Latina lingua aeterna

Ein sprachliches Weltkulturerbe wird neu entdeckt

Von Stefana SabinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefana Sabin

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Primum, duces nostros linguae Latinam non iam studere triste non videtur" (Auf den ersten Blick scheint nichts dabei zu sein, dass unsere Herrschenden kein Latein mehr lernen.) So beginnt eine Glosse, die die "New York Times" vor einigen Wochen (auch) auf Latein veröffentlichte. Darin beklagte der britische Kolumnist Harry Mount, ein Oxford-geschulter Latinist, die sprachliche Unbildung heutiger Politiker und führte den Verlust an rhetorischer Schulung und intellektueller Weltläufigkeit darauf zurück.

Denn Latein gehörte auch in den USA zum traditionellen Curriculum, bevor Bildung zur beruflichen Aufstiegschance relativiert wurde. Mitte der 1960er-Jahre begann die Zahl der Lateinschüler rasant abzunehmen - seit zwei Jahren nimmt sie wieder zu. Ständig auf der Suche nach neuen Sprachspielen, greift auch die Werbung immer öfter auf Latein zurück, und seitdem die Hollywood-Diva Angelina Jolie sich den Satz "quod me nutrit me destruit" (Was mich ernährt, macht mich kaputt) auf ihren Bauch tätowieren ließ, dringt Latein sogar in die Popkultur ein - und in die Programme der Publikumsverlage.

So wurde Mounts "Amo, Amas, Amat... and All That", eine Mischung aus Lehrbuch und Selbsterfahrungsbericht, in England zu einem kleinen Bestseller. Das hängt nicht zuletzt mit der Zweideutigkeit des Untertitels zusammen: "How to Become a Latin Lover" appelliert an erotische Fantasien, um sprachliche Weiterbildung zu betreiben. Unter dem Titel "Carpe diem" (Hyperion Books, New York) wurde Mounts Buch auch in den USA zu einem Verkaufsschlager, und der wiederum werberhetorisch aufgeputzte Untertitel "Put a Little Latin in Your Life" wurde zu einem geflügelten Wort nicht nur bei der Bildungselite - schließlich gibt es in keiner Sprache so viele Latinismen wie im Englischen.

Die Lateinwelle hat auch ein neues Buch von Nicholas Ostler, dem Vorsitzenden der "Foundation for Endangered Languages", der Stiftung für gefährdete Sprachen, in die Buchhandlungen gespült. In seiner popularwissenschaftlichen Sprachgeschichte "Ad Infinitum. A Biography of Latin" (Walker & Company, New York) beschreibt Ostler die Ausbreitung des Latein als Resultat einer pragmatischen Sprachpolitik des römischen Imperiums. Als "Volkssprache, Soldatensprache und Verwaltungssprache" war Latein europaweit verbreitet, und als Sprache der römischkatholischen Kirche und als gemeinsame Sprache der europäischen Wissens- und Bildungselite überlebte es das Imperium. Und auch nachdem es als Umgangssprache längst untergegangen war, blieb Latein als Zeichen intellektueller Würde lebendig. Als solches hat es sich bis heute erhalten.

Ein lässig eingefügtes lateinisches Wort signalisiert Niveau, und römische Ziffern verleihen Autos, Uhren und internationalen Kunstausstellungen wie etwa der Documenta Prestige. Die Entscheidung des Vatikans, die Alte Römische Liturgie - und also die lateinische Messe - wieder zuzulassen, und auch die immer ausführlichere Berichterstattung über medizinische Forschung haben Latein ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Nicht zuletzt im Kielwasser der Bildungskatastrophe ist die ,tote Sprache' Latein wieder auferstanden und hat eine Diskussion über Lernziele und kulturelle Werte angeregt.

Denn Latein ist wesentlicher Bestandteil unseres geistigen Genoms: Weltkulturerbe sozusagen. Latein sei, so der langjährige Vorsitzende des Deutschen Altphilologenverbands Friedrich Maier, der "Königsweg zu vertieftem Sprachverständnis" und zugleich die "Quelle des Denkens" ("Warum Latein? Zehn gute Gründe", Philipp Reclam jun.). Vor allem aber unterstützt Latein die Aneignung und Bewahrung eines europäischen Bewusstseins, und auch deshalb, so Maier, gehören Lateinkenntnisse zu jeder - nicht nur humanistischen - Bildung und gehört der Lateinunterricht unbedingt zur gymnasialen Ausbildung.

In Deutschland ist Latein in den letzten Jahren geradezu zum Boom-Fach geworden. Über 800.000 Schüler hatten im Schuljahr 2006/2007 Lateinunterricht - und dieser Unterricht wird, wie Maier ausführt, heutzutage unterhaltend gestaltet, so dass die römische Antike zum Erfahrungsreservoir stilisiert wird. Darauf stützt sich auch Michael Schelenz in seiner Anleitung zum "Schimpfen und Flirten auf Latein" (Eichborn, Frankfurt). Latein verleiht einem banalen oder gar anzüglichen Ausdruck Erhabenheit, meint der Leipziger Journalist Schelenz, und statt "trockener Wortkunde und knochiger Grammatik" bietet er Übersetzungsvorschläge umgangssprachlicher Redewendungen, wobei es ihm nicht auf sprachliche Genauigkeit, sondern auf freche Wirkung ankommt.

Während Schelenz dem Latein einen Gegenwartsbezug unterstellt, sieht Maier es als Weg zur geistigen Ertüchtigung an. Beide - der eine spielerisch, der andere mit pädagogischem Ernst - wollen mit Lateinkenntnissen das kulturelle Selbstverständnis stärken. Das wollen auch Mount und Ostler, aber statt Alltagsrelevanz und Gehirntraining unterstreichen sie den sprachästhetischen Genuss und die Horizonterweiterung, die Latein vermittelt. Denn das Schöne am Latein, so Mount, ist das Latein.


Titelbild

Michael Schelenz: Schimpfen und Flirten auf Latein.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
104 Seiten, 6,95 EUR.
ISBN-13: 9783821856902

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Friedrich Maier: Warum Latein? Zehn gute Gründe.
Reclam Verlag, Stuttgart 2008.
80 Seiten, 2,60 EUR.
ISBN-13: 9783150185650

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