Von "savoir vivre" zu "saarvoir mourir"

Markus Walthers Anthologie "Letzte Grüße von der Saar" bietet erfreulich Kriminelles

Von Torsten MergenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Mergen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In den Vogesen entspringt ein Fluss, der Namensgeber eines deutschen Bundeslandes und Wortbestandteil zahlreicher Städte an seinen Ufern ist: Angesprochen ist die 250 Kilometer (meist) gemütlich dahinfließende Saar. Wenigen scheint bekannt, dass die Saar zwei Quellflüsse besitzt, einer trägt die Bezeichnung die "Rote Saar". Ebenfalls wenigen dürfte geläufig sein, dass in der Tradition der roten Farbe der Einzugsbereich dieses Flusses im Westen Deutschlands zum Tatort zahlreicher Kriminal- und Detektivgeschichten geworden ist, welche die Rote Saar literarisch in ein noch dunkleres Rot tauchen.

Anknüpfen kann man auch an der Saar an die Entwicklung, dass sich Kriminal- und Detektiverzählungen wachsender Beliebtheit in der lesegeneigten Öffentlichkeit erfreuen. Dabei entscheiden wenige Kriterien, ob die Erzählungen Interesse und Wohlgefallen der Leserinnen und Leser finden: knappe und fesselnde Erzählweise, psychologisch nachvollziehbar Handelnde (Täter wie Opfer) sowie eine überraschende Wendung, welche die Herzen der Krimifreunde in Erstaunen versetzen und eine mehr oder minder fühlbare Affektentladung ermöglichen. Hinzu kommt in der letzten Zeit ein weiteres, allerdings nur scheinbares Gütekriterium: die regionale Nähe zum Tatort, der mit vertrauten Gegenden, Dialekten und Schauplätzen sowie - nicht zu vergessen - Mentalitäten aufwartet.

Die Publikumsneigung zur kriminalistischen Infragestellung der heimatlichen Geborgenheit samt Ergänzung durch das Flair des Lokalkolorits ist inzwischen durch unzählige Franken-, Köln-, Eifel- oder Friesenkrimis aufgegriffen und auflagenwirksam umgesetzt. Mit manch freudigen und einigen unerquicklichen Auswüchsen für das Genre wie für die "kriminalisierten" Regionen.

Für das Saarland liefert der in Saarbrücken angesiedelte Conte-Verlag eine so genannte Saar-Krimi-Anthologie, die von ihrem Umfang beinahe dem Titel einer amerikanischen Kultserie - "24" - entspricht, vereint der Band doch mehr als zwanzig Kriminal- beziehungsweise Detektivgeschichten mit Schauplätzen im Saarland und in den angrenzenden Gebieten.

Nicht ganz gelingt es dem Krimi-Potpourri von der Saar dabei, die Spannung von "24" durchgängig zu halten. Statt dessen bietet die Anthologie etwas für jeden Geschmack, denn die Geschmäcker der Regionalkrimifreunde sind bekanntlich verschieden. Dem Herausgeber Markus Walther gelingt aber bereits mit dem Entree seiner Anthologie ein Glücksgriff: Lilo Beils "Süsses Wiedersehen" handelt von einer innerlich zutiefst erschütterten Lehrerin, die aus abgrundtiefem Hass auf eine Schülerin zur Mörderin wird. In Agatha Christie-Manier verbindet Beil die minutiöse Beschreibung der Seelenlage mit der präzisen und durchaus Schauder erregenden Schilderung des Tötungsaktes, über den es heißt: "Die Häme in den Katzenaugen, von der Laterne beleuchtet, der Spott in der Näselstimme. Theresa zog, ohne ein einziges Wort zu sagen, die dekorative, schlichte und nun so nützliche Metallstange aus dem Buchsbäumchen in ihrer Tragetasche, die sie gerade abgestellt hatte, und rammte sie blitzschnell und mit voller Wucht ihres aufgestauten Hasses in die Stelle des Körpers [...], wo sie das Herz vermutete."

Einige weitere Stories aus dem Band seien auch noch genannt: Da gibt es die historischen Kriminalfälle, die Ehe-Zwistigkeiten auf mittelalterlichen Burgen, die in einen blutigen und unschuldige Opfer fordernden Geschlechterkampf münden, ferner die klassischen Detektivgeschichten, die um ermittelnde Kommissare und deren durchaus nicht immer frustfreies Berufsleben kreisen.

Zu den beachtlicheren Texten zählen aber vor allem Christoph Marzis "Der Aufzug", ein ambitionierter und atmosphärisch dichter Fantasy-Thriller um das Sujet "Tod durch Technik", der jedem Besucher des Saarbrücker Hauptbahnhofs zur Lektüre empfohlen sei.

Dass der Hauptbahnhof als Kulminationspunkt Saarbrückens für kleine Ganoven wenig Erfreuliches zu bieten hat, lernt man aus Kerstin Rechs "Der längste Tag des Bertram Hussong", einer kafkaesk anmutenden Erzählung um einen Taschendieb, der mit einem Mord in Verbindung gebracht wird und mit der Leiche des Mordopfers zu "kämpfen" hat.

Gleichfalls beachtlich sind die Kurztexte von Wolfgang Brenner über "Wahre Geschichten aus Südwest" mit dem nachdenklich stimmenden Fall eines SS-Offiziers, der trotz Kriegsgefangenschaft und Wiedereingliederung in die Nachkriegsgesellschaft nur mit Hilfe eines juristischen Winkelzuges um die Pose des "stolzen Mörders" gebracht werden kann.

Während Walter Wolters Kurzkrimi "Mimikry", der in den waldreichen Gebieten des Saarlandes spielt und den Plot eines betrogenen Betrügers entfaltet, den Lesern das Dämmerlicht im Umfeld der Saar fürchten lehrt, steigert sich das innerliche Erschauern bei der Lektüre von Elke Schwabs "Gipfeltour", die eine tödliche Mountainbike-Fahrt mit dem sagenumwogenen Litermont verknüpft.

Insgesamt bietet die Anthologie einen interessanten Einblick in die Qualitäten der Saar-Krimi-Landschaft, die sich vor vergleichbaren Kulturräumen nicht verstecken muss. Ungewollt liefert Schwab aber am Beispiel ihrer Protagonistin die Begründung, warum der Regionalbezug zum Erfolgsgaranten für Kriminalgeschichten geworden ist: "Rasch besann sie sich. Sie kannte diese Gegend wie ihre Westentasche - war hier aufgewachsen, hatte den größten Teil ihrer Kindheit in diesem Wald verbracht. Wer wollte es hier mit ihr aufnehmen?"


Titelbild

Markus Walther (Hg.): Letzte Grüße von der Saar. Saar-Krimi-Anthologie.
Conte-Verlag, Saarbrücken 2007.
241 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783936950687

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