Ein schillerndes Gebilde

Christine Thon untersucht die Neue Frauenbewegung im Wandel der Generationen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ende der 1960er-, spätestens Anfang der 1970er-Jahre ist in der Bundesrepublik die Neue Frauenbewegung auf den Plan getreten, mit dem Ziel, 'die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen', wie immer wieder formuliert wurde." Dieser erste Satz einer Studie zur "Frauenbewegung im Wandel der Generationen" stimmt ein wenig skeptisch. Nicht unbedingt, weil er falsch wäre, sondern weil seine Autorin Christine Thon darauf verzichtet, auch nur eine historische Quelle zu nennen, die belegt, dass Feministinnen um 1970 die Verhältnisse tanzen lassen wollten. Und weil sie im Unterschied zu den damals nicht nur feministisch sondern auch marxistisch bewanderten Aktivistinnen nicht zu wissen scheint, dass die Metapher nicht erst von der neuen Frauenbewegung geprägt wurde, sondern schon damals mehr als 100 Jahre auf dem Buckel hatte. Bereits 1844 forderte der damals 25-jährige Journalist Karl Marx in einem kurzen, später unter dem Titel "Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung" veröffentlichten Manuskript dazu auf, die "versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zu zwingen, daß man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!"

Doch die anfängliche Skepsis verflüchtigt sich im Laufe der weiteren Lektüre. Hat die Autorin doch einen insgesamt erhellenden historischen Abriss des "schillernde[n] Gebilde[s] Frauenbewegung" vorgelegt, der insbesondere durch die kritische Auseinandersetzung mit bisherigen Historien der Frauenbewegung und deren unterschiedlichen Generationenkonzeptionen beeindruckt.

Wie die Autorin darlegt, wird zwar von durchaus unterschiedlichen Positionen auf die Anfänge der Neuen Frauenbewegung zurückgeblickt - sie unterscheidet zwischen "ModerinisierungsoptimistInnen, EmanzipationskritikerInnen und Bewegungsaktivistinnen" -, doch teilen sie alle eine Gemeinsamkeit: Sie stellen einen "klare[n] Zusammenhang zwischen der Frauenbewegung und dem - bereits vollzogenen oder noch zu vollziehenden - sozialen Wandel" her, ohne diesen allerdings konkreter fassen zu können. Dies will Thons Studie nun leisten, indem sie sowohl auf die "subjektive Perspektive der Frauen als Akteurinnen innerhalb von Prozessen des Wandels von Geschlechterverhältnissen" als auch auf "das 'Wie'" der Veränderungsprozesse fokussiert. Grundlage hierfür bildet "die Idee des Generationenvergleichs in Verbindung mit einem Blick auf intergenerationale Tradierungs- und Transformationsprozesse".

Zu den wenigen Schwächen des historischen Abrisses zählt, dass Thon den Unterschied zwischen den in einer bestimmten Phase der Frauenbewegung wie Pilze aus dem Boden schießenden amerikanischen "Conciousness Raising Groups" einerseits und den deutschen - diesen gegenüber sehr viel 'gefühligeren' - "Selbsterfahrungsgruppen" andererseits verwischt. Dabei verwendet Thon beide Begriffe nicht nur synonym, sondern meint, die amerikanische Bezeichnung wäre eigentlich auch für die deutschen Gruppen zutreffender. Tatsächlich aber bezeichnen beide Begriffe jeweils akkurat das, was die Gruppen jenseits und diesseits des Atlantiks wollten.

Dem umfangreichen empirischen Teil hat Thon ein Kapitel "Zum Stand der Diskussion" und eines zur theoretisch-konzeptionellen Rahmung ihrer Studie vorgeschaltet. Zunächst nimmt sie "die bisherigen Bilanzierungsroutinen der Frauenbewegung" in den Blick, um sich sodann der "häufig auftauchende[n] Thematisierung von Frauenbewegungsgenerationen" zuzuwenden. Der nächste Abschnitt gilt der "Frage nach einem Verständnis von Generation(alität)". Ihm folgen die Ergebnisse von Thons empirischen Fallstudien und deren Vergleiche, die im abschließenden Abschnitt zu den in ihnen "aufscheinenden Zusammenhänge[n] zwischen Frauenbewegung und sozialem Wandel" befragt werden.

Das Material der im Zentrum der Arbeit stehenden empirischen Studie bilden biografische Interviews mit Frauen aus drei Generationen, wobei die Interviewten der Frauenbewegung meist eher fern standen, denn für das zentrale Anliegen der Untersuchung, Aussagen über die "Reichweite" der Frauenbewegung treffen zu können, war es notwendig, insbesondere Frauen zu interviewen, die keine "besondere Affinität" zur Frauenbewegung hatten beziehungsweise haben. Ebenso wie unlängst Maryam Taherifard in ihrer Untersuchung der "weiblichen Sexualität im Iran" interviewte auch Thon jeweils Großmütter, Mütter und Töchter der befragten Familien. Im Falle der vorliegenden Untersuchung ergab dies bei sechs Familien 19 Interviews, da sich von einer Familie beide Töchter befragen ließen. LeserInnen beider Studien dürften einige weitere Parallelen ins Auge fallen, wie etwa diejenige, dass sich bei den Befragten beider Studien ein sich über die drei Generationen hin vollziehender "Bildungsaufstieg" konstatieren lässt. Wie die Autorin der vorliegenden Studie sehr wohl erkennt, verweist dies auf eine der Grenzen ihrer Untersuchung, denn es wurden nur "Gewinnerinnen" dieses allgemeinen "Wandlungsprozesses" befragt. In der Auswertung der Interviews zeichnet Thon ein komplexes Bild des Verhältnisses der untersuchten Biografien zur Frauenbewegung, das sie wohldurchdacht interpretiert.

Thons Untersuchung macht vor allem zweierlei deutlich. Zum einen, dass trotz aller "Resistenz", mit der sich "hierarchisierende Geschlechterverhältnisse" noch immer "reproduzieren", zwischen den Möglichkeiten der Großmütter und den "Lebenssituation[en]" junger Frauen von heute "buchstäblich Welten" liegen - was man allerdings schon vorher wusste. Und zum anderen, dass die Frauenbewegung auch und gerade auf "biographische Konstruktion[en]" von Frauen Einfluss nahm, die die Bewegung gar nicht bewusst rezipierten - was man zwar vielleicht ahnte, bislang jedoch noch nicht empirisch untermauert worden war. Thon weist es nun anhand biografischer "Entwicklungslinien" der Interviewten nach, deren "Konstruktionsmuster" mit den politischen Anliegen der Frauenbewegung auf vielfältige Weise korrespondieren. Allerdings setzen die Biografien der Frauen diese nicht etwa nur um, sondern "stellen deren Realisierung gleichzeitig in Frage."

Die Ursache für die heutige "mangelnde Resonanz der Frauenbewegung bei vielen v.a. jüngeren Frauen" sieht die Autorin nicht nur darin, dass sie ihre persönlichen Erfahrungen nicht vor dem Hintergrund einer strukturellen Geschlechterhierarchie verstehen. Der "entscheidende Widerspruch" liege vielmehr darin, dass die "Notwendigkeit sozialen Wandels" nicht mit einer "Notwendigkeit politischen Handelns" verknüpft werde, "weil Akteurinnenschaft in mehrerlei Hinsicht als individualisiert konstruiert wird." Ein solches "individualisierte[s] Selbstverständnis" könne "auf der Ebene individueller biographischer Konstruktionen" zwar "sehr funktional" sein, als "politisches Programm" sei es jedoch "höchst problematisch." Not täte daher "eine Kritik der Individualisierungsideologie und der darin enthaltenen Autonomiekonstruktion, die ohne eine erneute Etablierung der Defizitperspektive auskommen muss", lautet Thons forderndes Fazit, dem man nur beipflichten kann.


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Christine Thon: Frauenbewegung im Wandel der Generationen. Eine Studie über Geschlechterkonstruktionen in biographischen Erzählungen.
Transcript Verlag, Bielefeld 2008.
488 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-13: 9783899428452

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