"In der Tradition Heinrich Himmlers"

Dirk Rupnow entdeckt "untergründige Kontinuitäten" in der deutschen Gedächtnis- und Vergangenheitspolitik

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer ein Denkmal - und sei es auch ein Mahnmal - baut, der sagt: Das sind wir. Er sagt sich und anderen, was er ist und wie er sich sieht, was er sein will und wie er sich sehen möchte. Er droht sich und anderen: schaut, wozu wir fähig waren - und es deswegen auch immer wieder sein könnten. Was, wenn sich dies als wahr herausstellt?

Mahnmale zum Nationalsozialismus, so Dirk Rupnow in der vorliegenden Aufsatzsammlung, erinnern zwar an das Verbrechen - aber auch eben nur an das Verbrechen. Ausgestellt wird die "Monumentalität der Tat", der Umfang der Zerstörung und die Zahl der Morde. Um die Opfer geht es aber nicht, und wenn, dann nur in zweiter Linie. In erster Linie geht es darum, von den Tätern schweigen zu können. Wenn das stimmt, dann werden bisherige Gegensätze verflüssigt. Dann steht nicht der Massenmord auf der einen Seite und die Erinnerung und das Gedenken als Überwindung und Antidot des Verbrechens auf der anderen. Dann werden nicht nur die Gegensätze verflüssigt, sondern dann erweist sich das, was sich als Mahnung gegen die Tat erheben soll, als deren Fortsetzung mit gar nicht so anderen Mitteln.

Rupnow erhebt Einspruch gegen die Vorstellung, die Nazis hätten durchweg nicht nur die Juden auslöschen wollen, sondern auch die Tat der Vernichtung selber und jede Erinnerung an die Juden überhaupt. Die damnatio memoriae war "nur eine Option unter anderen". Wie schon in seiner Diplomarbeit ("Täter - Gedächtnis - Opfer", Picus 2000) und seiner Dissertation ("Vernichten und Erinnern", Wallstein 2005) bemüht Rupnow sich, das nachzuweisen, was er "Gedächtnispolitik" nennt: Ansätze der Nazis, zusammen mit den Juden nicht auch all das auszutilgen, was an sie erinnert, sondern die Erinnerung an sie lebendig zu halten; die Vergangenheit nicht auszulöschen, sondern über die Juden erst recht zu triumphieren, indem sie das jüdische Gedächtnis und die Erinnerung an die Juden enteignen; die Tat nicht in aller Stille durchzuführen, um sie so nichtmals vergessen machen zu müssen, sondern sie als Leerstelle gegenwärtig zu halten.

Prominentes Beispiel für die Gedächtnispolitik ist das "Jüdische Zentralmuseum" in Prag. So weit seine Ausstellung entwickelt wurde, kann man sagen, dass diese keine denunziatorische antijüdische Propaganda enthalten hätte. Vielmehr fand die "kunsthistorische Sachlichkeit", mit der die jüdischen Wissenschaftler die Ausstellung projektierten, die Zustimmung ihrer Auftraggeber vom SD. Beispiele aus der Lokalgeschichte zeigen direkte Linien bis in die Gegenwart. Einzelne Initiativen aus der Zeit des Nationalsozialismus, jüdischen Besitz und Synagogen zu bewahren, um die Wachsamkeit gegenüber dem größten Feind der Deutschen auch nach seiner Deportation aufrechtzuerhalten, wurden nach 1945 zur Entlastung benutzt. Aus antisemitischen volkspädagogischen Arisierern wurden Retter jüdischen Kulturguts. Alle diese Beispiele haben die Verfolgung und die Vernichtung der Juden zu ihrer materialen Voraussetzung. Die Juden werden ihrer Habe enteignet und anschließend umgebracht. Das, an was erinnert werden kann, wird erst hervorgebracht - und das, womit an sie erinnert wird, wird denen, an die erinnert werden soll, weggenommen. Die immer schon gegebene "Allianz zwischen Museum und Tod" wird hier besonders augenfällig.

Die Nazis taten also bereits das, was ihre anti-nazistischen Nachkommen später tun sollten. Aber es gibt nicht nur Parallelen bei musealen Vorhaben. Indem die Täter-Kinder das Bild vom Holocaust übernahmen, welches die Täter von ihrer Tat mühevoll zu produzieren suchten, führten sie die Intentionen derjenigen fort, als deren Gegner sie sich (miss-)verstanden. Die Täter stellten die Judenvernichtung auf eine bestimmte Weise dar. Sie verheimlichten die Tat keineswegs, wie immer wieder kolportiert wird, ganz im Gegenteil konstatiert Rupnow einen "Darstellungsdrang". Sie kontrollierten die Bilderproduktion und lieferten eigene Bilder von der Tat. Solche, die die alltäglichen Grausamkeiten zeigen, wurden unterdrückt, diejenigen hingegen, die die Tat nicht verschweigen, aber sie auch nicht zeigen - dafür aber den angeblich wohlgeordneten, rationellen Weg zu ihr hin - waren erlaubt. Das "Auschwitz-Album" und der "Stroop-Bericht" waren kein Eigentor perverser Bildersammler, kein geheimer Blick hinter die Kulissen, sondern das Bild von der Tat, das die Nazis sich gerne davon machten. Und sie versorgten über Jahrzehnte historische Werke und Schulbücher mit Bildmaterial. Des weiteren waren Täter nach 1945 Kronzeugen der Zeitgeschichtsschreibung. Und schließlich schreibt die "irreführende Vorstellung eines anonymen Massenmords", die seit Jahrzehnten immer wieder im Tabubrecher-Gestus reaktiviert wird, die besonders gewitzt eine vermeintlich korrekte Beschreibung des Holocausts mit Gesellschaftstheorie und Gegenwartskritik zu verbinden meint, das Selbstbild der Täter nahtlos weiter, gibt ihm akademische und noch dazu gesellschaftskritische Weihen. Das neutralisierende Vokabular, mit der die Täter über die "Endlösung" sprachen, wird für bare Münze genommen.

Die Nazis waren also überaus erfolgreich und sind es auch nach dem Ende des "Dritten Reichs" noch immer. Auch wenn es manchmal etwas dauert. Damals diente die "nationalsozialistische Gegnerforschung" ebenso wie die Vernichtung des Feindes dazu, eine deutsche Identität zu finden und herzustellen. Diese Lehre der Judenpolitik wurde in der Bundesrepublik Deutschland jahrzehntelang missachtet, weil man den Holocaust nur als Schande verstand, der die bundesdeutsche Identität destabilisieren könnte. Seit zirka zwanzig Jahren ist man schlauer, und so ist "der von Deutschen initiierte und verübte Massenmord nicht mehr Stachel, sondern Bezugspunkt und Bestätigung deutscher Identität."

Die Beiträge im vorliegenden Band enthalten ungleich mehr Material, erhellende Verknüpfungen, drastische Perspektivenwechsel und ebenso originelle wie verblüffende und erschreckende Linien unbewusster Traditionen. Die Kapitel zu den Themen von Rupnows Dissertation bieten nichts Neues und lassen einen manchmal unbefriedigt zurück, weil man sich die Materialbelege für seine Thesen mitunter zusammensuchen muss. Besonders gespannt erwarten sollte man aber vor allem das Ergebnis von Rupnows Habilitation.


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Dirk Rupnow: Aporien des Gedenkens. Reflexionen über Holocaust und Erinnerung.
Rombach Verlag, Freiburg 2006.
202 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-10: 3793094669
ISBN-13: 9783793094661

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