Krieg um jeden Preis

Adam J. Tooze nimmt die zerstörerischen Kräfte der NS-Wirtschaftspolitik haarscharf unter die Lupe

Von Jörg von BilavskyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg von Bilavsky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Dieses Buch ist das erste im Laufe von sechzig Jahren, das die Funktionsweisen der deutschen Kriegswirtschaft unter Speer und seinen Vorgängern wirklich kritisch betrachtet und ein gänzlich neues Licht auf den Einsatz wirft, mit dem Speer bis zum blutigen Ende versucht hat, das Regime seines Führers doch noch zu retten", heißt es im Vorwort des fast tausend Seiten starken Werkes von Adam Tooze. An Selbstbewusstsein mangelt es dem gerade mal 39-jährigen Wirtschaftshistoriker der Universität Cambridge offenbar nicht. Aber auch nicht am nötigen Fachwissen und an originellen Thesen, die seine "Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus" auszeichnet.

Eine Gesamtdarstellung, welche die neuesten Forschungsergebnisse zur NS-Wirtschaftspolitik so umfassend auswertet, gab es bislang weder aus deutscher noch aus anderer Feder. Und auch keine Studie, die soviel Wert darauf legte, nicht nur haarklein über das Bruttoinlandsprodukt, die Arbeitslosenzahlen oder Preis-Lohn-Indices zu dozieren - sondern sie auch in unmittelbaren Zusammenhang mit den politischen und militärischen Strategien der NS-Elite zu stellen. Insofern versteht Tooze sein Mammutwerk auch als eine allgemeine Einführung in die Geschichte des "Dritten Reichs".

Der britische Historiker sieht in Hitlers Denken nicht nur irrationalen Rassenwahn und Imperialismus am Werk. Er unterstellt ihm und seinen Helfern sogar ein äußerst rationales Kalkül in Wirtschaftsfragen. Ein Kalkül, das von Anfang an auf einen Krieg um jeden Preis zielte. Um sinkende Arbeitslosenzahlen und steigenden Wohlstand ging es Hitler höchstens aus herrschaftsstabilisierenden Gründen. Der bereits 1933 verdeckt angekurbelte Rüstungswettlauf mit Frankreich, Großbritannien und den USA stand bis zum bitteren Ende in diametralem Gegensatz zu einer konsumorientierten Wirtschaftspolitik. So weist Tooze detailliert und überzeugend nach, wie wenig Geld etwa in die Landwirtschaft oder die Textilwirtschaft, dafür aber umso mehr in die kriegswichtigen Rüstungsindustrien investiert wurde - zu Lasten der Bevölkerung, die nur begrenzt von der Konjunktur und der rüstungsbedingten Vollbeschäftigung profitierte. Der Lebensstandard der Deutschen entsprach nach Toozes Berechnungen dem des heutigen Iran. Kein Wunder also, dass der mit exakten Statistiken arbeitende Wirtschaftshistoriker Götz Alys überpointierte These von der "Wohlfühldiktatur" nicht ohne weiteres teilen kann. Allerdings verliert er in seinem Buch kein Wort über die mit dem deutschen Publizisten ausgetragene Kontroverse vom letzten Jahr.

Tooze geht es aber auch gar nicht um feuilletonistische Nachhutgefechte. Er möchte die NS-Wirtschaftspolitik differenziert und faktisch genau betrachten. Insofern ist es gut, wenn er uns nochmals ins Gedächtnis ruft, dass der Autobahnbau anfangs kaum neue Arbeitsplätze schuf, Bauern und Handwerker immer mehr an volkswirtschaftlicher Bedeutung verloren und die selbstgewählte Isolation von der Weltwirtschaft zu einem notorische Devisen- und Rohstoffmangel führte, der fast zwangsläufig in einen kriegerischen Konflikt mit Deutschlands schärfsten Wirtschaftskonkurrenten führen musste. Hitler zog von Anfang an einen Wechsel auf den zukünftig im Osten zu erobernden Lebensraum. Ohne das dortige Potenzial an Rohstoffen, Absatzmärkten und Arbeitskräften war an eine Normalisierung des deutschen Wirtschaftskreislaufs gar nicht zu denken.

Doch Hitler hat - wie Tooze mit eindrucksvollen Daten und Thesen beweisen kann - die Rechnung ohne seine Gegner in Ost und West gemacht. Deren wirtschaftliche und militärische Stärke war der deutschen zu jedem Zeitpunkt um Längen voraus. Obwohl Hitler dies insgeheim bewusst war, entfachte er im September 1939 einen Krieg, den er auch nach damaligen Berechnungen nie hätte gewinnen können. Insofern schlug bei Hitler und seinen Paladinen doch wieder die ideologische Blindheit durch. Ein schneller Sieg, wie ihn sich die Oberbefehlshaber der Wehrmacht erhoffte, war trotz der anfänglichen "Erfolge" in Polen, Frankreich, Belgien und den Niederlanden ein bloßer Wunschtraum. Doch diesen wollten sich Hitler und seine Rüstungsminister Todt und Speer mit allen Mitteln erfüllen. Koste es noch so vielen Juden, Zwangsarbeitern, Soldaten und Zivilisten das Leben. Seine schon im Buchtitel vertretene These von einer "Ökonomie der Zerstörung" trifft nicht nur auf die Motive der NS-Elite, sondern auch auf die Folgen dieses Handelns zu.

Vieles von dem, was er mit seinen Erkenntnissen ins Reich der Forschungslegenden verweist, ist dort allerdings schon längst gelandet. Die Legenden von Speer als willenlosem Technokraten oder von der erst durch die Nazis angestoßenen wirtschaftlichen Erholung sind von der deutschen Forschung längst als solche erkannt und beschrieben worden. Allerdings wird Tooze mit einigen seiner im Wust von Zahlen und Vergleichen versteckten Thesen die Forschungsdiskussion sicher ankurbeln. Gerade wenn es darum geht, die Haltung der Deutschen zur kriegsprogrammierten Wirtschaftspolitik etwas genauer zu beobachten. Denn ob die Aufrüstungspolitik in der deutschen Gesellschaft wirklich so populär war, wie Tooze anhand von Berichten der Exil-SPD zu beweisen sucht, sei dahingestellt. Tooze weiß, dass es solch provozierende und zugespitzten These braucht, um Schwung in den historischen Diskurs zu bringen und die fachwissenschaftlichen Barrieren zwischen statistisch orientierten Wirtschaftshistorikern und "geisteswissenschaftlich gebildeten Forschern" abzubauen. Deswegen sollte man seine anfangs diagnostizierte Überheblichkeit nicht allzu ernst nehmen. Dafür aber um so mehr seine faktengesättigte und flüssig geschriebene Erzählung vom wirtschaftlichen Aufstieg und Niedergang des "Dritten Reichs".


Titelbild

Adam Tooze (Hg.): Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus.
Übersetzt aus dem Englischen von Yvonne Badal.
Siedler Verlag, München 2007.
926 Seiten, 39,95 EUR.
ISBN-13: 9783886808571

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