Mexikoexkurse

Linus Reichlins misslungene Premiere

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht selten wechseln Journalisten von der Reportage ins Krimigenre, und das oft mit Erfolg. Linus Reichlin gehört zu diesen literarischen Quereinsteigern, die eine Menge Schreiberfahrung sowie ein wenig Muße haben und den Krimi-Erfolg für die Aufbesserung der Haushaltskasse gebrauchen können - wird man annehmen dürfen. Denn Reichlin ist zwar bekannt, aber gehört - ohne ihm zu nahe zu treten - nicht zu den Großen im Betrieb. Da kommt ein erfolgsträchtiges Genre wie der Krimi gerade recht, wird doch da alles verkauft, was sich verlegen lässt, zumindest scheint das so. Also wäre zu schauen, ob Reichlin am Professionswechsel gut getan hat.

Ein deutscher Polizeiinspektor in Brügge wird von einem amerikanischen Touristen um Hilfe gebeten: Er werde bedroht. Der Mann legt sogar einen Drohbrief vor, der aber ist auf dem Papier des Hotels, in dem er wohnt, offensichtlich selbst geschrieben worden. Er ist zudem betrunken, die beiden Kinder, mit denen er eine Weltreise absolviert, sind arg verängstigt. Möglich also, dass hier etwas im Argen liegt. Nur ist es offensichtlich keine Morddrohung, wegen der sich Inspektor Hannes Jensen Sorgen machen muss, sondern es sind die beiden Jungs, die anscheinend Hilfe brauchen.

Der Bericht, den er wegen der angeblichen Morddrohung erstattet, ist entsprechend zurückhaltend. Immerhin ruft er abends noch einmal im Hotel an. Als er jedoch am nächsten Tag aufs Revier kommt, erfährt er, dass der Tourist tot ist, die beiden Kinder sind verschwunden. Zwar ergibt die Obduktion keine unnatürliche Ursache. Trotzdem geht Jensen der Sache nach und reist ins ferne Mexiko, scheinen die Kinder doch dorthin unterwegs zu sein, zu ihrer Kinderfrau, die angeblich eine Heilerin ist.

Mit von der Partie ist eine junge blinde Frau, Annick O'Hara, deren Mann vor einigen Jahren in Mexiko umgekommen ist. Auch er steht im Zusammenhang mit dieser mysteriösen mexikanischen Heilerin. Das ungleiche Paar, der ungeliebte deutsche Polizist und die blinde Witwe, macht sich auf eine einigermaßen mühevolle Reise, die sie in ein entlegenes mexikanisches Dorf führt, das auch noch durch einen Erdrutsch von der Außenwelt abgeschnitten ist.

Auf dem Weg machen sie sich gegenseitig ein wenig das Leben schwer. Annick quält Hannes mit ihren Allüren und allen Beatles-Platten, die auf dem Markt zu kaufen sind. Er hingegen lässt sich herumkommandieren, rettet aber seinen Quälgeist später, als sie von Schlangen gebissen wird. Er zahlt sogar das Serum, mit dem sie gerettet wird, indem er dem Bruder der Heilerin seine Scheckkarte samt Geheimzahl überlässt. Sehr riskant.

Im Ganzen legt Reichlin seine Krimi als absurde Komödie über ein groteskes Thema an, geht es doch um Wunderheilung durch Kinderblut und Beten. Die beiden Kinder sind anscheinend die Frischblutlieferanten zweier zuckerkranker reicher Amerikaner. Wirksam soll das Kinderblut allerdings nur sein, wenn die Kinder alle fünf Kontinente berührt haben. Der Vater - mittlerweile verstorben - war auf dem Weg, als er in Brügge Station machte. Das glaube, wer selig sein will, Jensen will es wenigstens nicht wahrhaben. Und so ist der Kauf der Serums eine angenehm vernünftige Aktion.

Allerdings soll es damit der lobenden Sätze genug sein, denn Reichlin mag seinen Krimi als Groteske angelegt haben, zugleich verstößt er jedoch gegen das wohl wichtigste Grundgesetz des Kriminalromans, nämlich nicht zu langweilen. Das aber tut er. Was als Originalität daher kommen soll, die Szenerie, die Ausstattung, das Profil und die Dialoge der Figuren, die Reise in die mittelamerikanische Exotik - ist in der Ausführung eine Reihung müder Scherze. Dass Reichlin zwischendurch den Faden verliert, mag als ironischer Bruch der Inszenierung gedacht sein, erscheint aber seltsam halbherzig. Dass ein verletzter Hotelier mit einer alten Socke, die auf die Stirn geklebt ist, herumirrt, ist vielleicht als Verzerrung amerikanischer road movies angelegt, hat aber keine Funktion. Die physikalischen Exkurse geben sich bedeutungsschwanger, aber welche Bedeutung haben sie? Und warum sollte sich jemand dafür interessieren? Dass die geheimnisvolle Blinde mit jedem ins Bett zu stiegen scheint, der ihr Vorteile und Informationen zu verschaffen verspricht (nur nicht mit Jensen), dass sie zugleich über überaus grausame Techniken verfügt, mit der sie ihre Gegner außer Gefecht setzen kann, ist möglicherweise als ironisches Bond-Zitat gedacht, aber wozu das alles?

Groteske ist eine hohe Kunst, die schnell misslingt, wie in diesem Fall. Das Ganze plätschert vor sich hin, unentschieden und ohne Biss. Insofern wird sich Reichlin ein wenig mehr ins Zeug legen müssen, wenn er als Autor von ironischen Krimigrotesken (also einer haltlosen Kreuzung verschiedener Formen) Furore machen will. Bislang reicht es nicht.


Titelbild

Linus Reichlin: Die Sehnsucht der Atome. Kriminalroman.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
360 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783821858357

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