Bio-Terroristen schauen Dich an

Jean-Christophe Rufin will den Thriller ins 21. Jahrhundert führen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit dem Ende des Kalten Kriegs ist auch der Thriller an sein vermeintliches Ende geraten. Vorbei die Blutbäder unter Spionen. Vorbei das Kontinenthopping. Vorbei die Zeit der Superspione mit den Wunderwaffen. Von wegen. Auch wenn das Reich des Bösen als großer Antipode wegfällt, so gehen dem Genre die Bösewichter doch nicht aus. Und wenn es keine verbohrten Altkommunisten mehr sein dürfen und die fanatischen Fundamentalisten unterschiedlicher Provenienz auch schnell langweilig werden, entwickelt das Genre ganz einfach andere Konfliktparteien, die es auf die freie Welt, die Weltherrschaft oder den Planeten abgesehen haben.

Die Supermilliardäre als Finanziers wachsen immer nach, und mit ihnen jene megakriminelle Energie, die für reichlichen Konfliktstoff sorgt. Und mitten drin unsere gewohnt schönen und eleganten Helden, die mindestens besonders große Kompetenzen in irgendwas mitbringen (Dan Brown hat gern solche Superwissenschaftler im Einsatz), in jedem Fall aber genügend Willen haben, Rätsel, die außer ihnen niemand sonst erkennt, zu lösen, um ihre Autoren wieder einmal einen 500-Seiten-Schmöker daraus zu basteln zu lassen.

In diesem Fall ist es ein gewisser Ex-CIA Agent Paul Matisse (keine Frage, ein französischer Autor), der sich mit der später dazu stoßenden Ex-Kollegin Kerry auf die Spur eines rätselhaften Einbruchs in einem polnischen Biolabor macht. Sie tun das im Auftrag einer privaten Spionageagentur, die als Ausgründung der CIA entstanden ist. Was zuerst einmal heißt, dass das neumodische Outsourcing auch vor der Spionage nicht halt macht; Chancen also genug auch für diejenigen "Agents", die die Nase voll von der Firma und ihren Zwängen und Usancen haben und lieber auf eigene Faust weiter machen. Die Agentur ist, anders gesehen, aber auch nur eine Spielart der Söldnerunternehmen, die sich die Konflikte der Erde und die Kampfeslust junger Männer zunutze machen und ihre Privattruppen Diktatoren und anderen Regimes andienen. In diesem Fall ist die Agentur jedoch für echte Regierungen tätig und soll immer dann eingreifen, wenn die CIA-Kapazitäten nicht reichen oder es Kompetenzgerangel zwischen den verschiedenen staatlichen Institutionen gibt (also CIA und FBI). Da aber der heimische Markt begrenzt ist, dient sich die Agentur auch anderen Regierungen an, in diesem Fall der polnischen, für die die Recherchen in Sachen Biolaboreinbruch als Art Probestück gilt. Niemand erwartet viel davon, die Schuldigen sind offensichtlich Tierschützer, die sich nach der Attacke schnell wieder ins benachbarte Ausland abgesetzt haben.

Dass dann doch einiges merkwürdig an diesem Einbruch ist, ist vielleicht dem Leser von vorneherein klar. Paul hingegen muss erst einmal darauf aufmerksam werden und dann auch noch genau festhalten, was denn nun gerade an dieser Geschichte nicht stimmt. Warum sollte zum Beispiel jemand in ein Biolabor einbrechen, in dem mit Cholera-Bakterien experimentiert wird, sind diese doch - obwohl für den Tod von Millionen Menschen verantwortlich - als Kampfstoffe kaum einsetzbar, weil relativ leicht in ihrer Wirkung und Ausbreitung zu beschränken? Und doch scheint sich jemand gerade dafür interessiert zu haben. Als dann noch von einer merkwürdigen kleinen Cholera-Epidemie berichtet wird, die völlig untypisch verläuft, ahnt John, dass sich etwas ziemlich Ungeheuerliches anbahnt, das mit Bioterrorismus einigermaßen genau umschrieben werden kann. Offensichtlich hat jemand versucht, die effektivsten Ausbreitungswege der Cholera zu erproben. Und offenbar sind in dem Biolabor nicht nur die bekannten Cholera-Stämme verwendet worden. Zudem ist wohl auch eine neue, ungleich gefährlichere Variante entwickelt worden, die aber nun verschwunden ist.

Eine hektische Erkundungsjagd rund um den Globus beginnt, bei der sich die Dimensionen des geplanten Anschlags nach und nach enthüllen. Vorangetrieben werden die Pläne von einer höchst aggressiven kleinen Untergrundtruppe, deren Mitglieder sich zwei Jahre zuvor von einer bekannteren großen Umweltschutzvereinigung abgespalten haben. Ihre spezifische Note: Sie wollen nicht die Tiere vor den Menschen schützen, sondern dem Überfluss an Menschen begegnen. Überflüssig und zuviel sind aber nicht die reichen, gut ausgebildeten Bürger der erfolgreichen Länder, sondern die verarmten und heimatlosen Massen der Entwicklungsländer an der Peripherie. Die Armen stören, also müssen sie vernichtet werden. Da Cholera eine Armenseuche ist, die unter schlechten hygienischen Bedingungen und unter von Hunger und Missernährung geschwächten Menschen besonders heftig wütet, ist sie offensichtlich das geeignete Mittel, um unter den Armen der Erde besonders effektiv wüten zu können.

Dass diese Thematik im Rahmen der Globalisierungsdiskussion auf besonders empfängliche Aufnahme hoffen kann, ist offensichtlich. Und Rufin will genau jene bedienen, die sich für alles, was noch zum Skandal werden kann, interessieren. Um dem Thema, das doch einigermaßen abstrus wirkt, Seriosität zu verleihen, fügt er seinem umfänglichen Thriller sogar noch eine kleine Studie hinzu, in der er nachzuweisen versucht, dass die Idee, die er verarbeitet hat, gar nicht so undenkbar ist. Man fragt sich, warum es noch keiner versucht hat. Immerhin gibt es Bioattacken in den USA und in Japan. Diese Dimension aber ist vielleicht der tragfähigste Hinweis darauf, dass hier doch mehr das Thriller-Genre verhandelt wird als ernsthafte Bedrohungen. Aber wer sich gerne kirre machen lässt, ist hier ganz gut bedient.


Titelbild

Jean-Christophe Rufin: 100 Stunden.
Übersetzt aus dem Französischen von Brigitte Große und Claudia Steinitz.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
560 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783100685094

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