"Die ganze Welt ist nur ein trüber Schein..."

Die Sonette von Edmund Spenser

Von Stefana SabinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefana Sabin

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Grabinschrift nennt ihn "the Prince of Poets in his Tyme", und tatsächlich ist Edmund Spenser (1552-1599) einer der großen Lyriker englischer Sprache. In Chaucers Nachfolge wollte er aus dem "hodge podge", dem Mischmasch, als welchen er das Englische seiner Zeit empfand, ein authentisches literarisches Idiom destillieren. "The Shepheardes Calender", der "Kalender der Hirtin", 1579 anonym erschienen, war eine Sammlung bukolischer Gedichte, die Spenser in der Elisabethanischen Literaturszene bekannt machte. "The Faerie Queene", die "Elfenkönigin", das zuerst 1590, in erweiterter Fassung 1596 erschien, war ein allegorisches Epos, das die Renaissance in der englischen Literatur einleitete - und die Spenserstrophe als Element der englischsprachigen Dichtkunst etablierte.

Jene Spenserstrophe - acht jambische Pentameter und ein jambischer Hexameter, die durch einen ineinandergreifenden Reim verbunden sind - ist eine komplexe Versform, die kaum Nachahmer fand. Erst im 19. Jahrhundert haben Lord Byron, John Keats und Percy Bysshe Shelley sie wieder entdeckt. Nicht zufällig waren diese Lyriker Italienschwärmer, die in der italienischen Dichtung eine hohe Form der Sprachkunst bewunderten - wie seinerzeit Spenser selber, dessen Strophe von der "ottava rima" des Ariost beeinflusst war. Überhaupt steht Spensers Lyrik unter italienischem Einfluss. Denn wie Shakespeare, ein anderer Italienschwärmer, schrieb auch Spenser Sonette - er griff zu jener Gedichtform, die Petrarca populär gemacht und die in England die Mode des "soneteering" ausgelöst hatte.

In den ersten Sonetten von 1591, den "Visionen vom Weltwahn", entwarf Spenser ein satirisches Bild der Welt als Jahrmarkt der Eitelkeiten. In den wenige Jahre später erschienenen "Amoretten", den Liebessonetten, variierte er das petrarkistische Vorbild: formal, indem er die drei Vierzeiler durch Kreuzreime miteinander verschränkte und das abschließende Reimpaar davon absetzte (abab bcbc cdcd ee), und inhaltlich, indem er ein erfolgreiches Liebeswerben vorführte. Spenser besang die Liebe und beschrieb einen seelischen Konflikt zwischen dem Wunsch nach Erfüllung und dem Gebot der Keuschheit: "Es bleibt mir nur das Herz: Das schreibt und spricht / von dem, woran mein armer Geist zerbricht." Wie hier im Sonett III machte Spenser immer wieder auch das Dichten über die Liebe zum Motiv der Liebesgedichte: Erst das lyrische Wort verleiht der Liebe Ewigkeit: "Jedoch mein Wort / schreibt deinen Namen in die Himmel ein, / auf dass er strahlend fortbestehe dort, / wo - wenn der Tod sich alles unterbeugt - / noch unsere Liebe lebt und Neues zeugt." Diese Liebesgedichte schildern eine Welt, die nur als Hintergrund für die Geliebte fungiert. "Die ganze Welt ist nur ein trüber Schein," heisst es im Sonett XXXV, "von flücht'gen Schatten - bis auf sie allein."

Spensers "Amoretten", 1595 erschienen, gelten als poetisches Dokument seines Werbens um Elisabeth Boyle, die er 1594 heiratete. Die emotionelle Intensität und die Suggestivkraft der klangvollen Verse verleihen den "Amoretten" zeitlose poetische Gültigkeit. Dennoch wurden sie nie so berühmt wie Shakespeares Sonette und nur einmal, von Joseph Freiherr von Hammer-Purgstall Anfang des 19. Jahrhunderts, übersetzt. Nun ist ein Band erschienen, der Spensers gesamtes sonettistisches Werk, die 89 "Amoretten" und die 12 "Visionen vom Weltwahn" in einer schönen deutschen Übersetzung von Alexander Nitzberg präsentiert.

Nitzberg, Jahgang 1969, hat sich vor allem durch Übersetzungen aus dem Russischen einen Namen gemacht, sich aber auch als Lyriker profiliert. Vor kurzem wurde ihm der Hugo-Ball-Förderpreis 2008 zuerkannt. Die Form der Sonette, ihr Metrum und die stumpfen (einsilbigen) Reime hat Nitzberg beibehalten und dafür gelegentliche Inversionen und Elisionen in Kauf genommen. Dem Original gemäß hat er archaische und poetisierende Ausdrücke benutzt, um Liebesleid und -lust wiederzugeben, und ironische Wendungen gefunden, um die Schönheit der Geliebte parodistisch-idealisierend zu beschreiben.

Dass sich Nitzberg immer wieder vom Original entfernt, ist Teil seiner übersetzerischen Anstrengung, "die Wirkung der Gedichte sich in erster Linie über die Lautlichkeit und Rhythmik entfalten zu lassen", wie er im Nachwort schreibt. Auch wenn sie manchmal Spensers besondere Melancholie verfehlen, sind Nitzbergs Übersetzungen schöne Gedichte, wohlklingend und stimmungsvoll.


Titelbild

Edmund Spenser: Die Lilienhand. Alle Sonette.
Übersetzt aus dem Englischen von Alexander Nitzberg.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2008.
232 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783902497345

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