere Schwachstelle von Singers Beweisführung auf: Haben Wesen kein Interesse, künftig zu leben, so der australische Philosoph, bestehen präferenz-utilitaristisch keine Bedenken, sie zu töten. Hauskeller jedoch zeigt, dass nicht das Interesse künftig leben zu wollen entscheidend ist, sondern das Interesse, gegenwärtig leben zu wollen. Dieser Lebenswunsch sei nicht kontingent, sondern mache geradezu den Begriff von Leben aus. Hauskeller gelingt es, Singer präferenz-utilitaristisch immanent zu widerlegen, also auf seinem eigenen Terrain.

Eine viel schlichtere und grundsätzlichere Überlegung führt der Darmstädter Philosoph allerdings nicht ins Feld: dass es durchaus nicht hinreicht, wenn es ein Lebewesen nicht vorzieht, nicht getötet zu werden, um seine Tötung moralisch unbedenklich zu machen. Vielmehr ist die Tötung eines Wesens selbst dann nicht in jedem Fall moralisch unproblematisch, wenn es sie ausdrücklich wünscht.

In einer Reihe anderer Aufsätze widmet sich der Autor weniger brisanten und aktuellen Themen. So befasst er sich etwa mit der Ethik des Aristoteles, der Naturphänomenologie von Ludwig Klages, oder den ethischen Perspektiven der Philosophie Alfred North Whiteheads. Mit solchen und ähnlichen Artikeln will er "Fundamente" für seine Beiträge zu aktuellen "Diskussionen" um Euthanasie, Hirntod und das "Recht auf Leben" schaffen.

In einem weiteren dieser aktuellen Artikel widmet er sich dem den Frauen "zugestandenen Recht", unter bestimmten Bedingungen abzutreiben. Der "offenstehende rechtliche Freiraum", wie er die restriktive Reglementierung euphemistisch nennt, "entbindet" die Frauen nicht von der "moralischen Verantwortung für ihr Handeln". Zwar bedauert er ganz paternalistisch, den Frauen, die "aus irgendwelchen Gründen eine Abtreibung erwägen", nicht sagen zu können, welche Entscheidung "richtig" sei, denn "selbst eine noch so genaue Analyse der Situation [...] kann einer Frau nicht sagen, was sie tun soll." Auf die Idee, dass Frauen vielleicht gar nicht gesagt bekommen wollen, was sie tun sollen, sondern am Ende gar selbst entscheiden möchten, scheint er nicht zu kommen. Am Schluss des Beitrages räumt er zwar ein, dass "wir [...] der Frau die Entscheidung darüber überlassen müssen" - wie bedauerlich! -, "ob sie ihr Kind austragen möchte oder nicht". Allerdings bekommen die Leserinnen durch Wortwahl, Beispiele und den gesamten Subtext ununterbrochen untergejubelt, wie falsch es doch sei, abzutreiben. Da ist davon die Rede, "dass menschliches Leben in jedem Entwicklungsstadium wertvoll" sei, "dass dem Leben eines menschlichen Fötus Achtung" gebühre und dass sich in seiner Entwicklung das "Wunder unserer eigenen Existenz" spiegele.

Zur Frage, wann ein Mensch tot sei, und in wiefern der Hirntot ein gültiges Kriterium hierfür sei, äußert er sich im gleichen Beitrag hingegen sehr differenziert und problembewusst, um am Ende zu dem nachvollziehbaren Schluss zu gelangen, dass diese Frage für die moralische Entscheidung, wie wir mit den Sterbenden und den Toten umgehen sollten, jedoch gänzlich ohne Belang ist: "Mir scheint eine Welt, in der man uns die Zeit läßt, in Ruhe zu sterben und andere dabei zu begleiten, letztlich doch erstrebenswerter als eine Welt, in der dies nicht möglich ist. Und allein darauf und auf nichts anderes kommt es an: wir müssen uns alle fragen, in was für einer Art Welt wir leben und sterben wollen, und dann sehen, ob die routinemäßige Entnahme von Organen bei Hirntoten in diese Welt paßt."

Im abschließenden Beitrag befasst Hauskeller sich unter dem Titel "Die 'Banalität des Guten'" mit political correctness in Deutschland. Zwar schreibt er zu Beginn ganz richtig, dass der Begriff negativ konnotiert sei, und dass PC etwas sei, "von dem man sich hierzulande gern verfolgt oder wenigstens bedroht sieht." Leider hält diese Erkenntnis nur wenige Zeilen an, dann kippt seine Darstellung ins Gegenteil. Nun wird PC von Leuten ausgeübt, die sich "aus irgendwelchen Gründen in der Gesellschaft benachteiligt fühlen". Tatsächliche Benachteiligung, strukturelle Hierarchie, Unterdrückung und ähnliches kommen bei Hauskeller nicht vor. All das findet nur in der Vorstellungswelt einiger "kleiner oder größerer Gruppen" statt. "Die ihrem eigenen Empfinden nach Unterprivilegierten" nehmen sich "als Opfer der Gesellschaft wahr und reagieren dementsprechend empfindlich". Reines Ressentiment also.

Besonders gerne, so Hauskeller, zücken die Parteigänger der political correctness den Knüppel des Begriffs "Faschismus", mit dem sie auf jede missliebige Auffassung einprügeln. Das ist soweit richtig, als der Begriff des Faschismus tatsächlich inflationär zur Diskreditierung des politischen Gegners benutzt wird und somit genau die gleiche Funktion erfüllt, wie der der political correctness. Dass der Begriff des Faschismus jede inhaltliche Kontur verliert und der tatsächliche Faschismus verharmlost wird, wenn etwa Peter Singer, Ernst Nolte oder Alfred Hrdlicka als Faschisten bezeichnet werden, ist ein besonders schlimmer Nebeneffekt, den Hauskeller jedoch nicht erwähnt. Und im übrigen trifft die Kritik des inflationären Gebrauchs des Faschismusvorwurfs nicht nur die Kreise, die Hauskeller die politisch korrekten nennt.

Das Instrumentarium der vermeintlichen Vertretern der political correctnes - er tut nunmehr so, als handele es sich um einen Begriff zur Selbstbezeichnung - umfasst ein weites Spektrum. Zu ihm zählt Hauskeller gewaltsame und gewaltbereite Ver- und Behinderungen von Vorträgen ebenso wie die Weigerung an Diskussionen teilzunehmen. "Ja man weigerte sich sogar, das Buch [Singers] zu lesen", klagt er. Unwillkürlich fragt man sich, ob Hauskeller es etwa zur Pflicht-, gar Zwangslektüre machen möchte. Ein weitere verwerfliche Maßnahme politischer correctness, bestehe darin, einem Interviewpartner bestimmte Fragen zu stellen, wie etwa Augstein dem Geschichtsrevisionisten Ernst Nolte.

Kurz: Hauskeller verrührt gewaltbereite autonome Gruppen, die Diskussionen verhindern wollen, mit Leuten, die es ablehnen, an bestimmten Diskussionen teilzunehmen oder in Interviews die 'falschen' Fragen stellen, zu einem grauen Brei, dem er den Stempel PC aufdrücken möchte, der aber auf dieser amorphen Masse keinen Eindruck hinterlassen will.

Das freie Wort, für das Hauskeller sich so ungeschickt und wenig überzeugend stark macht, ist natürlich ein sehr hohes Gut und wert, nachdrücklich verteidigt zu werden. Aber es ist nicht das einzig Gut und kann durchaus mit andren, keineswegs geringeren in Konflikt geraten: etwa dem der Unversehrtheit und der Würde von Menschen. Die Problematik einer solchen - wenn auch bedauerlichen, so doch gelegentlich nicht zu vermeidenden - Güterabwägung scheint Hauskeller nicht zu sehen. Überhaupt lässt er in diesem letzten Beitrag das Differenzierungsvermögen, das ihn in der Auseinandersätzung mit Singer auszeichnet, schmerzlich vermissen.

Titelbild

Michael Hauskeller: Auf der Suche nach dem Guten. Wege und Abwege der Ethik.
Die graue Edition, Reutlingen 1999.
238 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3906336247

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